Das Stadion in Köln war am Sonntagabend voll und mehr georgisch-weiss als spanisch-rot. Die georgischen Fans sind in Scharen gekommen, um ihre Fussballhelden zu unterstützen. Dieses Team, das auch dank der Solidarität und der stürmischen Begeisterung in den Gruppenspielen Portugal besiegen und sich so für dieses Achtelfinalspiel gegen das grosse Spanien qualifizieren konnte. Diese EM ist ein historisches, unvergessliches Erlebnis für Spieler und Fans. So viel steht fest.
Es war eine Freude, zuzuschauen, wie die Georgier um Napoli-Star Chwitscha Kwarazchelia (23) gegen Spanien, kaum hatten sie mal den Ball, nach vorne stürmten, als gäbe es keinen Morgen. Zur Pause stand es 1:1. Die Fussballsensation lag in der Luft, bis diese den tapferen Spielern in der zweiten Halbzeit ausging, weil Spanien einfach zu stark ist. «Die beste Mannschaft der Welt», lobte Captain Guram Kashia nach dem Spiel, das für die Georgier schliesslich 1:4 ausging.
Geld für die Fussballer
Auf der Tribüne sass auch die georgische Staatspräsidentin Salome Surabischwili, 1952 in Paris geboren, Mitglied der französischen Ehrenlegion, seit 2018 Präsidentin Georgiens, der Heimat ihrer Familie. Unterstützt wurde ihr politischer Aufstieg vom Parteienbündnis «Georgischer Traum» des Unternehmers Bidsina Iwanischwili. Er ist der reichste Mann Georgiens und der Strippenzieher der Politik im Land. Früher ein Reformer, heute ein Putin-Anhänger.
Iwanischwili hat dem erfolgreichen Fussballteam nach eigenen Angaben zehn Millionen Euro für das Überstehen der Gruppenphase zukommen lassen, zehn weitere bei einem Sieg gegen Spanien in Aussicht gestellt. Doch er hat ein Problem. Die Begeisterung, welche Georgien an dieser Euro, mitten in Europa, ausgelöst hat, hat die Sehnsucht der Bevölkerung, ein Teil dieses Europas zu sein, nur noch verstärkt. Mehr als 80 Prozent der Georgier wollen in die EU, seit Dezember ist das Land offizieller Beitrittskandidat, der EU-Beitritt ist in der Verfassung verankert, doch seit Einführung des «Agenten-Gesetzes» vor zwei Monaten in weite Ferne gerückt.
Massenproteste wegen «Agenten»-Gesetz
Das Gesetz schreibt vor, dass Organisationen, die mehr als ein Fünftel ihrer Finanzmittel aus dem Ausland erhalten, sich als «Agenten ausländischer Einflussnahme» registrieren lassen müssen. Und sich damit der Kontrolle der Behörden aussetzen. Die Regierung sagt, das Gesetz diene der Transparenz und Stärkung der nationalen Souveränität. Die Opposition sieht die Parallelen zu Russland, das 2012 ein ähnliches Gesetz einführte und fürchtet um die Meinungsfreiheit und den EU-Beitritt.
Vor der Euro gab es deswegen Massenproteste im Land. Nicht nur junge Menschen gingen auf die Strasse, die kaum Jobs finden und wenn doch, kaum Geld damit verdienen. Auch ihre Eltern und Grosseltern waren da und haben ihre Stimme erhoben. Doch alles umsonst, das Gesetz wurde nicht zurückgenommen und das Veto von Staatspräsidentin Surabischwili überstimmt. Die EU-freundliche und Putin-kritische Präsidentin hat die Gunst ihres Förderers Iwanischwili längst verloren. Im September 2023 scheiterte ein vom «Georgischen Traum» initiiertes Amtsenthebungsverfahren noch.
Georgien am Scheideweg
Im Juni kam dann die Euro und die Euphorie über die guten Leistungen des Nationalteams, welche das ganze Land überzog. Dort auf den Strassen, wo noch im Mai Zehntausende gegen das Gesetz protestierten, jubelten die Menschen und lagen sich dank des Fussballs in den Armen.
Jetzt ist die schöne Auszeit vorbei. Georgien ausgeschieden, die Realität zurück. Im Oktober stehen Parlamentswahlen an. Wohin steuert das Kaukasusland? Zurück in die russischen Arme, von denen man sich einst schmerzlich befreite? Oder doch nach Europa, wo alles besser werden soll? Sicher ist: Der sportliche Erfolg der georgischen Fussballer hat auch ausserhalb des Landes auf die innenpolitischen Probleme aufmerksam gemacht. Der Fussball ist quasi zum Sprachrohr geworden. Doch könnte sich das jetzt auch schnell wieder ändern. Georgien steht vor einem richtungsweisenden Herbst.