Sonderfall Büsingen
In dieser deutschen Gemeinde hoffen viele auf einen Schweizer Sieg

Willkommen in der Deutsch-Schweiz! Die deutsche Gemeinde Büsingen liegt mitten in der Schweiz. Wem die Einwohner beim Spiel der Spiele die Daumen drücken und mit welchen Problemen das Dorf zu kämpfen hat.
Publiziert: 23.06.2024 um 11:07 Uhr
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Aktualisiert: 23.06.2024 um 12:38 Uhr
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Willkommen in Büsingen.
Foto: BENJAMIN SOLAND
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Daniel LeuStv. Sportchef

Rainer Krause muss nicht lange überlegen. Auf die Frage, ob er sich eher als Deutscher oder als Schweizer fühlt, antwortet er: «Ich bin Büsinger!» Mit Ausrufezeichen. Der 81-Jährige ist ein Dorf-Original. Früher war er Spieler und Präsident des Fussballklubs, heute ist er Rentner und hat seine ganz eigene Sicht auf seine Gemeinde.

Krause ist einer von 1625 Einwohnern. Büsingen liegt zwar offiziell auf deutschem Staatsgebiet, ist aber komplett von der Schweiz umgeben. Damit ist die Exklave ein Unikat, und diese Einzigartigkeit treibt regelmässig seltsame Blüten. So hat zum Beispiel das Dorf sowohl eine deutsche (78266) als auch eine Schweizer Postleitzahl (8238). Und der Strom, das Handynetz und das Trinkwasser – all das stammt aus der Schweiz. Genau wie rund 25 Prozent aller Einwohner.

Obwohl sich Krause in erster Linie als Büsinger fühlt, ist er offiziell Deutscher. «Ich wäre aber dafür, dass sich unsere Gemeinde der Schweiz anschliesst. Wenn ich mir die Arena anschaue, ich danach aber nicht abstimmen darf, ärgert mich das.»

Für wen sind die Bürger? Deutschland oder Schweiz?
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Büsingen ist deutsche Exklave:Für wen sind ihre Bürger? Deutschland oder Schweiz?

Büsingen bald schweizerisch? Komplett abwegig ist der Gedanke nicht. Immer mal wieder stand das im 20. Jahrhundert zur Debatte. Vor über 100 Jahren ergab eine Volksabstimmung, dass gleich 96 Prozent der Büsinger Bürger für eine Integration in die Schweiz waren.

Bürgermeisterin freut sich auf einen lustigen Abend

«Zurzeit ist das aber kein Thema», sagt Vera Schraner in breitem Schaffhauser Dialekt. Die 51-Jährige wuchs hier auf, arbeitete und lebte später in der Schweiz, und ist seit 2020 Bürgermeisterin von Büsingen, per Gemeinderatsbeschluss eine Vollzeitstelle, ausgestattet mit einer deutschen und einer schweizerischen Telefonnummer.

Das Gespräch mit ihr zeigt, wie komplex ihr Job hier ist. Es fallen Begriffe wie Mehrwertsteuer-Revisisionsgesetz, Steuerfreibetrag, EU-Aussengrenze. «Ich könnte jetzt locker vier Stunden darüber referieren», sagt sie und lacht.

Herausfordernd wird für sie auch das Spiel zwischen der Schweiz und Deutschland. «Ich bin für Deutschland, mein Mann, der Schweizer ist, und unsere zwei Kinder, die beide Pässe haben, für die Schweiz. Das wird bestimmt ein lustiger Abend. Ich tippe auf ein 2:1 für Deutschland.»

Zurück in den Garten von Rainer Krause. Wem er am Sonntagabend die Daumen drücken wird, will er partout nicht sagen. «Früher war ich tendenziell eher für die Deutschen, mittlerweile aber nicht mehr. Ich schätze, das Spiel geht 1:1 aus.»

Krause blickt wehmütig auf früher zurück. Als es noch die Jägermusik Büsingen und den Chüngelzüchter-Verein gab. Als im FC noch Einheimische spielten und sie es einst gar bis in die 2. Liga hoch schafften. «Heute kenne ich von der 1. Mannschaft keinen einzigen Spieler mehr. Hier kicken nur noch Auswärtige. Das ist schade, gleichzeitig gäbe es aber ohne sie den Klub wohl längst nicht mehr.»

Dass auch der Klub mit der speziellen Situation Büsingens zu kämpfen hat, zeigt sich immer mal wieder. Zu Beginn ihrer Gründung war der Verein, der im Juli sein 100-Jähriges feiert, im süddeutschen Fussballverband angegliedert, doch seit 1947 ist er Mitglied im SFV und spielt in der Schweizer Liga. Deshalb erhielt der FCB auch jahrelang Fördergelder vom Bundesamt für Sport. Zu Unrecht, wie Winkeladvokaten 2022 herausfanden. Seitdem fliesst dieses Geld nicht mehr von der Schweiz über den Rhein nach Deutschland.

Die Landesgrenze verläuft quer durch den Biergarten

«Genau mit solchen Herausforderungen haben wir tagtäglich zu kämpfen», erklärt Bürgermeisterin Vera Schraner. Trotzdem gehe es der Gemeinde gut. Mit einem Altersdurchschnitt von 51,3 Jahren ist Büsingen zwar die zweitälteste Gemeinde Deutschlands, gleichzeitig ist die Einwohnerzahl in den letzten zehn Jahren aber um 20 Prozent gestiegen und es gibt so viele Kinder wie noch nie, die im Sommer in Büsingen eingeschult werden.

Spricht man aber mit Markus Buenacosa-Gietl über Politik, verdreht er nur die Augen. Der Deutsche ist Pächter des Restaurants Waldheim. Mitten durch den Biergarten und die Kastanienbäume verläuft die Landesgrenze. «Ich bin so enttäuscht von der deutschen Politik, dass ich deshalb unser Nationalteam nicht mehr anfeuern möchte. Ich hoffe, dass die Schweiz am Sonntag gewinnt und tippe auf ein 3:1.»

Eines ist jetzt schon klar: Egal, wie das Spiel am Sonntag ausgeht, in Büsingen wird es genügend Menschen geben, die jubeln werden.

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