Mario Basler im Interview
«Löw raucht auch – warum darf ich dann nicht?»

Er ist Europameister, ohne auch nur eine Sekunde gespielt zu haben. Doch dafür kann Mario Basler (47) nichts. Sehr wohl aber für seine pfiffigen Aussagen. Das EM-Gespräch.
Publiziert: 12.06.2016 um 16:13 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 22:10 Uhr
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Europameister und Lebemann: Mario Basler nimmt kein Blatt vor den Mund.
Foto: Getty Images
Alain Kunz

Mario Basler, Deutschland ist Weltmeister. Das ist doch auch der logische Favorit für die EM?
Einer der Favoriten. Ich denke auch Frankreich hat mit dem Heimvorteil gute Chancen. Frankreich besitzt eine starke Mannschaft. Für uns Deutschen wäre es natürlich toll, wenn das Team nach WM auch die EM gewinnen würde.

Und sonst?
Die Spanier muss man mit auf der Liste haben. Das englische Team ebenfalls. Grundsätzlich besitzen beide Teams das Potenzial, aber bei den letzten Turnieren haben sie es nicht so gezeigt. Und die Holländer, wenn sie gut drauf sind, ääh, die Belgier meine ich natürlich. (lacht) Die sind auch ganz stark einzuschätzen. Das wird sicher eine enorm spannende Europameisterschaft.

Die Schweiz?
Der Schweizer Fussball hat sich über die letzten Jahre gut entwickelt. Die haben mittlerweile tolle Spieler. Und Ottmar Hitzfeld hat das während seiner Amtszeit richtig gut gemacht. Als geheimen Favoriten muss man die mitnehmen, aber um ganz nach vorne zu kommen, wird es sehr schwer.

Jogi Löw hat Lukas Podolski wieder ins Kader berufen. Viele verstehen das nicht. Sie gehören auch zu seinen Kritikern.
Ich denke, dass wir auf den offensiven Positionen bessere und jüngere Spieler haben. Ich denke da an Julian Draxler. Wir warten ja im Prinzip schon seit Jahren auf Draxler. Alle wissen, was er kann. Sein Problem sind die vielen Verletzungen.

Anders als bei der WM gab es an Europameisterschaften schon Siege von völligen Aussenseitern wie Dänemark oder Griechenland. Wie ist das zu erklären?
Das ist schon paar Jahre her. Die Griechen hatten mit Otto Rehhagel einen Trainer, der sich im Fussball zu tausend Prozent auskennt. Und die hatten auch sehr viel Glück. Die Dänen damals konnten ganz befreit aufspielen, sie waren ja schon im Urlaub. Die haben ihren Urlaub ja praktisch verlegt an die EM. Ich glaube, dass es sowas die nächsten Jahre nicht mehr so geben wird.

1996 gabs keine Überraschung, Deutschland gewann. Sie standen im Kader, mussten aber vor dem ersten Spiel verletzungsbedingt wieder abreisen. Seither hat Deutschland den Titel nicht mehr gewonnen, obwohl der deutsche Fussball seither massiv an Attraktivität gewonnen hat.
Einige sagen, dass heute alles besser und schöner sei und dass wir Fussballer von damals heute gar nicht mehr mitspielen könnten. Das ärgert mich, solche Aussagen. Mittlerweile haben die Teams ganz andere Möglichkeiten. 1954 haben sie mit einem Stahlball gespielt, wir dann mit einem Betonball, und heute fliegt der Ball von alleine.

Welche Entwicklung macht Ihnen im Fussball über die letzten Jahre am meisten Sorgen?
Wahrscheinlich spielen Sie ein bisschen auf England und deren Fernsehgeld an. Man muss sich schon Gedanken machen, wenn der Tabellenletzte der Premier League mehr Geld kriegt als Bayern München. Das ist indirekt schon erschreckend. Klar, die Engländer haben aufgrund der Pokalwettbewerbe mehr Spiele als wir. Aber auch bei uns ist die Entwicklung der Bayern sehr schwierig aufzuhalten.

Aber bei Euch ist es NUR Bayern, das ist der Unterschied.
Ja, klar. Bei uns heisst es, es werde langweilig in der Bundesliga, weil es nur Bayern München gebe. Aber das ist nicht von heute auf morgen gegangen. Bayern ist zu einer Marke geworden. Es ist über dreissig Jahre gegangen, bis sich der FC Bayern diese Macht erarbeitet hatte. Theoretisch könnten Borussia Dortmund und Wolfsburg mit dem VW-Werk hintendran die Bayern ein bisschen angreifen. Wenn wir in Deutschland dasselbe Fernsehgeld erhalten würden, wären wir unangefochten die Nummer eins. Aber ich glaube nicht, dass das grosse Geld, wie sich das jeder wünscht, in Deutschland eines Tages wie inEngland bezahlt werden wird.

Und doch - Geld alleine kann es nicht richten. Die Premier League ist im Moment nur die Nummer drei in Europa, hinter der Primera Division und der Bundesliga.
Geld ist nicht immer entscheidend. Man muss damit vernünftig umgehen. Ich bin sicher: Die Engländer werden in den nächsten Jahren viele Spieler aus der Bundesliga kaufen, egal welcher Nation.

Weil jeder Klub – ausser Bayern – aus wirtschaftlichen Gründen gar nicht Nein sagen kann.
Klar, nur die Bayern können Nein sagen. Wenn Du siehst, De Bruyne nach Manchester für 75 Millionen – das war nur ein erster Schritt. Das birgt schon die Gefahr mit all dem Geld, dass die Engländer auf dem deutschen Markt rumwildern. Auch Pep Guardiola geht in die Premier League. Das sind so Anzeichen, wo die Bundesliga schon stark gefährdet ist. Nicht Bayern, aber alle anderen Vereine, wenn sie grosse Spieler herausbringen. Bei uns ist das genau gleich mit dem FC Basel. Das ist schon bemerkenswert, wie der FC Basel da vorne wegläuft. Das ist ein toller Verein mit grossem Potenzial und viel Geld. Wie gross ist es genau?

So um die achtzig, hundert Millionen.
Eben. Damit wären sie in der Bundesliga recht weit vorne. Nur Bayern, Leverkusen, Dortmund und Wolfsburg haben mehr.

Doch das alles ist Peanuts verglichen mit dem, was auf der Insel abläuft.
Natürlich. Und dennoch kommen sie nicht so richtig voran. Beispielsweise Manchester City, trotz Investors mit sehr, sehr viel Geld. Die spielen doch grausamen Fussball. Und weder international noch national haben die momentan den ganz grossen Erfolg.

Themenwechsel. Ist es nicht beängstigend, wenn Länderspiele abgesagt werden müssen, nachdem die Zuschauer schon im Stadion sind?
Weder Deutschland, noch die ganze Welt ist vor dem Terror sicher. Der IS ist schon eine enorme Kraft und es ist äusserst brutal, was da passiert. Aber die Gefahr besteht immer, nicht nur im Fussball, auf jeder grossen Veranstaltung. Da muss man immer wieder Angst haben. Wir können nur hoffen, dass an der Europameisterschaft nichts Grösseres passiert.

Hätten Sie Angst nach Frankreich zu gehen?
Ich würde schon mit einer gewissen Angst dahinfahren, nach dem, was alles passiert ist. Wenn man nicht aufpasst, besteht eine grosse Gefahr, dass etwas passiert in Frankreich. In den Kneipen, vor den Grossleinwänden. Aber auch auf der Fanmeile in Berlin. Wenn ich hingehen würde, dann mit einem mulmigen Gefühl.

Eine weitere beunruhigende Entwicklung sind Transfers von minderjährigen Spielern. Kaum hat Barcelona die Sperre abgesessen, verpflichten die Katalanen 75 Nachwuchsspieler! Nun hats Real und Atletico erwischt. Auch da dürfte die Transfersperre wenig Wirkung zeigen. Sind im Fussball 2016 alle Hemmungen verlorengegangen?
Man probierts halt. Aber die Fifa hat ja eingegriffen. Die Spanier haben ihre Strafen gekriegt, was auch richtig ist. Aber jeder sieht seinen Vorteil, indem er versucht junge Spieler zu holen, 15, 16 die entwicklungsfähig sind.

Und weiter sind wir beunruhigt, wenn man davon ausgehen muss, dass selbst die WM 2006 in Deutschland gekauft war.
Wir waren ja alle geschockt! Ganz Deutschland. Ich habe es auch nicht glauben können. Aber es ist ja nicht bewiesen. Haben wir die WM wirklich gekauft, wären wir ja nicht besser als der eine oder andere bei der Fifa. Aber es hat schon Spuren hinterlassen im deutschen Fussball. Die Verantwortlichen sind zurückgetreten. Vielleicht zu Recht. Vielleicht sollte sich der eine oder andere auch Gedanken darüber machen.

An wen denken Sie da? Franz Beckenbauer, Lichtgestalt?
Dazu sage ich nichts. Kann ich mir sehr schwer vorstellen, dass Franz etwas Unrechtes gemacht hat. Ich glaube an seine Unschuld. Aber wenn man hört, wie er gewisse Verträge quasi blind unterschrieben hat, das ist halt schon ein bisschen Naivität?

Glauben Sie, dass der Franz Beckenbauer irgendjemanden reinlegen möchte?
Franz ist eine Vertrauensperson, zu dem viele Menschen hingehen. Er hat immer ein offenes Ohr für jeden. Beim DFB war er vielleicht ein bisschen blauäugig. Seine Freunde dort haben ihm Verträge hingelegt, und die hat er unterschrieben, weil er gedacht hat: was soll da passieren? In einem gewissen Masse ist er somit selbst dran schuld. Ich bin mir jedoch sicher, dass er nicht  bestechlich war und ist.

Aber da war der Fall Uli Hoeness. Mittlerweile ist er wieder draussen.
Schön.

Haben Sie noch Kontakt zu ihm?
Nein. Ich, viele Kollegen, freuen sich. Uli hat seine Strafe verbüsst, das Geld bezahlt. Ich muss es immer wieder sagen: Er hat keinen umgebracht. Es geht ausschliesslich um Geld und nicht um ein grosses Verbrechen. Mir hats leidgetan. Er hat Fehler gemacht, hat das eingesehen, wurde dafür bestraft und damit ist es auch gut. Wie er damit umgegangen ist, zeugt auch von einer gewissen Grösse. Ich freue mich, dass er wieder da ist.

Ganz generell: Ist Fussball ein bisschen weniger Rock’n’Roll als früher?
Das ist so gewünscht in den Vereinen. Man möchte Ruhe haben und keine Skandale. In den Jugend-Nachwuchszentren wird ja schon in dieser Hinsicht aussortiert und ausgewählt. Da kommen nur brave Kinder hin. Die Vereine wollen das.

Grundsätzlich ist es ja auch in Ordnung. Aber ein klein wenig bedauernswert?
Es ist ja auch heute eine andere Öffentlichkeit. Es geht heute um viel mehr Geld als zu unserer Zeit. Und heute darf jeder im Internet jeden Scheiss anonym verbreiten. Da gibts dann ein Video, egal ob du ein Bier getrunken hast oder fünf. Das sind Dinge, die sind sehr schade. Deshalb finde ich es gut, was die Vereine machen. Jeder Spieler muss heute aufpassen. Du bist eine Person der Öffentlichkeit, mit dir dürfen sie alles machen. So ist nun mal die Gesetzgebung bei uns. Du bis der grösste Depp, weil du darfst nix machen und jeder darf mit dir alles machen. Deswegen muss man sich nicht wundern, wenn die Spieler zurückgezogen leben und nicht mehr so auftreten wie noch vor fünfzehn, zwanzig Jahren, wie wirs vielleicht noch waren, lockerer. Aber da gabs die Handyvideos noch nicht. Wenn mal was im Internet ist, ist es schwer, das wieder rauszukriegen. Da sollte man mal eine Gesetzgebung finden, dass das nicht mehr so einfach geht. Für Kinder, aber auch für Erwachsene, die einfach so einen Shitstorm über irgendwen verbreiten können.

Sie bedauern, dass ein Fussballer heute nicht mehr in Ruhe ein Bierchen trinken kann.
Die Spieler haben kaum mehr Freiheiten. Sie sind überzüchtet. Wird einer mal dabei erwischt, wie er ein Bierchen trinkt, bricht in Deutschland gleich die Welt zusammen. Ein Bierchen, ein Gläschen Wein und auch mal ein Schnitzel mit Pommes sollten doch drin liegen. Ich bin damals auch oft zur Pommes-Bude gefahren und habe mir eine doppelte Currywurst-Pommes gegönnt. Man schränkt die Spieler heute zu sehr ein. So vergeht ihnen doch der Spass.

Gibts heute noch Fussballer, die rauchen?
Keine Ahnung. Interessiert mich auch nicht. Aber Sie verzichten nach wie vor nicht darauf. Das ist doch nicht wichtig, ob ich rauche oder nicht. Nicht mehr wichtig. Ich bin eine Privatperson. Ich rauche meine Zigarette, wann ich will, so oft ich will. Jogi Löw raucht auch. Warum darf ich keine Zigarette rauchen? Beim Löw gibts immer noch einen Shitstorm, wenn wieder mal ein Foto mit Zigarette auftaucht – obwohl es alle wissen. Es muss jeder für sich selbst wissen, wie er das handhabt.

Übrigens, wir gratulieren! Mario Basler ist mittlerweile Grossvater geworden.
Ich bin Opi geworden, das erste Mal.

Zu früh?
Nein, ich bin stolz! Auch wenn man es sich wünscht, dass man noch paar Jahre wartet. Trotzdem ist man stolzer Opa!

Mario Basler, besten Dank für das Interview. Jetzt gehen wir eins rauchen!
Alles klar.

Mario Basler

Das ehemalige Enfant terrible des deutschen Fussballs, das aus Neustadt an der Weinstrasse kommt, wo jedes Jahr die deutsche Weinkönigin erkoren wird, galt als Genie in einer Ära, in welcher deutscher Fussball noch für reinen Kampf stand. Unvergessen sind seine Effet-Freistösse und seine direkt verwandelten Eckbälle. Basler holte die Meisterschaft mit den Bayern zweimal, schoss die Münchner 1999 in den Champions-League- Final (Bayern-ManU 1:2) und war sowohl mit Bremen wie auch den Bayern Pokalsieger. Der Pfälzer machte 30 Länderspiele und wurde 1996 Europameister, obwohl er verletzungsbedingt keine Sekunde auf dem Platz stehen konnte. 1995 war er Torschützenkönig und nicht weniger als sechs Mal (!) schoss er das Tor des Monats! Weit weniger erfolgreich verlief seine Karriere als Trainer und Funktionär. Nie schaffte er es über die Regionalliga hinaus und auch da gings fast immer um den Abstieg. Neben dem Feld galt Basler nicht als Kind von Traurigkeit. Im November 1999 wurde er vom FC Bayern nach einer Wirtshausrangelei suspendiert und Uli Hoeness sagte, dass es öfters private Verfehlungen des Spielers gegeben habe. Heute ist Basler Sport1-Experte.

Das ehemalige Enfant terrible des deutschen Fussballs, das aus Neustadt an der Weinstrasse kommt, wo jedes Jahr die deutsche Weinkönigin erkoren wird, galt als Genie in einer Ära, in welcher deutscher Fussball noch für reinen Kampf stand. Unvergessen sind seine Effet-Freistösse und seine direkt verwandelten Eckbälle. Basler holte die Meisterschaft mit den Bayern zweimal, schoss die Münchner 1999 in den Champions-League- Final (Bayern-ManU 1:2) und war sowohl mit Bremen wie auch den Bayern Pokalsieger. Der Pfälzer machte 30 Länderspiele und wurde 1996 Europameister, obwohl er verletzungsbedingt keine Sekunde auf dem Platz stehen konnte. 1995 war er Torschützenkönig und nicht weniger als sechs Mal (!) schoss er das Tor des Monats! Weit weniger erfolgreich verlief seine Karriere als Trainer und Funktionär. Nie schaffte er es über die Regionalliga hinaus und auch da gings fast immer um den Abstieg. Neben dem Feld galt Basler nicht als Kind von Traurigkeit. Im November 1999 wurde er vom FC Bayern nach einer Wirtshausrangelei suspendiert und Uli Hoeness sagte, dass es öfters private Verfehlungen des Spielers gegeben habe. Heute ist Basler Sport1-Experte.

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