WM 2006. Italien muss sich in den Gruppenspielen mit einem 1:1 gegen die USA begnügen, braucht danach einen Sieg gegen Tschechien, um weiterzukommen. Im Achtelfinale ist es gegen Australien ein Geknorze sondergleichen. Materrazzi kriegt früh Rot. Italien tief in der Nachspielzeit einen umstrittenen Penalty geschenkt, den Totti zum Siegtreffer nutzt. Danach läufts. Und Italien holt den Titel.
EM 2024. Italien steht vor dem letzten Gruppenspiel wieder unter Druck. Und wieder halten die Nerven der Azzurri. Auf dramatischste Art und Weise holen sie das für Platz zwei nötige Remis gegen Kroatien. Das stärkt!
Doch was ist von diesem Team zu halten, das sich nur mit viel Dusel mit einem 0:0 gegen die Ukraine und mit Platz zwei hinter England (gegen das man zweimal verlor) den EM-Platz ohne Playoff-Umweg gesichert hat?
Für die Azzurri muss die Auszeit warten
«Jetzt beginnt die herrliche Zeit», frohlockte Coach Luciano Spalletti. Der zum Handkuss kam, weil Euro-Held Roberto Mancini sich zuerst wie ein Tagedieb durch die Hintertür verabschiedete, um dann den Saudi-Millionen zu verfallen. Spalletti, mit dem Titelgewinn mit Napoli unsterblich geworden, wollte eigentlich eine Auszeit nehmen. Als die Anfrage kam, der Mister der Nazionale zu werden, war diese nach wenigen Tagen beendet …
Und so brach für die Spieler eine Zeit an, die geprägt ist von Patriotismus, rigiden Regeln und High-Tech. «Egal für welchen Klub man spielt, unter dem Vereinsshirt muss man immer das der Azzurri spüren», sagt Spalletti. Videogames und TV bis tief in die Nacht waren ab sofort ebenso verboten wie «fette Kopfhörer wie Idioten» in der Öffentlichkeit, wie es Spalletti nannte. Und alle Spieler haben eine spezielle App auf ihrem Handy, um den Spalletti-Fussball besser zu verstehen, der ein «Calcio propositivo» sein soll, konstruktiv, offensiv, spektakulär, dominant. Also all das, was gegen Spanien zu hundert Prozent fehlte. Der Grat ist schmal.
Zumal die EM-Ausgabe 2024 vom Talent her eine der schwächsten Italiens seit Jahren ist. Ausnahmekönner wie Baggio, Totti oder Del Piero sucht man vergebens. Doch auch die 21er-Ausgabe hatte die nicht wirklich, wenn man von den Abwehrhaudegen Chiellini/Bonucci absieht. Tonali könnte ein solcher sein, doch der ist nach wie vor wettgesperrt. Oder Chiesa in der Form der EM 2021, doch der ist seit seinem Kreuzbandriss im September 2023 nach wie vor nicht der alte.
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«Mit taktischer Stärke und Mut»
Und so muss es halt über typische italienische Tugenden gehen.
Die hat die «Gazzetta dello Sport» vor dem «Final» gegen Kroatien wunderbar beschrieben: «Wir verstehen es, in schwierigen Momenten eine echte Mannschaft zu werden. Wir haben immer fighten und uns opfern können und das Herz reinhauen, wenn sich Hindernisse in den Weg stellten. Wenn wir nicht dominant oder spektakulär oder perfekt sein können, so können wir doch ein Italien sein, das so oft mit taktischer Stärke, mit Aufmerksamkeit, mit Mut, mit Herz und Stolz das gewünschte Resultat erreicht hat.» Amen.