Wäre die Geschichte von Josip Ilicic (36) nicht Realität, man würde sie als Märchen abtun. Vier Jahre lang ist er vom Bösen – in seinem Fall war es eine Depression – herausgefordert worden. Spätestens seit dieser Woche ist klar, dass er bzw. das Gute gesiegt hat.
Erst wird Ilicic völlig überraschend ins vorläufige EM-Aufgebot Sloweniens aufgenommen. Und dann trifft er am Dienstagabend gegen Armenien in seinem ersten Länderspiel nach drei Jahren sogleich ein Tor. «Il Professore», wie ihn einst die Atalanta-Fans nannten, ist zurück. Endlich.
Corona riss alte Wunden auf
Ilicics lange Leidenszeit beginnt mit der Coronakrise. Als Anfang 2020 das Virus grassiert, ist er auf dem Höhepunkt seiner Karriere. In bester Erinnerung sind seine vier Tore beim 4:3-Sieg von Atalanta in Valencia im Achtelfinal-Rückspiel der Champions League. Es war der 10. März 2020.
Nach diesem Spiel ist nichts mehr wie zuvor. Bergamo gilt als Epizentrum der Seuche. Abgeschottet von seiner Familie in Slowenien sieht Ilicic, wie Militärtransporter die Leichen aus der Stadt transportieren, was in ihm alte Wunden aufreisst. Solche aus der Kindheit, als er mit seiner Familie während des Jugoslawien-Kriegs aus Bosnien nach Slowenien flüchtete und dabei seinen Vater verlor.
Ilicic fällt in eine Depression. Als die Grenzen im Sommer 2020 ein erstes Mal wieder öffnen, begibt er sich schnurstracks in seine Heimat in psychische Behandlung. Die Zeit tut ihm derart gut, sodass er schon im Herbst einen Neustart wagt. Es sieht gut aus. Doch das ist nur die Aussenwahrnehmung. Die Lust am Fussball hat er verloren. Ein gutes Jahr später kehren seine inneren Dämonen zurück.
Sein Traum geht wohl doch noch in Erfüllung
Es wird wieder dunkel in Ilicics Leben und er verschwindet von der Bildfläche und vom Spielfeld. Diesmal scheint es endgültig. Er geht erneut zurück nach Slowenien in seine Heimat. Er hört auf, Fussballer zu sein, verliert seine Fitness, gibt mental auf. Sein Vertrag mit Atalanta löst er einvernehmlich auf.
Erst danach geht es für Ilicic langsam, Schritt für Schritt, wieder nach oben. Im Herbst 2022 bietet sein Jugendklub Maribor ihm an, wieder mit dem Fussballspielen zu beginnen. Er unterschreibt zwar, will aber nichts überstürzen. Erst in der jüngst abgeschlossenen Saison ist er wieder regelmässig zum Einsatz gekommen. Und dabei hat er mit acht Toren und elf Assists so sehr überzeugt, dass Nati-Trainer Matjaz Kek (62) ihn wohl mit an die EM nimmt.
Ilicic träumte schon immer von einem grossen Turnier mit Slowenien. Nun scheint das doch noch in Erfüllung zu gehen. So wie in einem Märchen halt, wo das Böse am Ende der Geschichte immer verschwunden ist und das Gute siegt.