An der EM aufgefallen
Was hat es mit der Einheitsfrisur der Fussballspieler auf sich?

Gefühlt mehr als die Hälfte aller EM-Spieler hat dieselbe Frisur. Woher sie kommt und weshalb sie auch als Orakel für zukünftige haarige Zeiten gelesen werden könnte.
Publiziert: 27.06.2024 um 16:14 Uhr
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Aktualisiert: 28.06.2024 um 12:09 Uhr
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Fade 1: Schweizer Nati-Spieler Noah Okafor.
Foto: UEFA via Getty Images
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Silvia TschuiGesellschafts-Redaktorin

Hast du schon bemerkt, dass mindestens die Hälfte der aktuellen Fussball-EM-Nationalspieler nationenübergreifend dieselbe Frisur hat? So an den Seiten und wahlweise auch am Nacken bluttrasiert und dann mit einem raspelkurzen Übergang ein paar Millimeter länger gegen oben, bis dann oben auf dem Kopf eine Matte ein paar Zentimeter lang stehen bleibt? Elvedi, Okafor, Widmer, Aebischer, Sierro, Xhaka sind noch nicht mal alle aus der Schweizer Nati mit dem Kahlschlag-Halbteppich, in anderen Teams sieht es gleich aus.

«Fade» heisst die Frisur, nicht auf Deutsch fa-de, sondern auf Englisch fejd ausgesprochen, es gibt sie in der «low», «high» oder «mid»-Variante, wobei «fade» in diesem Kontext ungefähr etwas zwischen «verblassen» und «Übergang» bedeutet und die anderen Wörter die Höhe an den Seiten des Kopfs bezeichnen, wo dieser Fade stattfindet. Der «Fade» ist gerade überall zu sehen, nicht nur auf dem Fussballfeld, und man könnte sich jetzt zeilenlang darüber auslassen, wie schade es ist, dass sich heutzutage Tiktok- und Instagramtrends – ob in der Mode, der Musik oder eben ein Haarschnitt – überall sofort verbreiten und so ein westlich-kultureller Einheitsbrei in fast allem entsteht, der kaum mehr lokale Eigenheiten und Subszenen zulässt.

Der Haarschnitt kam das erste Mal ab 1910 auf

Dabei ist die Frisur ein alter Zopf, ein uralter sogar. Vor hundert Jahren war sie zuletzt brandaktuell, weggegangen ist der in seinen früheren Ausprägungen «Undercut» genannte Stil nie: Punks trugen ihn in den 1980er-Jahren in einer wilden Variante mit Irokesenschnitt, und der Schweizer Nati-Friseur Fatos Haxhjia (30) aus Kriens LU weiss: «Seit ungefähr dem Jahr 2010 ist dieser Style wieder im Kommen, in der Schweiz seit ungefähr 2015.» Nur seit dann wieder in der ursprünglichen, zackigen Variante.

Denn etwas Militärisches hat das Ganze – Wehrmachtsoldaten kommen einem in den Sinn. Das erste Mal, als die Frisur in der westlichen Welt eine so grosse Verbreitung fand, war ab 1910. Der Undercut entstand in England und Schottland unter jungen Working-Class-Männern, die kein Geld für eine aufwendigere, besser geschnittene Frisur hatten – der Haarschnitt wurde mit Armut assoziiert. Weitere Verbreitung fand er während des 1. Weltkriegs, als Militärfriseure Soldaten im Akkord und möglichst uniform das Haar rasierten. Dieselbe Soldatenästhetik fand auch im 2. Weltkrieg weite Verbreitung – der Undercut hiess zeitweise auch «Hitlerjugendschnitt». Bis heute mögen Diktatoren den zackigen Militärschnitt, man betrachte etwa die Quadratschädel-Variante des Nordkorea-Diktators Kim Jong-un.

Vielleicht ist auch Schauspieler Cillian Murphy für den Trend verantwortlich

Vielleicht ist die Frisur tatsächlich ein modischer Niederschlag eines gesamtgesellschaftlichen Trends hin zu zackiger «Männlichkeit». Vielleicht haben aber auch alle einfach vor ein paar Jahren «Peaky Blinders» auf Netflix geschaut. Dort sah Schauspieler Cillian Murphy (48) als Gangsterboss Tommy Shelby derart unverschämt charismatisch aus, dass die Frisur, verstärkt von Instagram und Tiktok, einfach Trend werden musste.

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