Er wurde geliebt, gehasst, verteufelt und verehrt
Das dramatische Leben von Ungarns Fussball-Idol Ferenc Puskas

Er war klein und pummelig, doch wurde er ein ganz Grosser des Weltfussballs. Warum Ferenc Puskas für Ungarn auch heute noch unverzichtbar und überall präsent ist.
Publiziert: 12.06.2024 um 10:52 Uhr
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Aktualisiert: 13.06.2024 um 23:19 Uhr
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An der Becsi-Strasse Nr. 61 in Budapest findet man die Statue von Ferenc Puskas, die am 28. März 2013 enthüllt wurde. Sie zeigt die elegant gekleidete Fussball-Legende, die drei Strassenkinder mit seiner Kunst verblüfft.
Foto: Sven Thomann

Man kann nicht über den ungarischen Fussball schreiben, ohne Ferenc Puskas in den Mittelpunkt zu stellen. Er ist in Ungarn auch heute noch überall präsent. Strassen sind nach ihm benannt, Pubs, Metrostationen, Akademien, sogar Fussballklubs. Zudem heisst gefühlt jeder dritte Ungar «Ferenc».

Dabei hiess der Verehrte bei seiner Geburt gar nicht Ferenc Puskas, sondern Franz Purczeld. Als Sohn eines deutschstämmigen Donauschwaben kam er am 1. April 1927 im Budapester Arbeiterviertel Kispest zur Welt. Als er zwölf Jahre alt war, nahm sein Vater den ungarischen Nachnamen Puskas an und aus Franz wurde Ferenc. Später änderte Ferenc auch sein Geburtsdatum auf den 2. April. Er war wohl nicht zu Scherzen aufgelegt.

Der grosse Pelé sagte einst über Puskas: «Kein Stürmer kam mit einem solch wundervollen linken Bein zur Welt wie er.» Was folgte, war eine Traumkarriere: Mit 16 spielte er für Kispest Budapest, mit 18 debütierte er in der Nationalmannschaft, wo er später zum Captain, Leader und Aushängeschild der «Goldenen Elf» wurde.

Puskas-Shirts sind heute noch erhältlich

Das stalinistisch geführte Ungarn konzentrierte sich auf zwei Fussballklubs. Kispest wurde in Honved umbenannt, was Heimatverteidigung heisst, MTK Budapest wurde zu Vörös Lobogo (Rotes Banner) und die Nationalmannschaft bald zum eingespielten Team aus diesen zwei Klubs, die gespickt waren mit Ausnahmetalenten. Die Spieler wurden zu Figuren der kommunistischen Propaganda. Allen voran Ferenc Puskas.

Doch zurück in die Gegenwart. In den Sportgeschäften in Budapest sieht man Fussballleibchen im Schaufenster. Shirts von Ronaldo, Messi, Mbappé und daneben wie selbstverständlich auch Puskas-Shirts mit der Nummer 10. Im III. Budapester Bezirk findet man eine Statue von Puskas. Sie zeigt den Helden im Anzug, mit dem linken Fuss einen Ball jonglierend und drei Kinder, die ihm staunend zuschauen.

Am 9. Dezember 2006 wurde Puskas in der Budapester St.-Stephans-Basilika, der schönsten und grössten Kirche Ungarns, in einer staatsmännischen Zeremonie neben den Königen beigesetzt. Das war drei Wochen, nachdem er gestorben war. Puskas litt an Alzheimer. Im ganzen Land, so auch vor dem Parlamentsgebäude in Budapest, wehten die Flaggen auf halbmast, die Regierung rief am Zeremonientag Staatstrauer aus. Nun liegt Puskas neben den Blaublütern, über ihm die kirchliche Pracht, im Gewölbe der Basilika. Besuchen darf man das Grab nicht. Die Familie möchte, dass er seine Ruhe hat.

Einer der besten Real-Spieler der Geschichte

Viel Prominenz erwies dem Fussballer 2006 die letzte Ehre. Auch Real-Präsident Ramon Calderon war nach Budapest gereist. Er lobte Puskas als einen der besten Spieler, die je für Madrid aufgelaufen sind. Acht Jahre lang spielte der Ungar für Madrid. Dass er überhaupt nach Spanien ging, und da sogar die spanische Staatsbürgerschaft annahm, hat eine unrühmliche Vorgeschichte, die mit der Schweiz zu tun hat.

Die Ungarn galten in den Fünfzigern im Fussball als unschlagbar. 1952 siegten sie bei Olympia, 1953 entzauberten sie im Wembley die Engländer 6:3 und liessen ihnen auch beim Rückspiel in Budapest keine Chance. An das 7:1 wird heute noch mit einem riesigen Mauerwerk mitten in Budapest erinnert. Klar, dass dieses «Goldene Team» bei der WM 1954 in Bern als haushoher Favorit galt – und so spielten die Ungarn auch. In der Gruppenphase wischten sie die Deutschen noch mit 8:3 vom Feld. Im Final standen sich die beiden Teams erneut gegenüber. Die Deutschen gewannen 3:2, das Spiel wurde für sie zum «Wunder von Bern», für die Ungarn zum «Albtraum von Bern». Bei den ungarischen Fans schlug die Liebe in Wut um. Viele vermuteten absurderweise, dass Puskas und seine Kollegen den Final für 50 Mercedes und viel Bares verkauft hätten. In Ungarn gab es drei Tage lang Unruhen, wohl erste Vorboten der Oktoberrevolution von 1956.

Der Untergang von Ungarn als Fussballmacht

Am 23. Oktober 1956 protestierten Studenten in Budapest für Reformen, die Menschenmenge wurde immer grösser. Am Abend liess die Regierung auf die Menschen schiessen. Was folgte, war ein bewaffneter Volksaufstand, die Bildung einer eigenen Regierung, der Austritt aus dem Warschauer Pakt, der Ausruf der Unabhängigkeit. Die neue Freiheit dauerte bloss ein paar Tage, dann fuhren die sowjetischen Panzer ein und schlugen den Aufbruch mit Gewalt nieder.

Puskas war da mit Honved gerade im Ausland. Im TV sahen die Spieler in einem Wiener Hotel die Bilder aus Budapest. Was tun? Dem Freiheitsdrang folgen und mit einem lukrativen Vertrag zu einem Topklub im Westen gehen? Oder Ungarn treu bleiben? Puskas und ein paar andere Spieler fällten eine folgenschwere Entscheidung. Sie kehrten nicht in die Heimat zurück. Das war gleichbedeutend mit dem Untergang Ungarns als Fussballmacht. Aus dem Helden Puskas wurde schnell ein Landesverräter, ein Fahnenflüchtiger. Die Kommunisten nutzten jede Gelegenheit, die Abtrünnigen zu verunglimpfen und machten Druck auf die Fifa. Also wurde Puskas für zwei Jahre gesperrt. Schon immer etwas pummelig, legte er im fussballlosen Wiener Exil geistig leer und völlig frustriert noch mal mächtig zu.

Als er seine Freunde nicht mehr erkannte

Als er nach Ablauf der Sperre zu Real Madrid wechselte, musste er erst mal 18 Kilos abspecken. Doch es wurde eine Erfolgsgeschichte. Als kongeniales Duo mit Alfredo Di Stefano reihten die Königlichen Sieg an Sieg. Mit Puskas, den die Spanier liebevoll «Pancho» nannten, gewannen sie dreimal die Champions League (damals Europapokal der Landesmeister), den Weltpokal, fünfmal die spanische Meisterschaft und einmal den nationalen Cup. Für die ungarische Nationalmannschaft lief er in dieser Zeit noch viermal auf, 1966 beendete er seine Karriere.

Erst 1992, als der Eiserne Vorhang gefallen war, kehrte Puskas endgültig in seine Heimat zurück, wo er 1993 für kurze Zeit Trainer der Nationalmannschaft wurde. Einige Jahre später erkrankte er an Alzheimer. Im Rahmen des Champions-League-Finals 2002 zwischen Madrid und Leverkusen, gab es ein Legenden-Treffen der alten Real-Helden. Als Di Stefano bemerkte, dass Puskas ihn nicht mehr erkannte, schloss er sich weinend im Hotelzimmer ein und verzichtete auf die Fotosession.

Zu erklären, warum Puskas heute noch verehrt wird und überall in Ungarn präsent ist, ist nicht ganz einfach. Es hat sicher mit der Liebe der Ungarn zum schönen Fussball zu tun, mit der Erinnerung an die alten grossen Zeiten. Aber auch mit der Rolle von Puskas als Mann, der den Sowjets damals die Stirn bot. Er gilt als Symbol für den Unabhängigkeitswillen der Ungarn und auch als Patriot, obwohl er so viele Jahre in Spanien war und den spanischen Pass besass.

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