Emotionaler Southgate
«Wir alle wollen geliebt werden»

England steht wie 2021 im EM-Final, aber erstmals überhaupt im Endspiel einer Endrunde ausserhalb der Heimat. Der harsch kritisierte Gareth Southgate könnte seine Mission nun doch erfüllen: England den ersten Titel seit dem WM-Titel 1966 bescheren.
Publiziert: 11.07.2024 um 11:08 Uhr
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Aktualisiert: 12.07.2024 um 08:57 Uhr
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Gareth Southgate schreit seine Emotionen raus.
Foto: Getty Images
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Christian FinkbeinerStv. Fussballchef

«Sweet Caroline» und «Football’s coming home» dröhnt es aus den Boxen des Westfalenstadions in Dortmund. Die englischen Spieler lassen sich nach dem Last-Minute-Sieg gegen Holland von den mitgereisten Fans feiern.

Als Jude Bellingham, Matchwinner Ollie Watkins und Co. langsam abdrehen, taucht Trainer Gareth Southgate (53) auf, reisst seine Arme mehrmals in die Höhe und schreit Richtung Kurve. Die meisten klatschen und jubeln, einige aber pfeifen auch. Das Verhältnis zwischen den englischen Fans und ihrem Trainer – es ist und bleibt kompliziert.

Zwei Finals, ein Halb- und ein Viertelfinal

Es ist ein emotionaler Ausbruch des ansonsten so stoischen und kontrollierten Cheftrainers der Three Lions. Später erklärt Southgate seine Gefühle: «Jeder von uns möchte geliebt werden.» Die Kritik sei hart, ebenso wenn man viel investiere, aber nichts zurückkomme. Aber der Moment mit den Fans sei sehr speziell gewesen. «Sie haben viel Geld ausgegeben, um uns zu unterstützen. Und wir haben sie mit einer schönen Nacht belohnt. Wie so oft in den letzten Jahren.»

Platz 4 an der WM 2018, Finalist an der EM 2021, Viertelfinalist an der WM 2022, und nun erneut der Finaleinzug, die Bilanz Southgates ist ausgezeichnet. «Ich bin 2016 gekommen, um den Fussball in England zu verbessern und den Erfolg zu bringen.» Das hat er geschafft, zumal vor ihm seit 1996 und seinem an der EM im Halbfinal gegen Deutschland verschossenen Penalty kein englisches Team mehr die Runde der letzten vier erreicht hat. Und trotzdem wünschten die Fans in der Vorrunde Southgate zum Teufel. Weil er nicht so aufstellt, wie sie das gerne hätten und England in Deutschland keinen berauschenden Fussball spielt – trotz ihres enormen individuellen Talents.

Das letzte Spiel?

Gegen Holland deuten die Engländer aber erstmals an, wozu sie spielerisch fähig sind. In der ersten halben Stunde treten sie dominant auf, wobei sie sich einmal mehr nach dem frühen Rückstand als Entfesselungskünstler entpuppen. Während sie sich gegen die Slowakei erst durch das Traumtor von Bellingham in extremis vor dem Aus retten können und gegen die Schweiz sie erst Sakas Ausgleich in die Verlängerung und das Penaltyschiessen rettet, scheinen sie nun im Turnier angekommen zu sein. Und: Der Instinkt täuscht Southgate nicht. Die kurz zuvor eingewechselten Cole Palmer und Ollie Watkins sorgen mit dem herrlichen Tor in der 91. Minute für den holländischen «Sudden Death».

«Ist es ihr letztes Spiel?», wird Southgate mehrmals während dieses Turniers von den Journalisten, die ihn harsch kritisieren, gefragt. Southgate bleibt jeweils cool, trotz der teils respektlosen Kommentare. Womöglich könnte der Final am Sonntag aber tatsächlich sein letztes Spiel als England-Trainer sein. Ein Zyklus komme zu einem Abschluss, sagt Southgate nach dem Halbfinal kryptisch. «Aber wir sind noch nicht am Ende, den grössten Test haben wir noch vor uns.» Falls er den besteht, würden die Fans in England ihn zwar nicht innig lieben. Ihm zumindest aber eine Statue errichten, müssten sie.

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