Die Fussball-Europameisterschaft in Frankreich geht zu Ende. Der Gastgeber, als einer der Topfavoriten eher verhalten ins Turnier gestartet, steht im Final. Das Team hat sich kontinuierlich gesteigert. Es wurde immer mehr von der Euphorie im Land getragen.
Wie 1984 und 1998, als die Franzosen im eigenen Land Europa- und Weltmeister wurden. Ein erneuter Titelgewinn wäre Balsam auf die Wunden einer gebeutelten Nation.
Die schrecklichen Terroranschläge haben die Grande Nation erschüttert. Soziale Spannungen, wirtschaftliche Sorgen, eine hohe Arbeitslosigkeit: Frankreich durchlebt schwierige Zeiten. Und die Vorzeichen vor dieser EM-Endrunde waren reichlich düster.
Die lähmende Angst vor weiteren Terrorakten blieb glücklicherweise bis zur Stunde unbegründet. Die Angst vor Streiks und einer Eskalation im Streit der Gewerkschaften ebenso. Die Erfolge des Nationalteams lösen zwar keine Probleme. Aber sie tun Frankreich gut!
Auf der anderen Seite: Die Sehnsucht nach einem grossen Titel ist auch in Portugal gross. Der Schmerz der Finalniederlage an der Heim-EM 2004 gegen Griechenland ist präsent. Die beste portugiesische Spielergeneration seit Eusébio möchte auch gerne einen Titel.
Klappt es wieder nicht, dürfte man in Portugal wieder Fado hören. Diesen melancholischen Musikstil, der die unglückliche Liebe und die Sehnsucht nach besseren Zeiten zum Inhalt hat. Niemand kultiviert die Traurigkeit so sehr wie die Portugiesen.
Was bleibt sonst von dieser EM? Der Entscheid, das Feld auf 24 Mannschaften aufzustocken, war richtig. Kein Team ist komplett abgefallen. Im Gegenteil: Gerade die vermeintlich Kleinen waren die grosse Bereicherung. Das Märchen der komplexlosen Isländer hat Europa fasziniert und den Inselstaat ins Zentrum gerückt.
Das Team ist der Star, das war lange Zeit der Trend dieser Endrunde. Gerade die Isländer stehen stellvertretend dafür, was man auch auf höchster Stufe als solidarisches und willensstarkes Kollektiv erreichen kann.
Am Ende aber stehen halt trotzdem wieder zwei Teams im Final, die über einen herausragenden Individualisten verfügen. Sie heissen Antoine Griezmann und Cristiano Ronaldo. Bei aller Romantik: Die Mannschaft ist nur der Star, wenn sie auch über Topskorer der Extraklasse verfügt. Über Spieler, die in jeder Partie den Unterschied machen können. Das war so, und das bleibt so. Der Fussball ist also in Frankreich nicht revolutioniert worden.
Ein solcher Skorer hat bei Deutschland gefehlt, er hat bei Italien gefehlt. Und er hat auch bei der Schweiz gefehlt. Das Team von Vladimir Petkovic hat ein solides, ein gutes Turnier gespielt. Aber kein überragendes, wenn man sieht, was Teams wie Island und Wales aus ihren Möglichkeiten gemacht haben. Zumindest ist die Schweiz der einzige Gegner, der gegen Finalist Frankreich nicht verloren hat.
Für die emotionalste Geschichte sorgte Wales. Gary Speed, der walisische Nationalcoach, nahm sich 2011 das Leben. Bei einem Gedenkspiel standen seine beiden Söhne auf dem Feld. Und Chris Coleman, sein bester Freund, an der Seitenlinie. Coleman wurde kurz darauf Nachfolger von Speed.
«Der Geist von Gary ist immer bei uns, wir werden ihn nie vergessen», sagte Coleman vor Turnierbeginn. Der Geist von Gary trug das Team bis in den Halbfinal. Eine wunderbar traurige Geschichte.
Nicht jedes Spiel war ein Spektakel, nicht alles war ein Hochgenuss. Aber es war über weite Teile eine gute, eine unterhaltende, eine stimmungsvolle EM.
Vor allem aber: eine EM frei von Angst und Terror!