Fast ein Jahr ist es her. Am 13. November 2007 werden zwölf aktuelle oder ehemalige Spieler des FC Thun vorübergehend festgenommen. Der Tatverdacht: Sexuelle Handlungen mit einer 15-Jährigen. Roman Friedli, einst U21-Nationalspieler, wird auch vernommen – und knapp sechs Wochen später fristlos entlassen. Auf reinen Verdacht von Ex-Präsident Kurt Weder hin, sagt der Mittelfeldspieler. «Man warf mir vor, mit dem Mädchen was gehabt zu haben. Dass ich dem BLICK Geheimnisse offenbart hätte. Dass ich Anzeige bei der Polizei erstattet hätte. Alle drei Dinge sind frei erfunden», sagt ein geknickter Friedli beim Termin im Restaurant «Bahnhof» in Murten, seinem Heimatdorf. Friedli hat aufgehört mit Fussball, ist in seine Heimat gezogen, fährt im blauen Nissan Micra vor. Der FC Thun schuldet ihm noch immer sechs Monatsgehälter. Nachdenklich stochert er in seinem Salat. Er bestellt kurz darauf einen Kaffee. Dann packt er als erster Beteiligter des Sex-Skandals aus. Ein Gespräch über das 15-jährige Mädchen, Maulwürfe, das Wort «Vorlocher», Alkohol und Nikotin.
SonntagsBlick: Herr Friedli, wann ist Ihnen das 15-jährige Mädchen am Spielfeldrand erstmals aufgefallen?
Roman Friedli: Sie war immer da, seit ich 2006 zu Thun kam. Sie gehörte zu einer Handvoll Fans, die regelmässig zum Training kamen. Es fielen manchmal Sprüche. Da dachte man schon, dass da mit dem einen oder anderen Spieler etwas gelaufen ist. Aber das geht einen ja nichts an. Ich interessiere mich erst mal nicht für das Sexualleben meiner Mitspieler.
Gab es für Sie erste Hinweise?
Meine Freundin kam mal ins Training und sass währenddessen neben dem Mädchen. Danach sassen meine Freundin und ich im Auto, sie fragte mich: «Hey, hat dieses Mädchen was mit den Spielern?» Offenbar hat sie so von den Spielern geschwärmt, dass meine Partnerin das daraus gefolgert hat. Da habe ich zum ersten Mal an diese Möglichkeit gedacht.
Wussten die Spieler, dass das Mädchen erst 15 Jahre alt ist?
Nein. Das war nie ein Thema. Es war einfach ein Mädchen mit vielen Sorgen, mit vielen Problemen. Es pubertierte, hatte sich noch nicht gefunden. Ihre Mutter und ihre Schwester waren auch manchmal bei Spielen oder ich habe sie beim Einkaufen im Coop getroffen. Das Mädchen hatte einfach extrem Freude an den Spielern, wie es bei einer Pubertierenden halt ist.
Seit September 2007 ermittelt die Polizei, bevor sie am 13. November zuschlägt. Einzelne Spieler werden in der Rekrutenschule abgeholt, andere bei ihrem Nati-Zusammenzug. Roman Friedli steht auf dem Trainingsplatz, als der Masseur zu ihm kommt. «Die Polizei wartet auf dich, komm mit», sagt dieser zu ihm.
Die Beamten setzten Sie ins Polizeiauto. Was geschah dann?
Ich fragte die beiden Polizisten, was los sei. Sie sagten mir, sie dürften das nicht beantworten. Ich ging durch die Hölle, bin in Gedanken das ganze Sündenregister meines Lebens durchgegangen. Bin ich da oder dort zu schnell gefahren? Mir fiel aber nichts ein, was einen Abtransport im Polizeiauto rechtfertigen würde. In meinem ganzen Leben kam ich nur wegen Falschparkens mit dem Gesetz in Konflikt. Im Polizei-Präsidium sagte man mir endlich: ‹Herr Friedli, Sie sind für uns die Auskunftsperson. Sie sind nicht verdächtig, aber wir wollen von Euch wissen, was passiert ist.› Da kam immer die Frage: Wissen Sie, wer mit diesem Mädchen was hatte? Ich wusste es nicht genau.
Haben Sie mitgekriegt, wie andere Spieler abgeführt wurden?
Nein. Nur nachher habe ich gehört, dass bei einzelnen Spielern die Wohnungen durchsucht und Computer und Datenträger beschlagnahmt wurden. Wie man es aus dem Fernsehen kennt.
Bald danach trainierten wieder alle mit. Was war da in der Kabine los?
Es war schlimm. Chaos pur. Wie ein Ameisenhaufen. Jeder sprach mit jedem, und keiner hatte natürlich was mit dem Mädchen gehabt. Einige verloren die Nerven, man machte einander Vorwürfe, begann sich auszufragen. Es war eine furchtbare Zeit. Familienväter forderten, dass man schnell kommunizieren müsse, dass sie nichts damit zu tun hätten. Man wusste nichts – und die Bosse sprachen nie mit uns. Es war dilettantisch.
Der FC Thun ist völlig überfordert. Präsident Kurt Weder und Kommunikations-Chef Marco Oswald machen eine katastrophale Figur. Sie engagieren zwei Psychologen, die Aufklärung bringen sollen. Die machen mit den Spielern einen Ausflug aufs Stockhorn, dessen Gipfel 2190 m. ü. Meer liegt.
Was machten die Psychologen?
Es hatte mit Misstrauen der Vereinsleitung gegenüber den Spielern zu tun. Die Bosse wollten drei Dinge herausfinden, weil sie keine Ahnung hatten, was lief. Wer was mit dem Mädchen hatte, ob ein Spieler seine Mitspieler bei der Polizei angezeigt hatte, wer dem BLICK Interna steckte. Für alles wurde ich verdächtigt.
Was haben sie herausgefunden?
Die Psychologen schleppten uns Spieler zur Gruppensitzung auf das Stockhorn. Das heisst: Alle Spieler, die beiden Trainer, der Sportchef und die Psychologen fuhren mit dem Seilbähnli hoch. Da oben mussten wir einen Kreis bilden.
Und dann?
Jeder Spieler musste über seine Situation reden. Die zwei zentralen Fragen dabei: Wer hatte etwas mit dem Mädchen? Wer hat mit dem BLICK geredet? Der psychologische Druck war immens. Du musstest vor allen die Hosen runterlassen.
Was war das Ergebnis?
Die Spieler, die was mit dem Mädchen hatten, gaben alles zu. Sie sagten, es tue ihnen leid, sie hätten einen Fehler gemacht. Das Interessante war ja: Alle Spieler, die nichts gemacht hatten, sagten, man solle die fehlbaren Jungs wieder integrieren, sie hätten eine zweite Chancen verdient. Nur: Das Trainergespann sagte ganz klar, so etwas sei unverzeihlich. Bei dem, was vorgefallen sei, hätten die Jungs keine zweite Chance verdient.
Und der Maulwurf?
Ein junger Spieler sagte, er sei der Spieler, auf dem jener Zeitungsartikel aufgebaut sei. Zwei Journalisten hätten bei ihm zu Hause geklingelt, er hätte unter der Dusche gestanden. Er hätte sie hereingebeten, weil er auf dem falschen Fuss erwischt worden sei. Er sei überrumpelt gewesen, hätte den Journalisten einfach anständig ein paar Antworten gegeben.
Der BLICK hatte zwei Tage nach Bekanntwerden des Skandals getitelt: «Alle wussten alles». Darin gab ein Thun-Spieler anonym Auskunft. Der FC Thun unterstellt Friedli noch heute, der Maulwurf gewesen zu sein – obwohl ein anderer Spieler auf dem Stockhorn zugab, dass er es war. SonntagsBlick kennt die Quelle (es war nicht Friedli) und fragte den damaligen Thun-Anwalt und heutigen Klub-Präsidenten Markus Stähli, warum er noch immer an dieser Version festhält. Stähli sagt: «Wenn Friedli wirklich nicht der BLICK-Informant gewesen ist, würde ich an seiner Stelle gar nicht auf Vergleichsverhandlungen einsteigen.» Friedli kontert: «Ich bin gar nie auf Vergleichverhandlungen eingegangen.» Er fordert sein komplettes Gehalt für die sechs Monate und die Anwaltskosten. Alles in allem geht es um eine hohe fünfstellige Summe – Thun hat mehrere für Friedli zu tiefe Angebote gemacht.
Sie wurden auch aufgrund einer Aktennotiz entlassen. Darin beschrieben Trainer René van Eck und Assistent Christian Brand ein Gespräch mit Ihnen. Sie sollen gesagt haben, Spieler X sei «der Vorlocher» des Mädchens gewesen.
Ich weiss nicht, wovon van Eck und Brand da reden. Dieses Wort habe ich gar nicht gekannt. Es war so: Wir sassen vor einem Spiel an Tischen, haben gegessen. Es wurde über das Mädchen gesprochen und ein anderer Spieler hat gesagt: «Der X war doch der Vorlocher von der…» Die Aktennotiz bekam ich erst nach der Kündigung, dabei war sie vom 13. November. Die Vermutung liegt nahe, dass sie später geschrieben wurde, um meine Kündigung zu rechtfertigen. Vielleicht wollte Thun einfach ein halbes Jahr Gehalt sparen. Vielleicht fehlte Thun Geld, immerhin hatte der Klub in zwei Jahren vier verschiedene Trainer und vier Sportchefs, die man auszahlen musste.
Also lügen van Eck und Brand?
In dieser Sache haben beide definitiv gelogen, weil sie mit der Vereinsleitung zusammengearbeitet haben. Richtig ist: Wir hatten nach der Polizeibefragung ein knapp zehnminütiges Gespräch, weil die beiden Informationen wollten. Aber da habe ich dieses Wort definitiv nicht benutzt.
René van Eck ist heute Trainer beim deutschen Drittligisten Carl Zeiss Jena. Auf Anrufe und SMS von SonntagsBlick reagierte er nicht.
Am 28. Dezember 2007 erhielten Sie die Kündigung. Was passierte an jenem Tag?
Ich war zu Hause in Flamatt und es klingelte zwei Mal an der Tür. Ich dachte, der Pöstler kommt und bringt ein Päckli. Aber er hat mir die Entlassungspapiere übergeben. Da bist du einfach nur geschockt. Ich habe meinen Augen nicht getraut und war erstaunt über die Unprofessionalität in dieser Krise.
Wie meinen Sie das?
Der Brief mit der fristlosen Entlassung war nicht mal datiert. Ich habe mir dann einen Anwalt genommen.
Sechs Tage später haben Sie mit dem FC Thun trainiert.
Ja, das Morgentraining habe ich mitgemacht. Dann hat mich der Sportchef in sein Büro zitiert. Der hat mir gesagt, ich dürfte nicht mittrainieren, ich hätte Trainingsverbot. Wenn ich am Nachmittag erscheinen würde, würde man mir Material wie Trainingskleidung gar nicht mehr geben. Der Trainer wolle mich nicht mehr haben, in den Trainingsübungen würde ich einfach nicht mehr eingesetzt. Dann hat der Sportchef mir ein Angebot gemacht. Man könnte mir zwei Monatslöhne zahlen, wenn ich die fristlose Kündigung akzeptieren würde. Darauf ging ich logischerweise nicht ein. Schriftlich wurde sowieso nichts festgehalten.
Dann haben Sie die Trainingskleidung abgegeben.
Ja, der Sportchef hatte mich dazu aufgefordert. Ich sagte ihm, dass ich gerne weiter für Thun spielen würde, dass die Vorwürfe gegen mich nicht stimmen würden. Er sagte, das komme nicht in Frage.
Man warf Ihnen auch Alkohol- und Nikotin-Konsum vor.
Wenn man keine Argumente hat, dann schmeisst man mit Dreck. Ich bin Nichtraucher. Dass ich zwischendurch mal ein Bierchen trinke, ist doch normal, oder ist das verboten?
Im Zuge des Skandals veröffentlichte der FC Thun eine Liste mit 14 unschuldigen Spielern. Ihr Name fehlte darauf, weil Sie verhört worden waren.
Richtig. Das alleine war schon Rufmord. Die Reaktionen waren verheerend. Mein Handy klingelte ununterbrochen. Alle Bekannten, Verwandten, Nachbarn wollten wissen, was los sei. Ich sei doch immer so ein anständiger, rücksichtsvoller Mensch. Hast du wirklich so etwas gemacht? Mein Vater, der bei der Gemeinde in Murten arbeitet, wurde immer wieder darauf angesprochen. Ich habe die ganze Zeit nur damit verbracht, mich zu rechtfertigen. Aber: Die Klage wegen Rufschädigung gegen mich von Thuner Seite wurde ja zurückgezogen, ich bin von allem entlastet. Also war meine Kündigung definitiv ungerechtfertigt.
Der heutige Präsident Markus Stähli, der sein Anwaltsmandat im Fall Friedli inzwischen abgegeben hat, spricht von einer reinen «Goodwill-Aktion» gegenüber Friedli. Allerdings hat Stähli auch genug andere Probleme. Wie die «Berner Zeitung» am Samstag berichtet, drücken den Klub immer noch Altlasten von 500000 Franken, weil Ex-Trainer Van Eck, Ex-Sportchef Gertschen und Ex-Spieler Forderungen hätten. Zudem prüfe eine Treuhand-Firma die Bücher des FC Thun, weil die 20 Millionen Franken aus der Champions League weg seien. Der damalige Verwaltungsrat soll üppige Honorare erhalten haben. Und die in den Sex-Skandal involvierten Spieler? Sechs Spieler des FC Thun werden wegen Sex mit der 15-Jährigen verurteilt: zu bedingten Geldstrafen, Bussen zwischen 400 und 1500 Franken und zu je rund 1000 Franken Genugtuung für das Mädchen.
Viel diskutiert wurde die Frage nach Opfer und Täter. Wie sehen Sie das?
Eine unnötige Frage. Schlussendlich haben alle verloren, es ist doch für alle eine traurige Geschichte. Die Klub-Bosse, die Spieler, das Mädchen. Sie ist eine ganz Arme. In ihrem Alter hatte sie doch noch kein Bewusstsein dafür, was sie da gemacht hat.
Sie als Unschuldigen traf es auch hammerhart.
Und deswegen will ich die kompletten sechs Monate Gehalt, und dass Thun alle Anwaltskosten übernimmt. Jetzt soll ich weniger verdienen, als mir zugestanden wäre und ich soll noch meinen Anwalt bezahlen. Schliesslich haben die Herren meine Karriere zerstört! Nicht nur das, sie haben mich während der ganzen Sex-Affäre auch noch gemobbt. Wegen meinem negativen Ruf danach wollte mich in der Super League keiner mehr haben, mein Marktwert fiel. Wer holt schon einen Maulwurf? Ich habe aufgehört als Profi. Aber es wäre schon viel wert, wenn sich der FC Thun bei mir entschuldigen würde. Einfach nur: Sorry, wir haben einen Fehler gemacht. Aber stattdessen wurde ich härter angefasst als die Spieler, die was mit dem Mädchen hatten.