Nach Auslaufen seines Vertrags als Torwarttrainer beim FC Sion im Sommer 2014 findet er lange Zeit keinen Job. Er geht stempeln. Und leidet. «Anderthalb Jahre lang habe ich gestempelt. 300 Bewerbungen geschrieben. Ich konnte mich nicht ein einziges mal vorstellen. Da ist es egal, dass du mal das Tor der Nationalmannschaft gehütet hast. Da bist du der Lehmann. Basta.»
Einer ohne abgeschlossene Ausbildung. Einer jenseits der fünfzig. Teuer. Schwierig zu vermitteln. «Ich habe es bei Klubs im In- und Ausland versucht. Bei Sportartikel-Firmen. Bei der Anti-Dopingagentur. Als Vertreter. Fast immer gabs eine schnöde Absage.» Mit wenigen Ausnahmen. «Ein englischer Klub schickte eine persönliche Absage mit grösstem Respekt vor meiner Karriere. Aber auch die wollten lieber einen jungen Engländer.»
Ein dreimonatiges Intermezzo im Seefeld in Sarnen OW stellt die Weichen neu. Lehmanns Jugendfreund Hansi (Hanspeter) Burri (52), auch er Ex-Fussballer, hatte da Steph einen Zwischenverdienst ermöglicht. Die beiden kennen sich seit der U15-Nationalmannschaft (die damals Schülernati hiess). Eine Art Test, ob der Ex-Fussballer noch weiss, was Arbeit bedeutet? Burri lacht: «Ich habe gemerkt: Steph hatte mit dem Fussball seinen Beruf verfehlt! Derart gut macht er es. Er ist gastfreundlich, bringt Ideen ein, ist innovativ, teamfähig.»
Und so wird der Grundstein gelegt für den Job im Sempacher Seefeld, den Herr Lehman am 1. März aufnimmt. Ganz nahe bei seiner Heimat Hergiswil NW, wo er seit langem ein Haus hat. Burri, der ein bisschen mehr Erfahrung hat in dieser Branche als in der Fussball-Nati, stellt Herrn Lehmann ein. Und gleich auf dieselbe Stufe wie sich selbst. Auf jene des Chefs. «Wir sind wie Brüder», sagt Burri, «haben gegenseitig volles Vertrauen.» Und die beiden Frauen der Herren Burri und Lehmann? «Die führen das Seefeld in Sarnen», lacht Gastronom Burri.
23 Jahre ist der Luzerner bereits in der Branche tätig. Ein alter Fuchs! Ein Länderspiel hat er gemacht. Das war 1989 beim 1:0-Sieg Brasilien, als er von der Platzmitte den Ball aufs Tor des legendären Claudio Taffarel schoss, um einst seinen Enkelkindern erzählen zu können, er habe mal fast ein Tor gegen die Seleçao gemacht. Legendär sein Auftritt nach dem einzigen Meistertitel des FC Luzern, als Burri sich den Pokal schnappte und in einem Gewaltssprint alleine auf die FCL-Fans zusteuerte.
Längst vergangene Seiten. Die Realität ist nun: Kaffee und Bier ausschenken. Tische putzen. Die Kasse bedienen. Liegestühle aufstellen. Einkaufen. Mitarbeitergespräche führen. Etc. Alles, was so ein Restaurationsbetrieb halt mit sich bringt. «Wir wollen an der Front sein», betont Burri. «Die Leute sollen uns sehen.» Das entsprechend Feedback wertet Lehmann als sensationell.
Der Schritt, mit dem Fussball abschliessen zu wollen, kam schleichend. «Ich machte mir Gedanken darüber, wie ich in Sion abserviert wurde. Wie Christian Constantin dies auf den damaligen Trainer Victor Muñoz schob, dieser aber von alldem nichts wusste. Der Fussball war mein Leben. Doch irgendwann machte dieser einer neuen Herausforderung Platz.»
Zumal Lehmann «nur» das höchste Goalietrainer-Brevet besass, nie die Uefa-Pro-Lizenz gemacht hat. Das verschloss einige Türen. «Dabei hätte er alles für einen guten Cheftrainer», ist Burri überzeugt. Das bewies Lehmann 2004, als er interimistisch (und inoffiziell) Cheftrainer des FC Wil war. In der dieser höchst turbulenten Zeit – Stichwort Igor Belanow - holte der FC Wil den Cupsieg gegen GC. Eine der grössten Sensationen in Schweizer Cupfinals. Vorbereitet wurde der Coup im… Seeland in Sempach. Die Videos schnitt ein gewisser Hansi Burri zusammen.
So also schliesst sich der Kreis. Letzthin fand auf dem Fussballplatz vis-à-vis ein Trainerkurs statt. «Ein Albaner zündete mich an, ob ich zu nichts Schlauerem mehr fähig sei, als Bier zu zapfen“, sagt Lehmann. „Doch das ist mir sowas von egal.» Die meisten wollen ohnehin lieber ein Autogramm oder ein Selfie mit dem Promi, der sie da bedient.
Nun ist der Schritt endgültig vollzogen, Fussball gibts nur noch am TV. In seinem neuen Lebensabschnitt hat der Schaffhauser zu sich selbst zurückgefunden. Es geht ihm gut. Er sieht gut aus. Die Haare schon länger kurz, seit sie grau geworden sind. «Mir geht es grossartig. Das ist viel wichtiger als viel Geld zu verdienen. Geld ja, aber es reicht, wenn man genug hat zum Leben.»
Sagts. Und steht wieder hinter die Kasse. Macht einundzwanzig Franken fünfzig.