Ex-Nati-Trainer Köbi Kuhn ist tot
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Nach langer Krankheit:Ex-Nati-Trainer Köbi Kuhn ist tot

Die Schweiz trauert um Ex-Nati-Trainer
Köbi Kuhn (†76) ist tot

Köbi ist nicht mehr. Lange lebe Köbi National! Jakob Kuhn, der berühmteste Schweizer Fussballer aller Zeiten, den seit Kindsbeinen alle nur «Köbi» riefen, ist 76-jährig gestorben. Der ehemalige Nati-Coach nimmt Rekorde für die Ewigkeit mit ins Grab.
Publiziert: 26.11.2019 um 17:47 Uhr
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Aktualisiert: 28.11.2019 um 15:06 Uhr
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Köbi Kuhn ist gestorben.
Foto: TOTO MARTI
Max Kern

Köbi Kuhn ist tot. Die ehemalige Trainer-Legende der Schweizer Nati ist im Alter von 76 Jahren im Spital Zollikerberg gestorben. Ex-Fifa-Präsident Sepp Blatter bestätigt gegenüber der «Schweizer Illustrierten» die traurige Nachricht: «Es stimmt, er ist am Dienstag nach langer Krankheit gestorben.» Kuhn kämpfte im Oktober mit Lungenproblemen, weshalb er damals in einem Zürcher Spital auf der Intensivstation lag. Bei Köbi wurde bereits im Jahr 2011 Alters-Leukämie diagnostiziert.

Das bewegte Leben der Trainer-Ikone Kuhn

Unvorstellbar, dass Herr und Frau Schweizer Köbi Kuhns Nachfolger als Nati-Coach «Otti» (Ottmar Hitzfeld) oder «Vladi» (Vladimir Petkovic) gerufen hätten. Doch Jakob Kuhn, Schweizer Nati-Coach zwischen 2001 und 2008, war Zeit seines Lebens für jedermann schlicht der «Köbi». «Merci Köbi» steht im Juni 2008 auf einem grossen, mit Schweizer Kreuzen verzierten Transparent. Im Basler St-Jakob-Park verabschieden die Nati-Spieler (unter ihnen Marco Streller, Stephan Lichtsteiner, die Yakin-Brüder und der verletzte Alex Frei) auf dem Rasen ihren väterlichen Coach nach der EM im eigenen Land.

Merci, Köbi!

Köbi ist der einzige Schweizer Fussballer, der sowohl als Spieler (1966 in England) als auch als Trainer (2006 in Deutschland) die Schweiz an einer WM vertritt.

Mit 137 Länderspielen, 64 als Spieler und 73 als Coach, hat er (wohl) einen Rekord für die Ewigkeit aufgestellt. Und hätte er bei der WM 1966 in der legendären «Nacht von Sheffield» und später eines Abends in Oslo als Nati-Spieler nicht zweimal den Zapfenstreich überzogen, wären noch etliche Länderspiele dazugekommen.

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Köbi Kuhn (†76) hat ein erfolgreiches und bewegtes Leben hinter sich.
Foto: TOTO MARTI

Köbi Kuhn ist der letzte Nati-Coach, dessen Name im Telefonbuch zu finden war. Und wohl auch der letzte, den man im Migros in Zürich-Wiedikon mit dem Einkaufskorb in der Hand in der Schlange vor der Kasse treffen konnte. Köbi, sechsfacher Meister und fünffacher Cupsieger mit dem FC Zürich, ist Zeit seines Lebens ein Star zum Anfassen geblieben.

Köbi hats faustdick hinter den Ohren

Köbi Kuhn kommt am 12. Oktober 1943, zwei Jahre vor Ende des Zweiten Weltkriegs, in Zürich-Wiedikon zur Welt. Als viertes von insgesamt fünf Kindern von Jakob und Elise Kuhn. Vater Jakob ist Schreiner und Drechsler. Die Mutter, eine Berner Oberländerin, hilft in den Krisenjahren während und nach dem Krieg mit Putzen aus, um das Haushalts-Budget der siebenköpfigen Familie aufzubessern.

Heinz, der sieben Jahre ältere Bruder, nimmt Köbi schon im Kindergarten-Alter mit auf die Fritschi-Wiese, den berühmtesten Bolz-Platz in Zürich-Wiedikon.

Schon bald darf Knirps Köbi mit den Grösseren mitspielen. Und erstaunt mit seiner Ballfertigkeit. Köbi wird bald von Vertretern des FC Wiedikon entdeckt. Und mit erst 11 Jahren darf er dank einer Sondergenehmigung des Schweizerischen Fussballverbandes in Bern mit den 12- bis 15-jährigen C-Junioren mitspielen.

An der WM 1954 verkauft Köbi an der WM im Zürcher Hardturm-Stadion Programm-Hefte, um ganz nah bei seinen ungarischen Idolen Ferenc Puskas und Nandor Hidegkuti zu sein.

Die Schule ist für Köbi nur Pflicht. Doch auch im ungeliebten Unterricht lässt er mitunter seinen berüchtigten Schalk durchblicken. Einen Aufsatz zum Thema Faulheit gibt er nur mit einem einzigen Satz ab: «Das ist Faulheit.» Typisch, Köbi. Oder als eine Lehrerin bei einem Schulbesuch der Mutter klagt, wenn das so weiter gehe, werde aus dem Bub nichts, konterte Köbi: «Wenn aus mir nichts wird, kann ich immer noch Lehrer werden.»

Meisterschaftseinstand als 17-Jähriger

Stumpen-Edi Nägeli, der populäre FCZ-Präsident zwischen 1957 und 1979, holt den damals 15-jährigen Ausnahme-Könner Köbi zum FCZ.Köbis erster Vertrag: 125 Franken pro Monat. Einen Teil des Lohns gibt er brav der Mutter ab.

Am 19. März 1961 gibt Köbi, erst 17-jährig, seinen Meisterschafts-Einstand bei einem 3:1-Sieg des FCZ gegen Winterthur. Trainer Georg Wurzer bringt Köbi, später nur im Mittelfeld zuhause, im Sturm. Kurz darauf steht er beim höchsten Meisterschaftssieg des FCZ auf dem Platz: Beim 11:0 gegen Lugano schiesst Köbi im September 1961 vier Tore.

Nebenbei macht er eine vierjährige Lehre als Tiefdruckätzer. Monatslohn: 100 Franken.

Mit erst 19 startet Köbi seine Nationalmannschafts-Karriere. Die Schweiz verliert mit ihm in Amsterdam gegen Holland 1:3.

Ende der Sechziger bis Mitte der Siebziger Jahre bildet Kuhn mit seinem Basler Kumpel Karli Odermatt und Rolf Blätter das wohl beste Mittelfeld von ganz Europa.

Köbi, die «Perla blanca»

Seinen FCZ führt Captain Kuhn zu sechs Meistertiteln und fünf Cupsiegen. Unvergessen sind auch die beiden Auftritte im Halbfinal des Meistercups, der heutigen Champions League. 1964 ist gegen Real Madrid (im Bernabeu vor 110 000 Zuschauern!), 1977 gegen Liverpool kurz vor dem Final Endstation für Köbi & Co.

Europäische Top-Klubs reissen sich um Köbi. Olympique Marseille, Brügge, Anderlecht, Porto und der HSV wollen ihn. Am heftigsten buhlt 1966 die AC Milan. Doch kurz vor der Unterschrift machten die Italiener die Grenzen für ausländische Fussballer dicht.

Ein weiterer Höhepunkt ist 1968 das Freundschaftsspiel gegen den FC Santos mit Pelé, in der Zeit vor Maradona und Messi der beste Fussballer der Welt. Köbi & Co. gewinnen im Letzigrund bei Dauerregen 5:4. Köbis Schwester Doris schiesst in der Garderobe ein Foto von Köbi mit Pelé.

1976 wird Köbi mit Hollands Super-Star Johan Cruyff in die Weltauswahl berufen. Im Maracana von Rio und in Salvador spielt er zwei Tests gegen brasilianische Auswahlen. Brasilianische Journalisten taufen ihn «Perla blanca», weisse Perle. In Anlehnung an Pelé, die schwarze Perle. Was für eine Ehre!

«Gern hätte ich noch ein Tor geschossen»

Im Sommer 1969 leistet sich Köbi ein besonderes Intermezzo: Für 500 000 Franken Handgeld und einen Nerzmantel für Gattin Alice, die GC-Vertreter bringen die Scheine in einem Koffer zur Verhandlung ins Grand Hotel Dolder mit, wechselt Köbi über die Geleise. Er unterschreibt bei Erzrivale GC. «Damals ein grosser Klub», sagte Köbi. Er reist mit ins Trainingslager nach Schweden. FCZ-Präsi Edi Nägeli entdeckt den Verlust erst, als in der «Schweizer Illustrierten» ein GC-Poster (mit Köbi) erscheint. Nägeli droht mit einer zweijährigen Sperre! Köbi kommt kleinlaut in den Letzigrund zurück.

Er bleibt als Spieler bis im Sommer 1977. In seiner Autobiografie «Köbi Kuhn», die 2018 zu seinem 75. Geburtstag erschien, schreibt Köbi: «Am 25. Juni 1977 bestritt ich auf dem Letzigrund mein 396. und letztes Meisterschaftsspiel für den FCZ gegen Xamax Neuenburg. Ich war 34 Jahre alt – als Fussballer abzutreten ist wie pensioniert zu werden. Meine Begeisterung war jedoch so gross wie am ersten Tag. Und wie vor dem ersten und jedem anderen Match zog ich den linken Schuh zuerst an, eine Geste, die mehr auf Routine als auf Aberglaube zurückzuführen war. Gern hätte ich noch ein Tor geschossen, wurde aber knallhart gedeckt. Irgendwer riss mir auf dem Weg in die Kabine die Captain-Binde vom Arm, um sie wohl als Souvenir zu behalten. Für mich gabs nach dem Match einen Zinnteller und einen Blumenstrauss. Das wars. Nach alledem sass ich mit meiner Frau Alice und meinem Kollegen Werner Leimgruber und dessen Frau im Klubraum, trank drei Bier und rauchte zwei Zigaretten. Ein Abschied nach meinem Geschmack.»

«Wir verliebten und verlobten uns schnell»

Alice war die grösste Stütze in seinem Leben. Köbi in seiner Auto-Biografie: «Der Fussball hatte Alice und mich zusammengebracht. Schon als Mädchen war sie an die Spiele des FC Zürich gekommen durch ihren Onkel Otto Seiler, der in den 40er-Jahren Präsident des Klubs gewesen war, sowie durch ihren Vater, der kaum ein Heimspiel des FCZ verpasste. Sie hatte ein Verständnis für den Sport und dafür, was er für einen Aktiven mit sich brachte. Sie war drei Jahre älter als ich und arbeitete damals in der Splendid-Bar im Zürcher Niederdorf, wo wir einander vorgestellt wurden. Wir verliebten uns und verlobten uns schnell, denn ich wollte klare Verhältnisse und wusste, ich würde für uns sorgen können. Am 6. März 1965 gaben wir uns in der reformierten Kirche Zürich-Witikon das Ja-Wort. Es schneite. Weder meine Eltern noch meine Geschwister waren anwesend. Es war vielleicht nicht die beste Art, mit dem Thema umzugehen, doch ich wählte den Weg des geringsten Widerstands. Eines Tages würden sich die Wogen glätten – davon ging ich aus – und meine Eltern unsere Verbindung anerkennen. Alice war katholisch, ich reformiert. Sie machte es mir leicht, indem sie meine Religion annahm, allerdings spielte der Glaube keine grosse Rolle in unserer Beziehung. Ich weiss noch, dass Alice sich darüber belustigte, als der Pfarrer sagte: ‹Die Frau sei dem Mann untertan.› Davon hielten wir beide nichts! Anstatt mit ihr auf Hochzeitsreise ging ich damals mit unserem Nationalteam zum WM-Qualifikationsspiel nach Albanien.»

Vom Versicherungsheini zum Fussballtrainer

Nach seiner Aktiv-Karriere versucht sich Köbi in der Versicherungs-Branche. Der Versuch endet mit einem Konkurs. Er muss die geliebte Ferien-Wohnung auf der Rigi verkaufen. Zahlt nach und nach allen Gläubigern seine Schulden ab. Bis auf den letzten Rappen.

Danach wird Köbi Trainer. Zuerst im Nachwuchs des FC Zürich. Kurze Zeit als Interims-Coach der ersten Mannschaft. Ab 1995 arbeitet er als Coach der Schweizer Nachwuchs-Auswahlen. Und wird 2001 Coach der Schweizer Nati, die mitten in einer fünfjährigen Durststrecke steckt.

Er bringt die Schweiz an die Euro 2004 in Portugal, zwei Jahre später an die WM in Deutschland. Und 2008 beendet er seine Trainer-Karriere nach der EM im eigenen Land. Das Turnier ist überschattet durch die Krankheit seiner Alice. Just am Tag, als Köbi sein Team in Feusisberg SZ für das Vorbereitungscamp für die EM besammeln will, findet er seine Alice daheim ohnmächtig vor. Die Diagnose lautet: epileptischer Anfall nach einer Bewusstseinsstörung.

Schwere Schicksalsschläge

Die Jahre danach bis zu ihrem Tod am 25. April 2014 weicht Köbi nicht mehr von ihrer Seite. Er schläft in der Reha-Klinik in Mammern TG neben ihrem Bett, lernt kochen, besorgt zuhause in Birmensdorf den Haushalt. Ein halbes Jahrhundert verbringen die beiden zusammen.

Hier weinte Köbi Kuhn um seine Alice
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Im letzten BLICK-Interview:Hier weinte Köbi Kuhn um seine Alice

Einen weiteren Tiefschlag muss Köbi 2018 verkraften: Er muss seine geliebte Tochter Viviane zu Grabe tragen. Sie hat erst 47-jährig ihren langen Kampf gegen die Drogen verloren.

Köbi verliebt sich ein zweites Mal, heiratet im September 2018 seine Nachbarin Jadwiga.

Beliebt in der ganzen Schweiz

Wie beliebt Köbi im ganzen Volk war, belegt eine Publikumswahl im Jahr 2007.

Köbi wird zum «Schweizer des Jahres» gewählt! Eine Auszeichnung an herausragende Persönlichkeiten, die in der Schweiz durch Mut, Innovation, Kreativität und Eigenwilligkeit auf sich aufmerksam gemacht und etwas bewegt oder etwas Wichtiges erreicht haben.

Köbis Name ist auf einer Gedenktafel auf der Älggi-Alp, dem geografischen Mittelpunkt der Schweiz, eingraviert. Die Laudatio hält der damalige Bundesrat Christoph Blocher. «Nicht ein hochkarätiges Expertengremium [...] hat den Schweizer des Jahres gekürt, sondern die Bevölkerung. Entsprechend hoch ist diese Ehrung einzuschätzen», sagt der damalige Bundesrat. «Ihre Leistung ist nicht nur eine sportliche. Sie geht weit darüber hinaus. Wir feiern heute eine hochstehende Persönlichkeit als Menschen und Bürger dieses Landes. Eben ein Vorbild!»

Merci, Köbi! Ruhe in Frieden!

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