Der neue Nati-Captain Lichtsteiner verspricht
«Wir werden die Schweiz stolz machen»

Hier spricht der neue Captain! Stephan Lichtsteiner (32) sagt, warum er die Hymne nicht sang. Wo er die Probleme der Nati ortet. Und erklärt seine Aussage zu «richtigen und anderen Schweizern».
Publiziert: 22.05.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 23:47 Uhr
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Lichtsteiner: «Jeder muss jetzt wieder merken, dass man als Team Fussball spielen muss.»
Foto: LaPresse/Daniele Badolato
Andreas Böni aus Turin

Stephan, Sie sind unser neuer Nati-Captain. Erfüllt es Sie mit Stolz, die Binde zu tragen?

Stephan Lichtsteiner: Es erfüllt mich vor allem mit Stolz, mit der Schweizer Nati aufzulaufen. In diesem Leibchen zu stecken. Unser Land zu repräsentieren. Es war schon als Kind ein Traum, für unser Land zu spielen. Jetzt durfte ich es schon 80 Mal. Ob ich die Binde trage oder nicht, ist weniger entscheidend. Ich war schon immer ein Spieler, der Verantwortung übernommen hat.

Sie stehen für Schweizer Tugenden. Und haben trotzdem die Nationalhymne manchmal nicht gesungen. Warum sind Sie stumm geblieben?

Aus Aberglauben. Eine Zeit lang haben wir jedes Mal verloren und ich habe nicht meine beste Leistung abgerufen, wenn ich mitgesungen habe. Also hörte ich auf, und es lief besser. Vor der WM 2014 sagte ich mir dann, dass ich diese Marotte ablegen muss.

Vor neun Tagen wurde der Kosovo in die Fifa aufgenommen. Spieler wie Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri hätten die Möglichkeit, in der nächsten WM-Quali die Nation zu wechseln. Xhaka hat sich schon zur Schweiz bekannt, Shaqiri wird es wohl auch tun. Ihre Gedanken?

Ich habe eigentlich keine Angst, dass einer abspringt. Aber es wäre sehr schade, wenn wir solche für uns sehr wichtige Spieler und Menschen verlieren würden. Der Druck auf sie ist riesig, auch und vor allem aus dem Kosovo. Sie sollten sich entscheiden, wie es für sie persönlich stimmt – schön, dass es Granit bereits für uns getan hat. Ich denke, auch bei Xherdan wird es so sein. Sie haben offenbar nicht vergessen, was sie der Schweiz zu verdanken haben und dass die Schweiz ihre geliebte Heimat ist. Die Schweiz hat ihnen sehr viel an Unterstützung gegeben. Das haben und werden sie in ihre Überlegungen miteinbeziehen.

Eine Entscheidung vor der EM wäre wichtig.

Ja. Wenn sich diese Schlüsselspieler jetzt zur Nati bekennen, dann stärkt dies auch ihre Identifikation mit der Mannschaft und setzt ein Zeichen für die Fans. In der Schweiz, aber auch auf der ganzen Welt, gibt es im Moment ein Problem mit der Identifikation. Das war ein super Zeichen von Granit.

Wie meinen Sie das?

In der Schweiz war das Thema der Zuwanderung und Identifikation mit der Heimat schon immer gross. In vielen Ländern auf der Welt suchen die Leute eine Kollektividentifikation. Einst waren es vor allem die Italiener und die Spanier, dann die Kroaten, die Kosovaren. Ich glaube nicht, dass die Zuwanderung und Einbürgerungen ein Problem sind, solange sich die Menschen der Kultur und den Werten des Landes, in dem sie leben, anpassen.

Gut, dazu muss man sagen: Die Secondos in unserer Nati sind allesamt sehr angepasst. Aber die Ausstrahlung der Nati ist im Moment trotzdem schlecht. Warum?

Es ist wichtig, dass die Schweizer Nationalmannschaft ein ausgewogenes Mass an Identifikationsfiguren hat, mit denen sich die Fans identifizieren können, komplett unbesehen von der Herkunft einzelner Spieler. Ich möchte ganz klar und unmissverständlich betonen, dass das nichts, aber auch gar nichts mit einem rassistischen Gedankengut zu tun hat! Es geht einzig und alleine darum, dass man bei der Ausrichtung des Teams darüber nachdenken soll, ob die Zusammensetzung der Mannschaft für die Schweizer Fans und die Schweiz als solche mit ihrer Kultur und ihren Werten auch repräsentativ ist. Das ist alles.

Am Anfang stand ein Interview von Ihnen. Sie sprachen von «richtigen und anderen Schweizern».

Meine Aussagen wurden aus dem Kontext gerissen und sollten sich nach meinen Erklärungen relativiert haben! Ich will bloss einen Denkanstoss liefern und sprach das aus, was ein Grossteil unserer Bevölkerung denkt. Mir ging es einzig und alleine um den Mangel an Identifikationsfiguren innerhalb der Mannschaft und garantiert nicht um eine Diskussion über «richtige» oder «andere» Schweizer. Nicht alle negativen Stimmen gegenüber der Nati sind gerechtfertigt. Auch wenn die Leistungen zuletzt nicht gut waren. Von den letzten acht Turnieren waren wir bei sieben dabei. Die Schweiz darf sich ruhig mal hinter die Nati stellen, und sie können stolz auf das Team sein. Das werden wir auch an der EM zeigen.

Aber zuletzt wars grauenvoll, der Mannschaft zuzuschauen. Warum ist man so auf dem falschen Weg?

Drehen wir’s um: Wo sind wir auf dem richtigen Weg? Die Qualität haben wir, die ist da. Wir haben viele richtig gute Kicker, die in ihren Vereinen top Leistungen bringen. Aber jeder muss jetzt wieder merken, dass man als Team Fussball spielen muss, nicht jeder für sich selbst. Jeder muss auch für den anderen laufen und auch die Fehler des anderen ausbügeln.

Das war gegen Irland und Bosnien-Herzegowina nicht der Fall.

Das ist korrekt. Die beiden Tests möchte ich jedoch nicht überbewerten. Das macht mir keine grossen Sorgen. Es ist generell sehr schwer, konzentriert zu sein, wenn die Spannung nicht voll da ist. Die einen spielten zu jenem Zeitpunkt gegen den Abstieg, die anderen um die Meisterschaft, dritte hatten Verletzungen. Da geht man am Ende des Tages einfach nicht mit der letzten Konzentration und Konsequenz ans Werk. Das geht selbst mir mit 32 Jahren noch so: Du hast praktisch nie die gleiche Anspannung in einem Test wie in einem Ernstkampf. Ich zum Beispiel war in einer Periode mit drei Monaten höchstem Druck. Wir mussten mit Juve nach 12 Punkten in 12 Spielen das Feld von hinten aufrollen. Jedes Spiel Vollgas geben, bis wir endlich Erster waren und danach mussten wir diesen Platz hart verteidigen. Dazu kamen die Champions-League- und Cup-Partien. Dann kommst du zu zwei Nati-Testspielen gegen unangenehme, schwierige Gegner, da bist du mit dem Kopf einfach nicht voll da. Das ist menschlich.

Die Aufstellung mit den drei zentralen Mittelfeldspielern Behrami, Xhaka und Dzemaili funktionierte überhaupt nicht. Spielt ihr das richtige System?

Das ist ganz klar der Zuständigkeitsbereich des Trainers. Für mich ist klar, dass alle drei hervorragende Fussballer sind. Systemtechnisch gibt es zu berücksichtigen, dass wir nur zwei Wochen Zeit in der EM-Vorbereitung haben. Da stellt sich die Frage, ob man alles in dieser kurzen Zeit über den Haufen werfen soll. Die Routine und Qualität für einen Systemwechsel haben wir jedoch ganz klar. Das ist ein grosser Vorteil für den Trainer.

Hätten Sie Gökhan Inler aufgeboten?

Auch das ist ganz klar Sache des Trainers. Auf persönlicher Ebene hätte er die Teilnahme an der EM sicherlich verdient gehabt. Als Person und Spieler würde Inler uns ganz klar helfen. Er ist wichtig für uns. Wäre er regelmässig in seinem Klub zum Einsatz gekommen, würde sich die Frage nicht eine Sekunde stellen. Aber natürlich, es ist nicht unproblematisch, einen Spieler aufzubieten, der ein halbes Jahr lang keinen Ernstkampf bestritten hat, für den aktuellen englischen Meister allerdings. Das relativiert das Ganze ein wenig. Aber generell ist das nicht einfach, den anderen Spielern zu vermitteln, die zu Hause bleiben müssen, obwohl sie die ganze Saison bei ihren Vereinen gut gespielt haben …

Fabian Lustenberger sieht keine faire Chance unter Vladimir Petkovic. Und wollte nur mitkommen, wenn er für eine tragende Rolle vorgesehen ist. Nun fehlt er im Aufgebot. Wie bewerten Sie seine Aussagen?

Natürlich tut es mir persönlich leid für Lustenberger. Er macht eine sehr gute und stabile Karriere und hätte es auf persönlicher Ebene sicherlich verdient. Aber wie gesagt, der Trainer entscheidet und das sind sehr, sehr schwierige Entscheidungen. Ich bin mir sehr sicher, dass unser Trainer sich die nicht einfach gemacht hat.

War es eigentlich richtig, den Vertrag von Vladimir Petkovic schon vor der EM zu verlängern?

Es gibt dem Trainer Sicherheit und stärkt seine Position. Die Mannschaft weiss nun: Wer jetzt nicht am selben Strick zieht, muss gehen!

Wurden Sie als Captain gefragt, ob man verlängern soll und wie Ihr Eindruck der Lage ist?

Nein, und das ist auch komplett richtig so! Dieser Entscheid obliegt nicht den Spielern, sondern den Verbandsbossen. Alles andere wäre auch auf Klub-Ebene komplett unüblich.

Unsere Nati hat ein massives Sturmproblem. Seferovic ein halbes Jahr ohne Tor. Drmic verletzt. Mehmedi auf der Bank und einmal gar auf der Tribüne. Embolo solide, aber nicht überragend – und Derdiyok trifft zwar oft, aber nur in der Türkei.

Rein vom Potential und von der Qualität her haben wir einen sehr guten und jungen Sturm. Aber klar ist es sehr schade, dass viele mit eher wenig Selbstvertrauen kommen. Das Trainingslager im Tessin und die Tests gegen Belgien und Moldawien werden ihnen sehr helfen. Ich bin mir sicher, dass sie an der EM mit der Unterstützung des gesamten Teams treffen werden. Generell gilt aber: Der Stürmer ist der erste Verteidiger und der Verteidiger der erste Stürmer. Wir müssen also die Verantwortung verteilen. Entsprechend sollten auch die Verteidiger und Mittelfeldspieler torgefährlicher werden.

Einer von ihnen, Granit Xhaka, trägt seit Samstag das Trikot von Arsenal. Ist er bereit dafür?

Dass Granit jetzt den Schritt zu einem grossen Verein machen muss, ist für mich klar. Er hat die Qualität dafür und bringt seit einigen Jahren Top-Leistungen auf einem sehr hohen Niveau. Ich glaube, es war Zeit für ihn zu gehen und sich einer neuen Herausforderung zu stellen. Er ist bereit dazu.

Am Samstag vor einer Woche feierten Sie mit den Fans Ihren fünften Meister-Titel in Folge mit Juve. Eigentlich müssten auch Sie wechseln, um wieder mal etwas Neues zu sehen.

Nein, überhaupt nicht. Schauen Sie, Gianluigi Buffon hat bei uns gerade bis 2018 verlängert. Er ist 38 und immer noch hungrig, obwohl er Weltmeister ist. Warum? Weil wir dieses eine grosse Ziel haben: Die Champions League zu gewinnen.

Ihr Vertrag läuft noch bis 2017. Verlängern Sie ihn nochmals?

Wenn man die Chance hat, bei einem Top-Klub zu spielen, muss man sie nutzen. Nach einem Top-Klub wie Juve hast du nicht mehr so viele Vereine, zu denen du gehen willst. Solange ich auf diesem Level spiele, gibt es keinen Grund für mich oder Juventus, etwas zu ändern.

Eine Rückkehr in die Super League wird es nicht mehr geben?

Tendenziell eher nein. Ich mache die Tür nicht ganz zu, aber sehe die drei, vier Jahre, wo ich noch spielen kann, eher im Ausland.

Drei bis vier Jahre? Dann gibt es für Sie ja auch keinen Grund, nach der EM zurückzutreten.

Solange Spass und klare Ziele da sind, solange du spürst, dass du mit der Mannschaft etwas erreichen kannst und die Mannschaft unbedingt was erreichen will, gibt es keinen Grund. Von daher: Ja, Stand heute mache ich weiter. Die Qualität in der Nati ist da, jetzt ist es einfach wichtig, dass wir wieder den richtigen Weg finden auf allen Ebenen.

Sie sind ein enger Freund von Diego Benaglio, der zuletzt in Wolfsburg zum ersten Mal seit acht Jahren auf der Bank sitzen musste.

Das wird meiner Erfahrung nach wesentlich heisser gekocht, als es wirklich ist. Diego hat alle grossen, wichtigen Spiele gespielt. Immer wenn es wirklich um etwas ging, stand er auf dem Platz und hat seine Leistung gebracht. Nicht zuletzt in den Spielen gegen Real Madrid. Was Diego bei Wolfsburg erreicht hat, ist überragend. Er war letzte Saison mit der beste Spieler und ist auch diese Saison ein Leistungsträger und auch Captain. Nach aussen sieht dieser Wechsel sehr unglücklich und auch respektlos aus. Doch ich würde das überhaupt nicht überbewerten.

Landet Benaglio bei seiner Jugendliebe GC?

Das kann ich mir eher nicht vorstellen. Wie gesagt, ich sehe von aussen überhaupt keinen Grund für Diego, den Verein zu wechseln. Sollte er sich jedoch selbst zu einem Wechsel entschliessen, dann hat Diego mit seinen Qualitäten und seinem Leistungsausweis im Ausland die besten Argumente um weiterhin in einer Topliga zu spielen.

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