Der 59-Jährige ist jetzt Beizer – und vergiesst Tränen
«Den Sportchef Fredy Bickel wird es nicht mehr geben»

Nichts bewegt Fredy Bickel mehr als Fussball. Und doch verabschiedet er sich von der Sportbühne, um eine letzte private Challenge in Angriff zu nehmen. Mit Blick spricht der mehrfache Meistermacher offen wie selten über sein bewegtes Leben. Drama und Tränen inklusive.
Publiziert: 29.01.2025 um 00:15 Uhr
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Aktualisiert: 29.01.2025 um 08:08 Uhr
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Fredy Bickel redet mit Blick-Reporter Sven Schoch über sein Fussball-Leben.
Foto: TOTO MARTI

Auf einen Blick

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Sven SchochReporter Sport

Handwerker wuseln um Bickel (59) herum. Eine ausrangierte Kaffeemaschine steht im Gang, der neue Koch stellt den Menüplan zusammen. Die Bank meldet sich per Telefon. Der frühere Sportchef von Zürich, YB, GC und Rapid sitzt an einem Holztisch, seelenruhig, mit sich im Reinen: Anfang Februar eröffnet er in Mettmenstetten zusammen mit seiner langjährigen Partnerin und Theater-Künstlerin Regula Esposito (alias Helga Schneider) das Gast- und Kulturhaus zum weissen Rössli neu. 

Blick: Sie erfinden sich neu. Vom Rasen ins Gasthaus – warum?
Fredy Bickel: Im letzten Sommer kommt die Rössli-Genossenschaft: Du bist vom Dorf, wir brauchen wieder eine Dorfbeiz. Im ersten Moment sagten wir Nein, obwohl das Rössli für mich immer eine Herzensangelegenheit war und Regula sich immer eine eigene Bühne gewünscht hatte. Irgendwann trieb uns unser Enthusiasmus jedoch an, und von einem Tag auf den anderen sagten wir zu – wahrscheinlich sind wir etwas naiv. Aber irgendwie ist es mit bald 60 die letzte Chance, nochmals Grosses zu beginnen – mit dem Risiko, gnadenlos zu scheitern. 

Sie stecken Ihr ganzes Herzblut in das neue Gastro-Projekt. Spielt der Fussball keine Rolle mehr in Ihrem Leben?
Den Fussball kann ich gar nicht verlieren, er prägte mein Leben derart. Mein ganzes Leben war Fussball. In irgendeiner Form wird es mich in diesem Sport immer geben, aber nicht mehr so intensiv und ausgeprägt wie in den letzten 30 Jahren. Ich werde mich zum Beispiel mit grosser Sicherheit beim FC Affoltern am Albis als Präsident zur Verfügung stellen.

Fredy Bickel persönlich

Fredy Bickel wird am 19. Mai 1965 in Zug geboren. Er steigt 1991 bei GC in das Fussball-Business ein. An der Seite von Erich Vogel sammelt er als Assistent und Teamkoordinator erste Erfahrungen. Dann folgt das Engagement als CEO bei YB. Dann ein neunjähriges Engagement als Sportchef beim FC Zürich. An der Seite der Coaches Lucien Favre und Bernard Challandes gewinnt er 2006, 2007 und 2009 den Meistertitel. 2012 kommt es zum Comeback bei den Young Boys, das 2016 endet. Im gleichen Jahr geht die Reise bei Rapid Wien weiter. 2019 kehrt Bickel zu GC zurück. Ein zweites Gastspiel im Nachwuchsbereich bei den Hoppers ­endet im Frühling 2024.

Fredy Bickel wird am 19. Mai 1965 in Zug geboren. Er steigt 1991 bei GC in das Fussball-Business ein. An der Seite von Erich Vogel sammelt er als Assistent und Teamkoordinator erste Erfahrungen. Dann folgt das Engagement als CEO bei YB. Dann ein neunjähriges Engagement als Sportchef beim FC Zürich. An der Seite der Coaches Lucien Favre und Bernard Challandes gewinnt er 2006, 2007 und 2009 den Meistertitel. 2012 kommt es zum Comeback bei den Young Boys, das 2016 endet. Im gleichen Jahr geht die Reise bei Rapid Wien weiter. 2019 kehrt Bickel zu GC zurück. Ein zweites Gastspiel im Nachwuchsbereich bei den Hoppers ­endet im Frühling 2024.

Warum sind Sie im Profi-Bereich vom Radar verschwunden?
Ich hatte bis und mit letzten Dezember immer wieder Anfragen. Aber ganz ehrlich, ich spürte, dass ich an keinem Ort mehr erste Wahl war. Ich musste feststellen, dass ich nur noch die Nummer 3 oder 4 bin. Wenn man nicht mehr zuoberst auf den Kandidatenlisten steht und vergeblich immer wieder Vereine unter die Lupe nimmt, kostet das Kraft und Energie. Damit konnte ich nicht mehr umgehen, das machte mich kaputt. 

Der alte Fredy Bickel ist somit Geschichte?
Den Sportchef Fredy Bickel in gelebter Form wird es so nicht mehr geben. Ich werde bald 60 Jahre alt. Es war immer ein Kraftakt bei mir – ich kam nie zu einem Klub, bei dem alles schon funktioniert hat. Das brauchte jedes Mal unheimlich viel Energie und Kraft. 

Können Sie sich erklären, weshalb Sie als ehemaliger Schirmherr von drei Meisterteams keine erstklassigen Angebote mehr erhalten haben?
In den letzten zwölf Monaten verhandelte ich unter anderem mit zwei Schweizer Vereinen. Als die Gespräche sich konkretisierten, schimmerte plötzlich durch, dass ich eine zu starke Persönlichkeit sei; nicht alle im Klub würden damit umgehen können. Zudem: Ich habe gute Freunde im Business, aber eben auch ziemlich viele Feinde. Wenn jemand über 30 Jahre für eine Sache lebt, sich kompromisslos dafür einsetzt, enttäuscht man Menschen, stösst sie vor den Kopf. Das brauchen wir nicht schönreden.

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«Von Sven Hotz bekam ich eine Carte blanche»
Fredy Bickel über seine Zeit beim FCZ
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Viele blieben Ihnen gegenüber skeptisch, die GC-Verantwortlichen hingegen reichten Ihnen in den letzten Jahren zweimal die Hand.
Als mich Verwaltungsrat Andras Gurovits inmitten der GC-Chaos-Tage anfragte, sagte ich primär aus Verbundenheit mit meinem Jugendverein zu. Es war ein unglaublich harter Job, aber es fühlte sich gut an. Gurovits und der Zentralvorstand waren immer ehrlich zu mir: «Wir müssen GC verkaufen, wir haben kein Geld mehr.» Dann kam Jimmy Berisha mit den Chinesen. Mein Weg war zu Ende. Anfang 2024 kehrte ich auf Wunsch von Harald Gärtner (LAFC-Europachef) zurück. Wieder wurde mir versichert, man plane mit mir ein längerfristiges Engagement. Gärtner gestand mir gegenüber bei einem Treffen im Spätherbst, dass ich sehr gute Arbeit abgeliefert habe, er mich behalten wollte und keine Ahnung habe, wieso sein Wille in Amerika nicht angekommen sei.

Beim Rekordmeister standen Sie schon einmal mit viel Herzschmerz und desillusioniert auf der Strasse – nach dem Einstieg der CS im Jahr 1999.
Ja, aber nur kurz. Albert Koller rief mich an. Er wollte mich nach Luzern lotsen. Alle haben mir zur Absage geraten – Luzern würde kurz vor dem Konkurs stehen. Das war eine Fehleinschätzung, die Innerschweizer starteten durch. Beim zweiten Anruf von Koller ging es plötzlich um YB. Er war inzwischen ebenfalls in Bern als Investor eingestiegen und wollte mich als Geschäftsführer einsetzen. Ich schlug ein, obwohl jeder sagte, die Berner seien sportlich und wirtschaftlich nicht mehr zu retten. 

YB war nahezu bankrott.
Niemand bekam mehr Geld. In Bern wurde ein Nachlassverfahren gestartet, um den Konkurs abzuwenden. YB stand vor dem Abstieg in die Amateurliga. Um Geld zu sparen, haben die Funktionäre auf einen anständigen Lohn verzichtet. Wir schliefen zu viert in einem kleinen gemeinsamen Studio in unserer WG. Harry (Gämperle), Martin Brunner (beide im Trainerstab), Schälli (Marco Schällibaum, damals Coach) und ich. Der Zusammenhalt war allerdings unschlagbar gut. 

Der damalige VR-Delegierte Peter Jauch zerschlug das WG-Feeling. In Ihrem Zusammenhang kursierten schwere Vorwürfe: Urkundenfälschung und ungetreue Geschäftsbesorgung.
Ich erinnere mich an ein Nachtessen im Frühjahr 2001 mit Stadionbauer Bruno Marazzi: «Hört zu, ich habe gute Nachrichten, wir haben keine Schulden mehr. Es kommt einer, der jeden Verlust übernimmt, bis wir im Stadion sind – Peter Jauch und seine Investoren-Gruppe.» Unsere Reaktion? Heinz Fischer (Präsident) stand auf und warf die Serviette auf den Teller: «Du hast unter unserem Hintern YB verkauft!» Für Jauch war klar: «Wir sparen und holen keine Spieler mehr!» Ich stand bei Stéphane Chapuisat im Wort, ihn zu YB zu transferieren, und bot ihn trotz Sparrunde zu einem Verhandlungs-Termin im Restaurant auf. Draussen wartete ein bestellter Fotograf. «Chappi zu YB!» war die Schlagzeile am Tag danach. Das Volk tobte, Jauch hingegen schäumte. 

Jauch revanchierte sich mit einer Welle von Klagen.
Dass Jauch sauer war, verstehe ich zu einem gewissen Teil. Ich hatte eine Ohrfeige verdient, aber nicht solche Schläge, wie er sie dann verteilt hat. Es kam zu einer Anzeige wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung und Urkundenfälschung. Angeklagt wurde ich nie. Jauch prozessierte immer weiter. Fast ein Jahr lang zog sich das juristische Hickhack hin, immer wieder erschienen dazu Artikel in der Presse. Solange solche Vorwürfe im Raum stehen, ist man nahezu handlungsunfähig.

Der frühere FCZ-Patron und Geldgeber Sven Hotz hat Sie aus der Berner Versenkung geholt und stellte Sie an die Seite von Trainer Lucien Favre.
Sven Hotz hat zu mir gesagt: «Sie haben alle Freiheiten, Sie können machen, was Sie wollen. Ich habe volles Vertrauen zu Ihnen. Aber etwas sage ich Ihnen jetzt: Sie dürfen nicht absteigen, und Sie müssen den Trainer stark machen, den will ich behalten. Aber alle anderen will ich nicht mehr. Der Trainer-Assistent, die Physios, alle müssen weg.» Es war meine Carte blanche. 

Wie oft haben Sie zu Beginn Ihrer FCZ-Ära schlecht geschlafen?
Ich hatte viele schlaflose Nächte. Es gab zu Beginn Reibereien, die Spieler zweifelten am Trainer. In Spanien schlossen wir uns dann in einem Hotelraum ein – alle Akteure, der ganze Trainerstab und ich. Ich provozierte die Spieler bis an die Grenzen. Tags darauf zettelte Alain Nef eine Schlägerei an, Artur Petrosjan wollte umgehend abreisen. Favre tobte, fand dann aber einen Weg zum Erfolg. Ich werde auch nie mehr vergessen, wie er den Brasilianer Raffael im leeren Letzigrund an der Hand auf dem Rasen solo herumführte, um ihn taktisch zu schulen. Ein unglaublicher Anblick!

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«Das Ende in Bern habe ich bis heute nicht richtig verarbeitet»
Fredy Bickel über sein Aus bei YB
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Wie haben Sie den Umgang mit Favre moderiert?
Ich sagte immer, ich sei kein Sportchef im herkömmlichen Sinn. Ich habe mich als Verbindungselement zwischen Team, Trainer und Verwaltungsrat gesehen. Das war für Lucien wichtig. Ich habe ihn auf seiner Position nie eingeschränkt, weil ich grossen Respekt vor ihm hatte und gesehen habe, was für eine wahnsinnig gute Arbeit er leistete. 

Nach schmerzvollen Dekaden stürmte der FCZ am 13. Mai 2006 zum ersten Titelgewinn nach 25 Jahren. Was löst dieses Datum bei Ihnen aus?
Da kommen mir die Tränen. Sven Hotz sass mit seiner Tochter und seinem Schwiegersohn auf der Tribüne. Wir haben uns sofort umarmt. Er weinte und hielt mich. Dass dieser Ehrenmann einen solchen Moment erleben durfte, bewegt mich bis zum heutigen Tag enorm. Er, der so sehr an mich geglaubt hat. Es war für mich das Grösste, Sven Hotz in dieser Form etwas zurückgeben zu können. 

Ende November 2012 gingen die Wege in Zürich auseinander. Zwei Verwaltungsräte hatten im März zuvor die Entlassung von Urs Fischer provoziert und Sie zur Weissglut getrieben.
Ich sagte zu Cillo (Canepa): «Die machen uns den Verein kaputt.» Nach einer Niederlage gegen Servette ging ich in die Lounge und bekam mit, wie die beiden Verwaltungsräte, die schon Fischer gekillt haben, bei den Sponsoren Stimmung gegen Rolf Fringer (Nachfolger von Fischer) machten und seine Entlassung forderten. Noch in der gleichen Nacht habe ich Cillo geschrieben, dass ich am Montag zurücktreten werde. 

Der YB-Mehrheitsaktionär Andy Rihs einigte sich mit Ancillo Canepa auf eine sofortige bezahlte Freigabe. Bei YB lief es gut für Sie, bis Ihr Mentor Rihs sich Weihnachten 2015 todkrank aus dem operativen Geschäft zurückziehen musste.
Urs Siegenthaler sollte Andy im Sport vertreten. Ich spürte sofort, dass diese Konstellation nicht passen würde, und versuchte, ihn zu verhindern. Er hat davon natürlich erfahren. Wir waren per Du. Am ersten Tag, als ich ihn begrüssen wollte im Wankdorf, sagte er: «Siegenthaler, guten Tag Herr Bickel.» Da war sofort klar, was los war. Ein paar Monate später hat er mich entsorgt. Drei Tage später erschien der kranke Andy aus Frankreich mit einem Privat-Flieger und stellte Siegenthaler auf die Strasse. Hätte ich meine Emotionen etwas unter Kontrolle gebracht, wäre die Story anders ausgegangen. Das Ende in Bern habe ich bis heute nicht richtig verarbeitet. 

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