Der erste Gedanke war: Es kann doch nicht so schwierig sein, von allen Schweizer Nati-Spielern seit dem Zweiten Weltkrieg herauszufinden, bei welchem Klub sie als Junior angefangen haben, Fussball zu spielen. Dieser Gedanke war falsch. Und zwar so richtig.
Unser Problem: Bei jedem ehemaligen Nati-Spieler wird es irgendwo in der Schweiz eine Person geben, die weiss, wo Spieler X angefangen hat, Fussball zu spielen. Doch wo und wie findet man diese?
Während der Recherche durchwühlte Blick zahlreiche Klub-Chroniken, Internetseiten und alte Zeitungen. Sprach mit vielen ehemaligen Nati-Spielern, Witwen, Familienmitgliedern und Historikern. Schrieb Briefe an Angehörige, deren Namen in Todesanzeigen aufgetaucht waren.
Zwei Männer wussten gar nicht mehr, dass sie mal Nati-Spieler waren
Manche der Telefongespräche waren lustig, manche traurig. Es wurden Anekdoten und Lebensgeschichten erzählt. Es nahmen Ehefrauen ab, die erklärten, ihr Mann sei nicht mehr ansprechbar. Und es gab auch zwei Nati-Spieler, die zwar das Telefon abnahmen, die aber gar nicht mehr wussten, dass sie selbst mal ein Nati-Spieler waren.
Was wir hier über die 492 Spieler, die seit dem Zweiten Weltkrieg mindestens einmal für unsere Nati aufliefen, zusammengetragen haben, das haben wir nach bestem Wissen und Gewissen gemacht. Aber auch im Wissen, dass wir möglicherweise bei einigen Spielern nicht ihren ersten, sondern bloss den «zweiten» Klub herausgefunden haben.
Trotzdem ist das Ergebnis unserer Recherche spannend und bislang einmalig in der Schweiz. Sie zeigt eindrücklich auf, wo die Wurzeln unserer Nati liegen. Und sie bringen erstaunliche Fakten hervor. So zum Beispiel, dass ein Nati-Spieler im Firmenfussball beim FC Hürlimann anfing oder ein luzernischer Kleinklub schon vier Nati-Spieler hervorgebracht hat.
Viel Spass beim Eintauchen in die Vergangenheit unserer Nati-Spieler.
Diese Nati-Spieler lernten das Fussballspielen im Ausland
Nicht alle Schweizer Nati-Spieler starteten ihre Karriere hierzulande. Sechs Fussballer machten ihre ersten Schritte im Ausland. In Österreich begann die Karriere von Manfred Braschler (Imst), in Frankreich die von Nestor Subiat (Mulhouse), Jacques Fatton (Saint-Chély-d’Apcher) und Jean Tamini (Lyon Olympique Universitaire), in Uruguay die von Matias Vitkieviez (Mirador Rosado) und in England die von Scott Sutter (Millwall).
Dieser Spieler begann beim FC Hürlimann
Heute unvorstellbar: Der dreifache Nati-Spieler Max Heer startete seine fussballerische Laufbahn im Firmenfussball, beim FC Hürlimann. «Als ich etwa 15 war, zügelten wir ins Quartier Zürich-Enge, vis-à-vis der Hürlimann-Brauerei», erinnert sich der heute 81-Jährige, «eines Tages fand dort auf dem eigenen Fussballplatz der Brauerei ein Grümpelturnier statt. Weil sie zu wenige Spieler hatten, fragten sie mich, der Zuschauer war, ob ich mitkicken möchte.»
Danach lief Heer regelmässig für den FC Hürlimann auf, am Samstag in der 1. Mannschaft und am Sonntag als Teenager bei den Senioren. Als die Brauerei mal ein Freundschaftsspiel gegen Blue Stars austrug und Heer ein paar Tore schoss, wurde er vom gegnerischen Klub verpflichtet. Später gewann er dann mit dem FCZ je dreimal die Meisterschaft und den Cup.
Diese Amateurklubs brachten gleich mehrere Nati-Spieler hervor
FC Littau
Höher als bis in die 1. Liga hat es der Luzerner Klub bislang nie geschafft, dafür aber hat der FC Littau gleich vier spätere Nationalspieler hervorgebracht: Christoph Gilli (1 Länderspiel), Thomas Wyss (11), Herbert Baumann (15) und Alain Wiss (2). Ach ja, und noch etwas: Wo spielte der heutige Spitzenschiedsrichter Lukas Fähndrich als Junior? Richtig, beim FC Littau.
Zufall oder nicht, dass so viele gute Spieler aus Littau stammen? Nein, lässt der Klub ausrichten und erklärt: «Ganz wesentlich geprägt wurde die sportliche Förderung der Kinder und Jugendlichen durch die ehrenamtliche Arbeit von Vereins- und Vorstandsmitgliedern. Mit der Organisation von Schulturnieren über Jahrzehnte hinweg hat der ehemalige Präsident des FC Littau, Beat Krieger, einen äusserst wertvollen Beitrag geleistet. Mit der Planung und Umsetzung dieser Turniere hat der FC Littau mit Beat Krieger in den letzten 50 Jahren Tausende Kinder und Jugendliche für den Fussballsport begeistert. Dass der FC Littau bereits mehrere Spitzenfussballer hervorbrachte, ist mitunter dem Engagement von Beat Krieger zu verdanken.»
FC Amriswil
Was haben der Zürcher Andy Egli, der Waadtländer Christophe Ohrel und die YB-Meister-Legende Urs Bamert gemeinsam? Sie alle begannen ihre Karriere im Thurgau beim FC Amriswil. Doch wie kam es dazu? «Bei mir lag es daran, dass mein Vater Bähnler war», erklärt Egli, «deshalb zogen wir häufig um. Ich kam im schaffhausischen Ramsen zur Welt und verbrachte die ersten Lebensjahre im aargauischen Siggenthal. Dann zogen wir nach Erlen in den Kanton Thurgau, und ich begann, beim FC Amriswil Fussball zu spielen.»
Bei Ohrel war es ähnlich: Weil sein Vater in Romanshorn eine Stelle annahm, zügelte die Familie, als Christophe acht war, in die Ostschweiz. Bei Bamert ist es einfacher: Er feierte zwar seine grössten Erfolge mit YB und Lausanne, ist aber gebürtiger Ostschweizer. Dass gleich aus drei Amriswil-Junioren später Nationalspieler wurden, ist für Egli alles andere als ein Zufall: «Damals gab es dort tolle Trainer, allen voran Bruno Schmucki.»
FC Porrentruy
Nur gut 6500 Menschen leben heutzutage im jurassischen Städtchen, und der heimische Fussballklub spielt zurzeit bloss in der 2. Liga regional, der sechsthöchsten Schweizer Spielklasse. Trotzdem erlernten gleich vier spätere Nati-Kicker beim FCP ihr Handwerk: Jean-Marie Conz (später Meister und Cupsieger mit YB), Régis Rothenbühler (später Meister mit Servette), Marcel Parietti (später Cupsieger mit Lausanne) und Jean-Paul Loichat. Zum Vergleich: Kantonsrivale Delémont (mit mehr Einwohnern und einem erfolgreicheren Klub) brachte nur einen Nati-Spieler hervor: Goalie Fabrice Borer.
Diese Kantone brachten jeweils nur einen Nati-Spieler hervor
Obwalden
Noch heute ist Nati-Goalie Jonas Omlin in seinem Herzen ein Fan des FC Sarnen. Als der Klub 2023 sein 90-Jahr-Jubiläum feierte, war der einstige Junior beim Fest vor Ort, verteilte Autogramme und posierte für Selfies. Und als Omlin 2023 von Montpellier zu Gladbach wechselte, erhielt der FC Sarnen eine Ausbildungsentschädigung von rund 30’000 Franken.
Nidwalden
Peter Risi und der SC Buochs – das passte. Dort begann er als Kind seine Karriere, und dort beendete er mit 37 seine Karriere. Dazwischen feierte er grosse Erfolge, wurde dreimal NLA-Torschützenkönig und gewann 1976 mit dem FC Zürich das Double. 2010 starb er im Alter von 60 Jahren.
Appenzell Ausserrhoden
Vom FC Heiden zu Juventus Turin: Dies gelang Davide Chiumiento. Doch der komplette Durchbruch gelang dem Appenzeller Jahrhunderttalent trotzdem nie so richtig. Nach zwei Cupsiegen mit dem FC Zürich (2014 und 2016) beendete er 2017 seine unvollendete Karriere.
Diese Mini-Gemeinden haben in ihrem FC einen Nati-Spieler hervorgebracht
Buttes: 601 Einwohner
Bis 2008 war Buttes eine eigenständige politische Gemeinde, seitdem gehört Buttes offiziell zu Val-de-Travers. Und auch den FC Buttes gibt es schon längst nicht mehr. Dort lernte André Daina das Fussballspielen. Er lief viermal für die Nati auf und spielte für YB und Servette. Nach seiner Spielerkarriere wurde er Schiedsrichter. Er leitete unter anderem 1985 den tragischen Final im Europacup der Landesmeister zwischen Juventus und Liverpool, der als Katastrophe von Heysel (mit 39 Toten) in die Geschichtsbücher einging.
Oulens-sur-Echallens: 606 Einwohner
In der Waadtländer Mini-Gemeinde startete Lucien Favre als Kind seine beeindruckende Fussballkarriere, doch bereits als Teenager wechselte er zum FC Lausanne. Den FC Oulens gibt es übrigens schon lange nicht mehr. Er fusionierte in den 80er-Jahren mit Saint-Barthélémy zum FC Talent.
Bure: 631 Einwohner
Den jurassischen Klub gibt es bis heute. Hier gestartet hat Patrick Sylvestre seine Karriere. Er wurde einmal Meister (1997 mit Sion), gewann dreimal den Cup (1993 mit Lugano, 1996 und 1997 mit Sion), lief elfmal für die Nati auf und bekam an der WM 1994 in den USA im legendären Spiel gegen Rumänien sieben Einsatzminuten.
Lohn: 765 Einwohner
1968 wurde der schaffhausische FC Lohn gegründet, unter anderem vom Vater von Stephan Lehmann. Logisch, dass deshalb der spätere Nati-Goalie in Lohn auch seine ersten fussballerischen Schritte machte.
Vérossaz: 866 Einwohner
Die Walliser Gemeinde ist ein Zusammenschluss mehrerer kleiner Siedlungen und liegt nördlich von Martigny. Von hier stammt der 40-fache Nati-Spieler Sébastien Fournier. Er sammelte während seiner Spielerkarriere reichlich Trophäen ein: zweimal Meister (1992 mit Sion und 1999 mit Servette), viermal Cupsieger (1992/94/95 mit Sion und 2001 mit Servette) und einmal DFB-Pokalsieger (1997 mit Stuttgart). 2023 schloss sich der FC Vérossaz dem FC Saint-Maurice an.
Dieser Nati-Spieler startete seine Karriere unter falschem Namen
Vor allem die Fussballfans in Basel und St. Gallen können noch etwas mit dem Namen Markus Pfirter anfangen. Mit dem FCB wurde er in den 60ern einmal Meister und zweimal Cupsieger, und mit dem FCSG gewann er ebenfalls einmal die Sandoz-Trophäe. Seine Karriere aber startete er unter dem Namen Peter Zimmermann. Warum das so war, erklärte er einst dem «St. Galler Tagblatt»: Sein Vater, ein Turner, wollte damals, dass der junge Markus Leichtathlet werde und nicht Fussballer. Deshalb spielte Klein Kussi bei Muttenz unter falschem Namen. Später aber sei der Vater ein grosser Fan seines spielenden Sohnes gewesen.
Diese Kantone brachten noch keinen Nati-Spieler hervor
Graubünden
Noch fehlt der erste Bündner Nati-Spieler, trotzdem stammen aus dem Bergkanton ein paar hervorragende Fussballer: Senad Lulic, geboren in Mostar, aber aufgewachsen in Chur und als Junior bei Chur 97 tätig, kam für Bosnien auf 57 Länderspiele. Paul Friberg kickte nie für die Nati, spielte aber für St. Gallen, Wettingen und Luzern in der NLA. Und Erni Maissen hat zwar seine Wurzeln im bündnerischen Trun, startete aber seine Junior-Karriere beim FC Reinach, weil seine Eltern damals ins Baselbiet zogen. Gut möglich aber, dass der Kanton Graubünden in den nächsten Jahren ihren ersten Nati-Spieler bekommt: Fabrizio Cavegn aus dem Val Lumnezia spielt zurzeit in der Challenge League für Vaduz und ist schon zweifacher Schweizer U21-Nati-Spieler.
Uri
Seit vergangenem Jahr hat Uri zumindest einen halben Nati-Spieler. Miro Muheim lernte zwar das Fussballkicken beim FC Industrie Turicum, doch sein Heimatort ist Flüelen. Und Sehar Fejzulahi, Ex-Junior von Erstfeld und Schattdorf, der für die U21-Nati einmal auflief und mittlerweile zurückgetreten ist, war ebenfalls halbwegs nah dran.
Appenzell Innerrhoden
Im Gegensatz zu den Ausserrhödlern warten die Innerrhödler noch immer auf ihren ersten Nati-Spieler der Geschichte. Das Warten, es könnte noch länger dauern.
Die grössten Fussballclubs, die noch nie einen Nati-Spieler hervorgebracht haben
1. FC Köniz (Einwohnerzahl Gemeinde: 43’000)
In den 70ern und 80ern spielte der Klub aus der Berner Vorortsgemeinde schon dreimal um den Aufstieg in NLB. Gereicht hat es aber nie. Und auch einen Nati-Spieler brachten sie noch nie hervor, es gab aber schon welche, die für Köniz aufliefen, zum Beispiel Kameruns Jean-Michel Tchouga oder Venezuelas Gabriel Urdaneta. Und Christoph Spycher begann beim FC Sternenberg, der auf dem Könizer Stadtgebiet liegt.
2. Chur 97 (41’000)
Chur hat schon einmal einen späteren Nati-Spieler ausgebildet, aber keinen Schweizer. Der gebürtige Bosnier Senad Lulic startete seine Fussballkarriere in Chur, lief später dann aber für Bosnien-Herzegowina auf.
3. FC Vernier (37’500)
Mit 32 Teams und gegen 500 Junioren ist der Genfer Klub laut eigenen Angaben der drittgrösste der Schweiz, doch einen Nati-Spieler hat der FC Vernier, der zurzeit in der 2. Liga inter spielt, noch nie hervorgebracht.
4. FC Uster (37’000)
Einen Nati-Spieler? Nein. Eine Nati-Spielerin? Ja. Stenia Michel, die für die Schweiz 18 Länderspiele bestritt, begann beim FCU mit Fussballspielen. Ebenso Adrian Nikci, der es immerhin zum U21-Nati-Spieler brachte.
Dieser Kanton hat prozentual am meisten Nati-Spieler hervorgebracht
And the winner is ... Basel-Stadt! Bis heute erlernten 26 Spieler bei einem Basler Stadtklub das Fussball-ABC. Anders formuliert: Jeder 7569. Basler ist statistisch betrachtet ein Nati-Spieler. Auf den weiteren Rängen folgen die Kantone Tessin (jeder 9077.) und Neuenburg (jeder 9293.).