Mattia Croci-Torti, Sie gelten als abergläubisch. Die Final-Hauptprobe gegen Servette ging vor einer Woche in die Hose. Welches Ritual haben Sie sich für diesen Sonntag ausgedacht?
(Lacht.) Mal sehen, ob ich mein Poloshirt, das ich beim Cupsieg 2022 trug, in meinem Kleiderschrank finde. Dann werde ich wahrscheinlich mit diesem an der Seitenlinie stehen.
Und für welche Ihrer zig Dächlikappen werden Sie sich entscheiden?
Da starte ich kein Experiment. Ich werde mein schwarzes Lugano-Cap tragen. Wobei es ein neues Exemplar sein wird. Weil ich die Kappe nach der Pleite gegen Servette wie üblich nach einer Niederlage verschenkt habe. Dafür mal sehen, welche Schuhe ich trage.
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Macht Ihr Aberglaube selbst vor den Schuhen nicht halt?
(Lacht.) Ja, eigentlich trage ich immer weisse Sneakers. Doch vor dem Spiel gegen YB musste ich etwas ändern. Weil wir gegen sie im Wankdorf noch nie gewonnen haben. Deshalb entschied ich mich zum ersten Mal für schwarze. Und prompt klappte es mit dem Sieg.
Haben Sie noch weitere Rituale?
(Lacht.) Ich habe in meinem Büro sogar ein Aberglauben-Set. Da drin sind ganz viele Talismane. Jeder einzelne hat seine eigene Bedeutung. Mal sehen, welchen ich für den Final in meine Hosentasche stecke. Und dann habe ich noch einen kleinen Zwerg in meinem Büro als Glücksbringer. Den kriegte ich im Herbst geschenkt, als die Verletztenliste länger und länger wurde. Seither berühre ich vor jedem Spiel seine Zipfelmütze. Das bringt Glück.
Der Aberglaube ist ein Teil von Croci-Torti. Genauso wie seine Leidenschaft für den Fussball, wie die Freunde von «Crus» – wie er im Tessin von allen genannt wird – jüngst im Gespräch mit Blick erzählt haben.
Woher kommt Ihre grosse Liebe zu diesem Sport?
Mein Vater, der auch ein grosser Inter-Fan ist, hat mir diese Leidenschaft mitgegeben. Mailand ist so nah von uns. Da gingen wir oft zusammen ins San Siro. Ich bin mit Lothar Matthäus, Jürgen Klinsmann und später Ronaldo «il fenomeno» aufgewachsen. Und auch sonst verbrachte ich eigentlich jedes Wochenende auf einem Fussballplatz. Noch heute gehe ich gerne Spiele der Regionalligen oder sogar der Veteranen schauen. Der Fussballplatz war also schon immer ein Ort, an dem ich mich wohlfühle.
Einen speziellen Stellenwert hat bei Ihnen auch der Cup, in dem Sie zum dritten Mal in Folge im Final stehen?
Das stimmt. Einerseits wegen des Cupsiegs von Lugano 1992. Andererseits erinnere ich mich an zahlreiche andere Cupfinals, die ich zusammen mit meinem Vater vor dem TV an Pfingstmontag verbracht habe. Für mich ist ein Cupfinal wie ein Schwingfest. Es ist ein Zusammenkommen. Der Cup hatte immer was Magisches und Spezielles.
Auch als Spieler?
Definitiv. Ich habe rund 200 Partien in der Challenge League gemacht. Doch die 17 Cupspiele, die ich absolviert habe, waren immer speziell und einzigartig. Weil ich mich da mit Teams aus der Super League messen konnte. Schon damals versuchte ich, meinen Mitspielern verständlich zu machen, wie wichtig diese Spiele waren. Das will ich auch als Trainer weitergeben.
Scheinbar vermitteln Sie diese Cup-Faszination genauso erfolgreich bei den Fans. Während Sie bei den Heimspielen im Cornaredo nie viele Fans haben, knacken Sie für den dritten Final in Folge die 10’000-Marke. Diesmal reisen sogar über 12’000 Tessiner nach Bern.
Das ist verrückt. Uns gelingt es, unerwartete Leute dazu zu bringen, uns anzufeuern. Das ist der Charme dieses Wettbewerbs. Wie der FA Cup in England hat auch unser Cup eine riesige Tradition.
Ist Lugano Favorit, weil Sie in einer solchen Partie erfahrener sind? Oder Servette, weil Sie in dieser Saison gegen sie nicht verloren haben?
Niemand. Ich bin mir sicher, das ist ein 50:50-Spiel. Das sagt auch der Blick auf die Super-League-Tabelle. Wir haben einen ähnlichen Saisonverlauf. Auch die Qualität der Einzelspieler ist vergleichbar. Wobei Servette bestimmt noch mehr Spiele absolviert hat als wir und somit etwas müdere Beine hat. Doch sie können auf einen Kern aus 15, 16 Spielern zählen, der in dieser Saison Wahnsinniges geleistet hat.
In Ihrem Lager gab es in den letzten zwei Wochen Unruhe. Der Grund war die Vertragssituation von Rekordspieler und Captain Jonathan Sabbatini. Er will weiterspielen, wie er öffentlich betonte, doch der Klub soll andere Pläne mit ihm haben. Inwiefern hat das die Vorbereitung gestört?
Nicht gross, weil sich das Ganze seit Januar hinzieht. Ich kann beide Seiten verstehen. Auf dem Platz hat «Sabba» jedenfalls immer alles für diesen Klub gegeben. Deshalb habe ich keine Angst, dass er beim Anpfiff mit den Gedanken irgendwo anders sein wird.
Zuletzt hat Sabbatini die Spiele oft auf der Ersatzbank begonnen. Wie hat er die neue Jokerrolle aufgenommen?
Er macht keine Freudensprünge. Das ist verständlich. Aber es ist eine unglaublich wichtige Rolle, die ich ihm zugeteilt habe. Schliesslich ist er immer mein erster Wechsel. Und auch in nur dreissig Minuten kann er mit seiner Spielintelligenz einen grossen Impact aufs Spiel haben.
Wie schwer ist es für Sie, einen solchen Spieler bei seinem Karriereende zu begleiten?
Hier in Lugano habe ich es bereits vor zwei Jahren mit Mijat Maric erlebt. Wenn Vereinslegenden gehen, egal ob sie Maric, Totti, Del Piero, Zanetti oder Maldini heissen, dann gibt es immer schwierige Momente zu bewältigen. Die Spieler sehen das Ende eines fantastischen Abenteuers auf sich zukommen und bereiten sich auf etwas vor, das sie nicht kennen. Das sind Momente grosser Besinnung, die mit vielen Zweifeln und Fragen verbunden sind. Ich versuche, dem Menschen und dem Spieler grösstmöglichen Respekt entgegenzubringen.
Sabbatini ist in Lugano eine lebende Legende. Seit 2012 steht er bei den Bianconeri unter Vertrag. Damals spielte der Klub noch in der Challenge League. Unter Croci-Torti hat für den Uruguayer im Tessin die erfolgreichste Zeit begonnen. In der nächsten Saison nimmt der Klub erstmals seit 2001 an der Champions-League-Quali teil.
In Ihrem ersten Jahr wurde Lugano Vierter, dann Dritter und in diesem Jahr Zweiter. Die logische Konsequenz: nächstes Jahr werden Sie Meister?
Das, was wir in diesem Jahr erreicht haben, ist nicht die Normalität. Das letzte Mal, als Lugano in einer Champions-League-Quali war, war vor 23 Jahren. Mit unseren amerikanischen Besitzern und dem neuen Stadion kann es zur Normalität werden. Doch so lange wir auf einem Platz trainieren, der nicht die richtige Masse hat, wir europäisch immer auswärts spielen und mehrere Tage nicht zu Hause sind, was die Erholung erheblich beeinträchtigt, sind solche Resultate nicht an der Tagesordnung.
Aber die Saison hat gezeigt, dass Sie YB gefährlich werden können. Setzen Sie nächstes Jahr zum Angriff an?
Die Ambition wird immer grösser, klar. Genauso wie die Herausforderung. Ich bin überzeugt, dass wir nächstes Jahr etwas noch Höheres erreichen können, wenn wir es schaffen, von den Fehlern von YB zu profitieren.
Und im Hintergrund haben Sie einen potenten Geldgeber, der das Kader bestimmt weiter verbessern wird.
Wir können glücklich sein, dass wir mit Joe Mansueto einen Besitzer haben, der viel investiert. Zu unserer Strategie gehört aber auch, dass wir jeden Sommer junge Spieler mit Gewinn verkaufen. Wir werden also sehen, wer im nächsten Jahr noch dabei sein wird. Dann werden wir unsere Ziele setzen. Genügsam werden wir aber bestimmt nicht.
Stehen Sie denn nächste Saison noch an der Seitenlinie von Lugano?
Mein Vertrag läuft noch ein Jahr. Und mit dem Erreichen der Champions-League-Qualifikation kann ich mir kaum vorstellen, dass ich in diesem Sommer von hier weggehe. Aber der Transfermarkt ist unberechenbar. Jetzt erzähle ich etwas, dann bekomme ich heute Abend einen Anruf, zu dem man nicht Nein sagen kann und der dich nachts nicht schlafen lässt.
In den letzten Wochen gab es viele Gerüchte. So wurde Ihr Name als möglicher Nachfolger von Thiago Motta bei Bologna genannt. Was macht das mit Ihnen?
Es ist immer schön, wenn dein Name mit solchen Teams in Verbindung gebracht wird. Es macht dich stolz und glücklich, weil es bedeutet, dass sich die Arbeit und die aufgewendeten Stunden lohnen. Zudem glaube ich, dass es die Folge der Ergebnisse ist, die wir hier in Lugano einfahren konnten. Dreimal in Folge den Cupfinal zu erreichen, das hat seit 1942 niemand mehr geschafft. Das bedeutet, dass es etwas Besonderes ist.
Sie träumen aber offen von der Serie A?
Das ist mein grösster Traum, ja. Im San Siro an der Seitenlinie zu stehen, wäre doch für jeden was Besonderes. Aber vor dem kommt etwas anderes.
Was denn?
Es wäre etwas Sensationelles, mit Lugano den Cup zu gewinnen und nächstes Jahr die Meisterschaft.