So begehrt war die Alte Dame noch nie
Ronaldo macht Juve zum Goldesel

Italiens Fussball ist zurück – und Juventus Turin der Vorreiter. Mit Cristiano Ronaldo plant die Alte Dame den Sturm auf Europa.
Publiziert: 02.10.2018 um 12:22 Uhr
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Aktualisiert: 02.10.2018 um 14:10 Uhr
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350 Millionen Euro lässt sich Juventus den Ronaldo-Deal kosten.
Foto: TOTO MARTI
Alain Kunz, Turin

Weltstars? Eher nein. Abgehalfterte vielleicht. Wie Carlos Tevez. Weltstars? Sehen anders aus. Juventus ­Turin, die Alte Dame, hatte länger keine Weltstars mehr.

Dabei war Juve jener Verein, der den ersten dokumentierten professionellen Spielertransfer der Geschichte tätigte. 1923 wechselte ein gewisser Virginio Rosetta für 50 000 Lire (das waren im letzten Jahr der Lira 2001 umgerechnet 25 Euro) von der US Pro Vercelli nach Turin.

Mit dem Argentinier Omar Sivori kam 1957 der erste Weltstar zu Juve, von ­River Plate. 1982 Michel Platini. Ende des Jahrtausends Zinédine Zidane. Und nun also Cristiano Ronaldo (33) – eine neue Dimension.

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Natürlich in Weiss-Schwarz: der Teambus von Juventus.
Foto: Salvatore Finta

Denn die Franzosen Platini und Zidane waren noch keine Weltstars, als sie zu Juve kamen. Ronaldo ist es. «Als Präsident Andrea Agnelli 2014 sagte, in vier oder fünf Jahren werde man bei Juve Weltstars wie Cristiano Ronaldo oder Lionel Messi holen können, da nahm niemand das so richtig ernst», erinnert sich Giacomo Petralito (68). Er ist Spieleragent aus Sizilien mit Wohnsitz in der Schweiz und handelt seit 1993 im Auftrag von Juventus im deutschsprachigen Gebiet. Petralito kennt den Laden aus dem Effeff.

350 Millionen für Ronaldo

Der Ronaldo-Deal katapultiert die Alte Dame in neue Sphären. Die unangefochtene Nummer 1 in Italien ist sie nach sieben Scudetti in Folge schon lang. Jetzt ist der Sturm auf Europa geplant. Mit dem 350-Millionen-Euro-Deal. 117 Millionen hat Ronaldo an Ablöse gekostet. Dazu kommt sein Salär in der Höhe von 31 Millionen Euro jährlich, und das netto!
Die Folgen des Deals sind mannigfaltig. Die wichtigsten:

  • Erstmals kam die Serie A mit dem mächtigen US-Sportsender ESPN ins Geschäft.

  • Erstmals betrug das Transfer­volumen der Serie A mehr als eine Milliarde Euro. Nur die Premier League gab diesen Sommer mehr aus.

  • Erstmals soll ein Transfer dieser Grössenordnung allein mit dem Erlös aus den Trikots refinanziert werden. Juve hofft, drei Millionen Ronaldo-Shirts zu verkaufen.

  • Die Juve-Aktie schoss durch die Decke. Plus 130 Prozent seit der Ankunft von Ronaldo.

  • Dasselbe in den sozialen Medien: ein Plus von 2,5 Millionen in den ersten paar Wochen allein auf Instagram.

  • Der Merchandising- und Sponsoring-Umsatz dürfte von 120 auf über 200 Millionen Euro wachsen.

  • Die Wirtschaftsprüfer von KPMG sagen voraus: «Weil Ronaldo in Asien sowie Süd- und Zentralamerika so stark ist, wird ­Juve ein globaler Brand werden.»

Noch ist Juve in wichtigen Rankings bloss um Platz 10 herum platziert – Budget, soziale Medien, Fussballklub-Brand. «Das wird sich ändern», sagt Spieleragent Petralito. Er zeigt auf, warum der Klub aus dem Piemont das Potenzial hat, zu Real Madrid, Barcelona, ­Manchester United und Bayern München aufzuschliessen.

«Juve ist seit 1923, als Fiat-Vizepräsident Edoardo Agnelli in den Verein investierte, in Familienbesitz», erklärt Petralito. «Fiat brauchte damals massenhaft Gastarbeiter. Die Mehrheit kam aus Süditalien. Diese Gastarbeiter, die später in die ganze Welt ausfliegen sollten, wurden allesamt Juve-Fans. Das war so, wenn man bei Fiat arbeitete. Sie gründeten in aller Welt Fanklubs.» So ist heute Juventus der Verein mit den meisten Fanklubs weltweit. Über 1000, mit 140 Mitgliedern im Schnitt.

Zusammen mit den 111'000 offiziellen Mitgliedern (Mitglied kann nur werden, wer Wohnsitz in Italien hat), ist Juve so gerechnet mitgliedermässig der zweitgrösste Verein der Welt hinter Bayern München. Wenn man im Ausland Klubmitglied werden könnte, wäre Juve die Nr. 1.

Schulden? 310 Millionen Euro. «Doch das ist steuertechnisch besser und grundsätzlich unbedeutend», sagt Petralito. «Die Marke Juve ist unendlich mehr wert.» Nach dem Aktiensprung wird der Klubwert auf 1,6 Milliarden Euro beziffert. Allerdings erachten Analysten dies als Spielerei, wie auch den Kurs der Juve-Aktie. Diese sei nur etwas für Fans.

Fakt ist aber: Juve will Europa erobern. Wie im 15. und 16. Jahrhundert, als vom Epizentrum Florenz aus die Renaissance sich über Europa ausbreitete. Der Leonardo da Vinci von heute heisst Ronaldo. Und ist nur ein Teil des 200-Millionen-Transferpakets von Juve diesen Sommer, zu dem auch Leonardo Bonucci (AC Milan), Douglas Costa (Bayern) und João Cancelo (Valencia) gehören.

«Juves Rechnung geht auf!»

Kann die bedingungslose Vorwärtsstrategie aufgehen? Petralito: «Ich bin sicher: Diese Rechnung geht auf.» Rücksicht auf Personen, Verdienst und Fans nimmt Juve nicht. So wurde CEO Giuseppe Marotta, Baumeister der Renaissance und der sieben Meistertitel, über Nacht rausgeworfen. Die starken Leute sind nun neben Andrea Agnelli Vizepräsident Pavel Nedved und Sportchef Fabio Paratici. Für Marotta hats keinen Platz mehr. Und auch die Fans sind nach Ticketpreis-Aufschlägen von teils 60 Prozent alles andere glücklich.

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Juve-Captain Chiellini mit Frau Carolina und Tochter Nina.
Foto: Salvatore Finta

Die Juve-Renaissance hat aber positive Folgen für den Calcio, sagt Spielerberater Petralito. «Die Liga ist attraktiver geworden. Die Auslastung in den Stadien hat markant zugenommen. Die Konkurrenz von Juve ist herausgefordert und angestachelt. Es werden neue Stadien gebaut.»

In Turin ist die Zwangsrelegation 2006 infolge des Manipulationsskandals längst vergessen. Mit Weltstar Ronaldo schlägt die Alte Dame ein neues Kapitel in ihrer Vereinsgeschichte auf. Mit dem Ziel der Eroberung von Europa.

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