BLICK: Erich Vogel, Sie sind seit 1953 GC-Mitglied. Hätten Sie sich je vorstellen können, dass der frühere Nobelclub in chinesischen Besitz übergehen könnte? Ihnen muss doch das Herz bluten!
Erich Vogel: Ganz im Gegenteil. Als ich erstmals davon erfahren habe, hat mich mein Herz zu einem Freudensprung verleitet. Ich hätte mir tatsächlich nie vorstellen können, dass der eher konservativ ausgerichtete Grasshopper Club einen solchen Schritt gehen würde. Da kann man die verantwortlichen Aktienbesitzer und den GC-Zentralvorstand für ihren Mut nur vorbehaltlos beglückwünschen.
Sie gelten als kritischer Zeitgenosse, der den Fussball mit Argusaugen verfolgt. Ihre Euphorie einer unbekannten chinesischen Investorin gegenüber passt überhaupt nicht zu Ihrer Persönlichkeit...
Aber es gibt doch einige ganz rationale Gründe, optimistisch in die GC-Zukunft zu blicken!
Welche, bitte?
Eine chinesische Unternehmerin, Jenny Wang, übernimmt mit ihrer eigenen Unternehmung die Aktienmehrheit von GC. Zwar gibt es in der Schweiz erfreulicherweise einige sehr erfolgreiche Unternehmerinnen – aber keine von ihnen ist jemals ein solches Engagement eingegangen.
Welches war ihre Rolle im Deal mit den Chinesen?
Keine. Ich habe lediglich für Peter Stüber eine umfangreiche Dokumentation über den chinesischen Fussball erstellt.
Eine chinesische Frau als neue Besitzerin von GC dürfte in den Fussball-Kreisen tatsächlich für Furore sorgen. Wird Frau Wang aktiv in die Geschäftsleitung eingreifen?
Woher soll ich das wissen? Ich bin Ihr noch nie begegnet. Aber ihre erste Amtshandlung, mit ihrem Landsmann Sky Sun ein Vorstandsmitglied des Premier-League-Clubs Wolverhampton Wanderers als GC-Präsidenten einzusetzen, zeigt doch ihre Weitsicht.
Kennen Sie Sky Sun persönlich, dass Sie ihm solche Vorschusslorbeeren zuschanzen?
Sky Sun hat mehrere Jahre eine Kaderposition beim US-Sportartikel-Giganten Nike eingenommen und war dabei dem amerikanischen Erfolgsdenken ausgesetzt. Mehr als drei Jahre war er als Direktions-Mitglied der Wolverhampton Wanderers mit der sehr speziellen, aber äusserst erfolgreichen englischen Fussballmentalität konfrontiert. Dieser amerikanisch-englische Erfahrungsschatz ist doch eine hervorragende Voraussetzung für ein erfolgreiches Wirken von Sky Sun bei GC.
Verfügt er auch über die erforderliche Fussballkompetenz?
Bei Wolverhampton fand er eine ganz ähnliche Ausgangslage wie bei GC vor. Er musste einen Traditionsverein aus der zweiten Liga innerhalb eines Jahres so aufrüsten, dass er den Aufstieg in die Premier League schaffen konnte, was ihm gelang. Im ersten Jahr erreichte Wolverhampton den 7. Rang. In der aktuellen Saison stehen die Wolves auf dem 6. Platz, nur zwei Punkte hinter Manchester United, aber 2 Punkte vor Mourinhos Tottenham und 3 Punkte vor Arsenal mit Granit Xhaka. In der Europa League sind sie immer noch vertreten. Das ist doch ein ausgezeichneter Leistungsausweis für einen 36-jährigen chinesischen Newcomer in der besten Fussball Liga der Welt.
Geht die Verpflichtung von Sportchef Bernard Schuiteman auf sein Konto?
Der neue Präsident Sun hat offensichtlich bei seiner GC-Analyse einen schwerwiegenden Schwachpunkt entdeckt – ein völlig ungenügendes Scouting-System im Profibereich. Schuiteman war Chefscout bei Rapid Wien, dazu war er bei Manchester United und Wolverhampton tätig. Er ist ein profunder Kenner des europäischen Fussballs. Sun kennt ihn daher persönlich und konnte sich von seinen Fähigkeiten und seinem enormen Wissen überzeugen.
Den Schweizer Fussballmarkt – und der ist für GC der wichtigste – dürfte er wohl kaum kennen?
Sowohl bei ManUnited als auch bei den Wolves war er neben vielen anderen Ländern auch für die Schweiz zuständig. Schuiteman ist ein absoluter Top-Mann, der auch das zweithöchste Trainerdiplom der Uefa besitzt. Ich persönlich kenne keinen Schweizer, der besser über den europäischen Fussball Bescheid weiss.
Überrascht Sie der Rauswurf von Geschäftsführer Fredy Bickel, den Sie ja bestens kennen?
Ich habe seinen Rauswurf zum jetzigen Zeitpunkt nicht erwartet. Resultatmässig konnte Bickel seit seinem Einstieg keine Trendwende einleiten. Aber es gelang ihm, den Club zu stabilisieren und in ruhigere Gewässer zu führen. Das war eine schwierige Aufgabe.
Aber Bickels Verabschiedung hat kaum etwas mit mittelmässigen Resultaten zu tun?
Natürlich nicht. Bickel hat Cheftrainer Uli Forte gefeuert, weil zwischen den beiden kein Vertrauensverhältnis entstand, was nach deren gemeinsamen turbulenten Zeiten bei YB zu erwarten war. Beide misstrauten sich bei GC von der ersten Sekunde an. Zwischen einem Teil der neuen Entscheidungsträger bei GC und Fredy Bickel, die seit sechs Monaten in Kontakt waren, entwickelte sich offensichtlich keine Vertrauensbasis. Sowohl Fortes Rausschmiss durch Bickel als auch Bickels Kaltstellung durch die neuen Machthaber lässt sich rational gesehen nur schwerlich rechtfertigen. Doch in menschlichen Beziehungen sind die emotional gesteuerten Energien dem rationalen Denken und Verhalten meistens überlegen. Das ist keine neue Erkenntnis.
Wie weit hat Sie die Wiederverpflichtung von Adrian Fetscherin überrascht?
Chinesische Investoren analysieren die Vergangenheit ihrer Übernahme-Kandidaten akribisch. Ihnen dürfte aufgefallen sein, dass beim letzten grossen Erfolg von GC mit dem 2. Rang und dem Cupfinalsieg gegen Basel in der Saison 2012/13 Fetscherin in verantwortlicher Stellung bei GC tätig war. In dieser Saison konnte GC mit 8'700 Zuschauern den höchsten Zuschauerschnitt der jüngsten Vergangenheit verbuchen! Da darf Fetscherin einen grossen Anteil für sich in Anspruch nehmen. Solche Spitzenleistungen entgehen den Chinesen nicht – und die echten GC-Fans werden das Engagement mit grosser Freude zur Kenntnis nehmen.
Sie sprechen von rationalen Gründen für ein Gelingen der chinesischen Investoren. Gibt es auch irrationale Gründe für ein mögliches Scheitern?
GC wird nicht scheitern, da bin ich mir sicher. Chinesische Investoren haben im Fussball wie in der Privatwirtschaft bewiesen, dass sie verlässliche Partner sind und alles unternehmen, um ihre auserwählten Projekte zum Erfolg zu führen. Sie haben sich bereits ein genaues Bild von den Zuständen bei GC gemacht. Zum Glück sind die grossen Versager, die den historischen Abstieg in die Challenge League zu verantworten haben, bereits vom Hofe gejagt worden.
Stimmt nicht ganz. Der aktuelle GC-Präsident Andras Gurovits muss als damaliger Vizepräsident ebenfalls eine Teilschuld am GC-Schlamassel auf sich nehmen.
Herr Gurovits hat die sehr komplexen Übernahmeverhandlungen mit den Investoren erfolgreich zu Ende geführt. Damit hat er sich historische Meriten in der bewegten GC-Geschichte verdient. Die Chinesen schätzten dabei die Kompetenzen des bis anhin einzigen GC-Verwaltungsrates.
Hat Anwalt Gurovits aus der renommierten Anwaltskanzlei Niederer, Kraft & Frey den Kontakt zu den Chinesischen Investoren hergestellt?
Nein, definitiv nicht. GC verfügt heute noch über eines der mächtigsten wirtschaftlichen Netzwerke in der Schweiz. Erfolgreiche Wirtschaftskapitäne und mehrfache Milliardäre sind darin zu finden. Aber auch aus diesen Kreisen kam der Kontakt zu den Chinesischen Investoren nicht zustande.
Wer sind denn die eigentlichen Glückbringer von GC?
Zwei Unternehmer haben sich, ohne ein Mandat von GC, auf eigenes Risiko und eigene Kosten auf die Suche nach Investoren gemacht. Samuel Haas, ehemaliger GC-Spieler, ist seit vielen Jahren spezialisiert für internationale Club-Übernahmen. Shqiprim Berisha, Ex-Fussballer des FC Luzern, hat einen sehr guten Draht zum grössten und erfolgreichsten Spieleragenten der Welt, Jorge Mendes. Dieser besitzt bekanntlich sehr gute Kontakte zu asiatischen Grossinvestoren.
Chinesen und Schweizer, passt das zusammen?
Kulturell und politisch gibt es natürlich enorme Unterschiede. Aber bei genauerem Hinsehen kann man überraschende Gemeinsamkeiten feststellen.
Da sind wir aber gespannt...
... Schweizer und Chinesen zeichnen sich durch ein sehr hohes Arbeitsethos aus. Selbstdisziplin ist die Grundlage einer ständigen Einsatz- und Leistungsbereitschaft. Der Eigenantrieb, sich ständig weiter zu bilden, um den sich rasch verändernden Bedingungen anpassen zu können, ist eine absolute Grundvoraussetzung, um Erfolg zu haben. Da ticken Chinesen und Schweizer genau gleich.
Aber die total verschiedenen Kulturen in China und der Schweiz müssen doch früher oder später zu Spannungen führen?
Das ist durchaus möglich. Doch solange die Zielsetzung der chinesischen Führung und dem Zürcher Management übereinstimmen, wären Reibungen und Spannungen innerhalb von GC kein Killer-Kriterium.
Die chinesische Parteidiktatur und die schweizerische Basis-Demokratie hinterlassen doch bei ihren Führungspersönlichkeiten unüberwindliche Gegensätze und Widersprüche?
Tatsache ist, dass die Schweiz gegenwärtig weltweit als innovativstes Land gilt und mit der ETH Zürich eine der besten Universitäten besitzt. Mehr als sechzig Prozent der 500 Professoren sind Ausländer und Ausländerinnen. Einige davon auch Chinesen. China wiederum ist in der Technologie, Digitalisierung, Robotertechnik und der künstlichen Intelligenz zur Weltspitze aufgestiegen. Der chinesische Huawei-Technologie-Konzern, der in der Entwicklung seines Handys dem amerikanischen Apple um Jahre voraus ist, hat Zürich als Forschungsschwerpunkt ausgesucht. Gegenwärtig sucht Huawei nicht weniger als eintausend Forscher, um den chinesischen Vorsprung zu bewahren oder sogar noch weiter auszubauen. In der Spitzentechnologie strebt man offensichtlich eine Zusammenarbeit zwischen Schweizern und Chinesen an – im Fussball soll eine solche Kooperation zum Scheitern verurteilt sein. Das verstehe ich nicht.
Im Spitzenfussball spielt China bis heute aber nur eine vernachlässigbare Rolle.
Das stimmt, was sich aber innert Kürze ändern dürfte. Chinas Staatspräsident Xi Jinping, der ein glühender Fussball-Liebhaber ist, hat angeordnet, dass Fussball in der Schule als obligatorisches Schulfach eingeführt wird und in den kommenden Jahren zwanzigtausend Fussball-Akademien für durchschnittlich fünfhundert Knaben und Mädchen gebaut werden, wo sie neben der Schule täglich auch im Fussball ausgebildet werden. Das wird dem chinesischen Spitzenfussball ganz neue Dimensionen eröffnen.
Heisst das auch, dass chinesische Spieler bald einmal in einem blau-weissen Trikot von GC aufkreuzen werden?
In den ersten Jahren wohl kaum, aber auf mittlere Sicht dürfte GC versuchen, chinesische Topspieler zu verpflichten oder junge chinesische Talente auch selbst auszubilden. Denn vergessen Sie nicht, der chinesische Fussballmarkt entwickelt eine immense Dynamik. Für GC kann in der derzeitigen Lage kaum etwas Besseres passieren, als von einer chinesischen Investorin unterstützt zu werden, deren Land ungeheure Mittel in den Fussball investiert – geführt von einem neuen Präsidenten, der im englischen Spitzenfussball seine ersten Sporen abverdiente, und einer mit Berisha, Haas, Fetscherin und Schuiteman erweiterten Führungscrew. Das ist eine einmalige Ausgangslage, GC wieder zu einem Spitzenclub der Schweiz zu formen.
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
---|---|---|---|---|---|
1 | FC Thun | 14 | 14 | 28 | |
2 | FC Etoile Carouge | 14 | 6 | 26 | |
3 | Neuchatel Xamax FCS | 14 | -3 | 22 | |
4 | FC Aarau | 14 | 5 | 21 | |
5 | FC Vaduz | 14 | -2 | 20 | |
6 | FC Wil | 14 | 4 | 18 | |
7 | FC Stade-Lausanne-Ouchy | 14 | 6 | 16 | |
8 | AC Bellinzona | 14 | -7 | 16 | |
9 | FC Schaffhausen | 14 | -5 | 15 | |
10 | FC Stade Nyonnais | 14 | -18 | 10 |