Hakan Yakin, was sagen Sie zur Schweizer Gruppe mit Brasilien, Serbien und Kamerun an der WM in Katar?
Hakan Yakin: Die Brasilianer, auch wenn man sie bereits vor vier Jahren in der Gruppe hatte, sind immer ein Highlight. Den Serben wären wir wohl gerne aus dem Weg gegangen, aber sie hätten uns wohl auch nicht gewünscht. Und Kamerun stufe ich als eines der besten Teams aus Topf vier ein. Sicher eine spannende Gruppe – aber machbar.
Kann Ihr Bruder Murat mit der Nati Weltmeister werden?
Erst mal die Gruppe überstehen, dazu brauchts einen Startsieg gegen Kamerun. Dann schauen wir weiter.
Captain Granit Xhaka hat vor dem Spiel gegen England angekündigt, dass er Weltmeister werden wolle.
Ich finde gut, dass Granit sagt, was er denkt. Und dass ein Sportler an ein Turnier fährt, um es gewinnen zu wollen, sollte selbstverständlich sein. Er hätte auch sagen können: «Dabei sein ist alles.» Aber so denkt er nun mal nicht. Obwohl man in der Schweiz noch immer Mühe hat mit solch forschen Ansagen. Wir sind lieber vorsichtiger und bescheiden.
Hätten Sie es auch so formuliert?
Vor einigen Jahren habe ich vor einem Länderspiel gegen Deutschland gesagt, dass die Deutschen physisch besser wären, wir Schweizer aber taktisch besser ausgebildet. Da habe ich auch ganz schön einstecken müssen. Aber es war nun mal eine Tatsache.
Xhaka war nach seinem 100. Länderspiel gegen Kosovo sauer, weil Ihr Bruder ihn schon nach einer Stunde vom Platz genommen hat. Verständlich?
Dass Granit keine Freude daran hatte, ist doch normal. Er wollte wohl unbedingt noch ein Tor schiessen, dieses für ihn sehr spezielle Spiel entscheiden. Aber er muss es akzeptieren. Muri ist der Trainer, und er hat ja nach dem Spiel erklärt, dass er Granit ausgewechselt hat, damit er fit sei für seine wichtigen Aufgaben bei Arsenal. Wenn man zwei Freundschaftsspiele in so kurzer Zeit bestreitet, ist es normal, dass man die Spieler nicht zweimal neunzig Minuten durchspielen lässt.
Dass Murat sein Ding kompromisslos durchzieht, haben Sie selbst erfahren. Als er 2011 Luzern-Trainer wurde, hat er sogar Sie rasiert …
Mich, den eigenen Bruder! (Lacht.) Nein, im Ernst: Rasiert würde ich nicht sagen. Er hat mich jeweils immer als Ersten ausgewechselt.
Sie waren damals nicht sauer?
Klar war ich sauer! Aber im Nachhinein muss ich sagen, er hat recht gehabt. Ich war bereits 34 damals, ab einer Stunde ist mir der Schnauf ausgegangen, ich konnte seine taktischen Vorgaben nicht mehr erfüllen. Über die Zukunft eines Trainers entscheidet der Totomat, das weiss Muri genau. Und so handelt er: Erfolg steht bei ihm über allem.
Das musste später beim FC Basel auch Alex Frei erfahren.
Ja genau, fragen Sie mal Alex. Oder Superstar Artem Dzyuba, der heute Captain der russischen Nationalmannschaft ist. Er wurde, als Muri Spartak trainierte, gar ausgeliehen. Namen und Prestige zählen bei ihm nicht.
Muss sich Xhaka also Sorgen machen?
Nein. Granit mit seinen Fähigkeiten und seiner Klasse wird auch unter Muri unbestritten ein Führungsspieler sein.
Hätte ein Fussballkünstler, wie Sie einer waren, noch einen Platz in der jetzigen Nati?
Ich hoffe es. Aber einfacher macht man es solchen Spielertypen, wie ich einer war, nicht wirklich. Ich bin zumindest froh, spielten wir damals noch ohne diese Sport-BHs, die alle Daten aufzeichnen.
Ist die heutige Nati besser als diejenige mit Ihnen, Frei, Streller, Müller, Vogel, Magnin & Co.?
Solche Vergleiche führen zu nichts. Auch die Nati 1994 um Sforza, Sutter und Chapuisat war sehr stark. Sicher ist, dass die Nati noch nie so breit besetzt war wie heute. Jede Position ist mindestens doppelt besetzt mit Spielern, die in grossen ausländischen Ligen spielen. Diese bringen alle ein viel höheres Tempo mit, als wenn sie in der Super League spielen würden.
Ist die Super League im Vergleich also schwächer geworden?
Das will ich so nicht sagen. Aber das Niveau in den Top-Ligen Europas ist natürlich halt doch noch um einiges höher. Aber die Spieler im Ausland brauchen auch regelmässig Spielpraxis. Ich spreche aus Erfahrung: Spielt man monatelang nicht im Klub, fehlt einem Rhythmus, Tempowechsel und das Gefühl. Diese Dinge holt man sich in den Spielen, nicht im Training, egal wie viel Talent man mitbringt.
Wirds unter Ihrem Bruder für Spieler, die im Verein nicht regelmässig spielen, schwierig?
Für gewisse Spieler dürfte es dann eng werden, ja. Wie gesagt: Er schaut nicht auf Namen.
Sie waren über längere Zeit auch Murats Assistenztrainer. Wie wars mit ihm?
Sehr gut, wir haben gut zusammengearbeitet. Ich konnte viel von Muri und seinem Erfahrungsschatz profitieren.
Hat er auf Sie gehört?
Ja. Vier Augen sehen mehr als zwei, das weiss auch Muri. Und er kennt mich ja. Er weiss, dass ich ein Spiel lesen kann, dass ich sehr schnell merke, wo die Schwachstellen sind.
Wie sah Ihre Arbeitsaufteilung aus?
Ich war mehr für die Offensive zuständig, er fürs defensive Verhalten. Aber natürlich hat er am Ende über die gesamte Spielstrategie entschieden.
Haben Sie beide dieselben Spielphilosophien?
Sicher ähnliche. Aber ihm ist es wichtiger, dass hinten zuerst mal die Null steht. Mir eher, dass wir vorne einen mehr schiessen als der Gegner.
Wollten Sie nicht als sein Assistenztrainer mit zur Nati? Immerhin hat er ja einen gesucht.
Nein. Es gefällt mir super hier zusammen mit Martin Andermatt beim FC Schaffhausen. Ich habe gemerkt, dass Trainer sein das ist, was ich will. Nun habe ich das A-Diplom in der Tasche und starte mit dem Lehrgang zum Uefa-Pro.
Sie bieten zudem Fussball-Trainingscamps für Kinder an und führen die Yakin Arena, eine Fussballhalle in Oberengstringen ZH. Wird das nicht zu viel?
Nein. Trainingscamps während den Schulferien organisiere ich schon lange. Die Yakin Arena ist zwar wie mein Baby, aber hauptberuflich bin ich Trainer. Die Fussballcamps bieten wir seit Jahren an, neuerdings haben wir auch eine Academy aufgebaut. Das ist alles nun in der Yakin Arena. Dort kümmert sich ein Geschäftsführer um das Tagesgeschäft.
Wie sind Sie auf die Idee einer Fussballhalle gekommen?
Regen, Schnee und Kälte sind nicht so mein Ding. Ich war schon als Aktiver ein Schönwetter-Fussballer (lacht). In den Fussballcamps müssen wir manchmal witterungsbedingt Alternativprogramme durchführen – zum Beispiel Bowling statt Fussball. Ausserdem sind bei uns in der Schweiz die Fussballplätze einige Monate nicht bespielbar. Wetterunabhängig das ganze Jahr allen das Fussballspielen zu ermöglichen, war die Idee. Ob gross oder klein, ob im Verein oder einfach zum Plausch. Und wenn es die Witterung erlaubt, öffnen wir jeweils das Dach der Anlage. Alle Projekte machen mir grossen Spass, und ich bin stolz auf das, was wir aufgebaut haben.