Granit Xhaka, der 40 Millionen-Mann, Chef im Mittelfeld der Nati, Ex-Gladbach-Captain. In der Schweiz und in Deutschland bekannt wie ein bunter Hund. Und in der Welthauptstadt des Fussballs?SonntagsBlick macht sich in London auf Spurensuche, das Ergebnis ist vernichtend. «Nie gehört!» «Der sieht ja aus wie Ronaldo!» «Ein Schweizer? Ah, Shaqiri!» «Wie buchstabiert man seinen Namen? Jaga?»
Diese und andere Reaktionen kommen auf die Frage, wer die Nummer 29 des FC Arsenal trägt. Ob vor dem Big Ben, der Tower Bridge, dem Piccadilly Circus. Ob vor dem Riesenrad, dem Swiss Corner oder dem Buckingham Palace. Überall, wo der Name des Schweizer Nationalspielers fällt: ratlose Gesichter. Noch nicht einmal im Pub vor dem Arsenal-Stadion wird der 23-Jährige erkannt – dass er gestern beim 3:0 gegen Chelsea zu Beginn wieder nur auf der Bank sitzt, hilft da sicher auch nicht. Xhaka ist der grosse Unbekannte in der englischen Hauptstadt! Jener Mann, der im gleichnamigen Film aus dem Jahre 1920 in London lebt – und den keiner kennt!
Dass sich die Menschen in London trotzdem für den Nati-Spieler interessieren, sich mit ihm fotografieren lassen, liegt nicht an Xhaka, sondern am Logo auf dessen Brust.
Die goldene Kanone, 130 Jahre alt, Markenzeichen des Klubs, auf der ganzen Welt bekannt. Auch deshalb, weil Arsenal-Fan Nick Hornby mit «Fever Pitch» das erfolgreichste Fussball-Buch aller Zeiten geschrieben hat. Es ist die Geschichte eines Klubs, der 1886 im Londoner Norden gegründet wurde und in den 30er-Jahren das Mass aller Dinge war.
Die Geschichte eines Arbeiterklubs, der in den folgenden Jahrzehnten eine legendäre Durststrecke erlebt – und dadurch zum Mythos wird. «Ich verliebte mich in den Fussball, wie ich mich später in Frauen verlieben sollte: plötzlich, unerklärlich, unkritisch und ohne einen Gedanken an den Schmerz und die Zerrissenheit zu verschwenden, die damit verbunden sein würden», schreibt Hornby über die Leidenszeit.
18 Jahre lang wartet Hornby, der 1957 geboren wird, auf einen Meistertitel. 1989 ist es soweit, das entscheidende Spiel gegen Liverpool gehört zu den dramatischsten der englischen Fussballgeschichte. Arsenal braucht auswärts an der Anfield Road einen Sieg mit zwei Toren Differenz, Sekunden vor Schluss sorgt Eigengewächs Michael Thomas für den wohl legendärsten Treffer in der 130-jährigen Vereinsgeschichte.
Der Titel entschädigt die Fans für die lange Leidenszeit, bis heute hat der Klub 20 weitere Trophäen geholt, 15 davon unter Coach Arsène Wenger.
Der feiert am Donnerstag sein 20-Jahre-Jubiläum an der Seitenlinie der Gunners, auch er war bei seiner Ankunft im Sommer 1996 – wie Xhaka – der grosse Unbekannte.
«Arsène wer?», titelt eine Zeitung. Der damalige Captain Tony Adams sagte: «Am Anfang dachte ich: Was versteht dieser Franzose schon vom Fussball? Er trägt Brille und sieht aus wie ein Lehrer in der Schule. Kann er überhaupt richtig Englisch?»
Zu jener Zeit ist Arsenal berühmt (und berüchtigt) für knallharten Defensivfussball, Wenger revolutioniert die Spielweise der Gunners, Spiele im altehrwürdigen Highbury werden zum Erlebnis. «Ich mag modernen Fussball mit kompakten Linien, mit Zonen, Pressing, schnelle und koordinierten Bewegungen», sagt er bei seiner Vorstellung. Und: «Fussball kann Kunst sein!»
Zwei Jahre nach seinem Amtsantritt gewinnt Wenger das Double, vier Jahre später wiederholt er den Erfolg, ganz Europa ist begeistert von seinem «One-Touch-Fussball», in der Saison 2003/2004 bleiben die Gunners unter Wenger während einer ganzen Saison lang ungeschlagen. 18 (!) Mal in Folge qualifiziert sich Arsenal seit Wengers Ankunft für die Champions League, ein Meisterstück an Kontinuität. All der Erfolge zum Trotz ist der «Professeur» im Londoner Norden umstritten, von Investoren massiv unterstützte Klubs wie Manchester City, Chelsea oder Manchester United haben den Gunners den Rang abgelaufen, seit zwölf Jahren wartet der erfolgsverwöhnte Klub auf den Meistertitel. Von «Finanzdoping» sprach der Arsenal-Coach, wenn er auf die Konkurrenten angesprochen wurde – und sagte, dass sein Klub «mit Steinen gegen Maschinengewehre kämpfen» müsse.
Doch auch Arsenal hat mittlerweile wieder die finanziellen Mittel, um für einen defensiven Mittelfeldspieler wie Granit Xhaka 40 Millionen zu bezahlen. «Er hat seine Sache bislang gut gemacht und bewiesen, dass er Qualitäten besitzt. Trotzdem bin ich der Meinung, dass Arsenal zu viel für ihn bezahlt hat. Er war massiv zu teuer!», sagt der langjährige Arsenal-Reporter der «Sun», Charlie Wyett. Geht es nach Wenger, zahlte man keinen Rappen zu viel: «Granit Xhaka findet einen guten Mix aus kurzen und langen Bällen, er hat eine gute Statur, ist stark in der Luft und findet immer die richtige Balance im Spiel», sagte der 66-Jährige nach den ersten Auftritten des Schweizers. Dass sein defensiver Mittelfeldspieler in Englands Hauptstadt noch keinen grossen Bekanntheitsgrad besitzt, wird Wenger egal sein. Auch er war damals, vor zwanzig Jahren, der grosse Unbekannte.
Und Xhaka? Der dürfte sich damit trösten, dass sein Name zumindest am kommenden Mittwoch keine ratlosen Gesichter hinterlässt. Dann kommt der FCB nach London. Und mit ihm Tausende Fans, die den 23-Jährigen seit Jahren bestens kennen.