Vor seinem inneren Auge ist das Haus schon eingerichtet. Fredy Bickel (51) strahlt und sagt: «Hier kommt der Beamer hin. Hier die Weinbar. Da die Boule-Bahn, hier die Juke-Box.» Er steht auf dem zweiten Stockwerk und zeigt SonntagsBlick den Rohbau seiner Altersresidenz in Mettmenstetten ZH.
Es wird ein Familien-Projekt. Im Parterre entstehen zwei Wohnungen – eine für ihn, die andere für seine ältere Tochter Lara (24). Im ersten Stock wird Bickels Schwester mit ihrem Mann und ihren Kindern einziehen. Und unter dem Dach gibts einen grossen Gemeinschaftsraum. Inklusive einer Kiesbahn, um Boule zu spielen. «Hier werden wir uns regelmässig treffen.» Auch seine Eltern werden dabei sein. Sie wohnen im Nachbarshaus. Da, wo Fredy gross wurde. «Da habe ich als Bub immer Fussball gespielt», sagt Bickel und zeigt über die Hecke. Im Zuge des Neubaus haben die Bickels unterirdisch die Häuser verbinden lassen. «Meine Familie ist mir sehr wichtig», sagt er. Ende Jahr will er einziehen. Ein ambitioniertes Ziel! «Zuletzt habe ich das Projekt etwas schleifen lassen. Jetzt habe ich aber Zeit dafür.»
Mehr, als ihm lieb ist. Am Dienstag vor vier Wochen wurde der Sportchef der Berner Young Boys Knall auf Fall freigestellt.
BLICK: Fredy Bickel, kam für Sie Ihre Entlassung ebenso überraschend wie für alle anderen?
Fredy Bickel: Einerseits schon, weil man uns immer im Glauben liess, alles sei gut. Andererseits nicht wirklich, weil ich nach dem personellen Wechsel im Verwaltungsrat sofort gespürt habe: das wird ganz schwierig.
Und jetzt sind Sie frustriert?
Nein. Aber enttäuscht. Vor allem, weil ich im Nachhinein erfuhr, dass die Entlassung schon seit Monaten beschlossene Sache war und dass man sich mit meinem Nachfolger schon längere Zeit einig war. Man hat mich ins Leere laufen lassen.
Ihnen wird vorgeworfen, zu viel Geld ausgegeben zu haben.
Man muss wissen, dass ich bei YB keinen Vertrag alleine unterschreiben konnte. Alle Entscheide haben wir gemeinsam gefällt. Aber ich war in der operativen Leitung und trage die Verantwortung. Wir haben letzte Saison die Europa League verpasst und keine Spieler teuer verkaufen können.
Sie hinterlassen ein Defizit …
… ja, aber dass es 2015 ein Defizit gegeben hat, wussten die YB-Verantwortlichen schon im Januar. Da hat man meine Arbeit noch gelobt und den Vertrag mit mir verlängert. Ich verlasse YB mit einem guten Gefühl, und weiss, dass wir gute Arbeit geleistet haben.
Und trotzdem wurden Sie in Bern entlassen. Weshalb?
Einzelne Personen im Verwaltungsrat haben diesen Entscheid gefällt. Und ich muss diesen akzeptieren.
Sie meinen Urs Siegenthaler, Hanspeter Kienberger und Richard Gostony?
Namen kommentiere ich nicht. Aber, wenn es Neuausrichtungen in Firmen gibt, kann es solche Entscheidungen geben. Dies nachvollziehen können, ist für den jeweils Betroffenen schwierig. So auch für mich.
Sie haben bei Ihrem Amtsantritt YB einen Titel in den nächsten drei Jahren versprochen. Das war ziemlich naiv, oder?
Diese Aussage ist in einem speziellen Kontext entstanden. Aber klar: Ich habe es so formuliert, es war ungeschickt. So habe ich selbst Druck auf mich aufgesetzt.
Freut es Sie, dass Urs Siegenthaler YB bereits wieder verlassen musste?
Nein. Ich will auch nicht zurückblicken und mir vorstellen, was jetzt wäre, wenn er nicht zu YB gekommen wäre. Es ist passiert.
YB hat betont, man wolle fortan stärker mit Nachwuchs-Spielern arbeiten. Haben Sie zu wenig auf junge Spieler gesetzt?
Zuletzt haben wir zweimal die U21-Trophy gewonnen, waren das jüngste Team der Liga mit den meisten eigenen Spielern. Zudem haben wir bei YB unsere Anzahl von Nachwuchs-Nationalspielern von 1 auf 34 erhöht, seit ich hier bin. Wir haben in den letzten Jahren eine tolle Nachwuchsabteilung aufgebaut. Auch dank Nachwuchschef Ernst Graf.
Graf ist wie viele, die Sie nach Bern holten, vom FCZ. Besteht nun das Risiko, dass nach Ihrer Entlassung alle abspringen?
Ernst habe ich nicht nur zu YB geholt, weil er ein Freund ist. Er ist der beste Nachwuchschef der Schweiz. Ich kann zu hundert Prozent hinter jedem stehen, den ich zu YB geholt habe. Sie werden den Klub nicht verlassen. Sie sollen und werden den Weg weitergehen.
Jetzt einfach mit Christoph Spycher. Ist er ein geeigneter Bickel-Nachfolger?
Wuschu ist der bestmögliche Nachfolger. Er bringt alles mit, was es braucht. Insbesondere Fachwissen und grosse Sozialkompetenz.
Schafft er, was Ihnen nicht gelungen ist? Einen Titel mit YB? Oder ist das ein Ding der Unmöglichkeit?
Man kann in Bern Titel holen, davon bin ich überzeugt. Sogar in dieser Saison ist dies noch möglich. Ich hoffe, dass es bald klappt. Dafür braucht es vor allem Kontinuität im gesamten Verein.
Was ist einfacher: FCZ-Sportchef zu sein, wo mit Präsident Ancillo Canepa einer allein das Sagen hat, oder YB-Sportchef, mit verschiedenen Verwaltungsräten, einem Präsidenten und Hauptsponsoren?
Vielleicht war es schon einfacher beim FCZ. Die Wege waren kürzer und ich hatte mit Cillo ein sehr offenes Vertrauensverhältnis.
Schauen Sie sich noch YB-Spiele an?
Ja. Das Spiel in Astana habe ich in Ruhe mit meinem Vater vor dem TV angeschaut. Um die Stadien mache ich im Moment einen grossen Bogen. Ich habe keine Lust mehr auf Fussball. Zumindest im Moment. Die letzten Monate haben an mir gezehrt, ich brauche eine Pause. Spitzenfussball schenkt einem unglaublich viele Emotionen und Freude. Aber er raubt Zeit und Energie.
Im 2007 haben Sie sich scheiden lassen. Vor längerer Zeit haben Sie sich von Ihrer Freundin getrennt und sind wieder Single. Ist der Job eines Sportchefs nicht kompatibel mit einer Beziehung?
Es ist sicher nicht einfach, wenn man den Job so ausübt, wie ich das getan habe. Meine Arbeit hat mich bestimmt, das hatte schon zum Teil sehr egoistische Züge. Ich weiss, dass es nicht einfach war, mit mir zusammen zu sein. Aber ich pflege heute noch ein freundschaftliches Verhältnis zu meinen Ex-Frauen.
Wird es wieder einmal einen Sportchef Fredy Bickel geben?
Ich denke, dass irgendwann meine Batterien wieder aufgeladen sind und ich wieder etwas im Fussball bewegen will. Ich bin jetzt 51 und noch zu jung, um aufzuhören zu arbeiten. Und zu alt, um etwas ganz Neues anzufangen.
Mittlerweile sitzen wir im Restaurant Rössli bei einer kalten Platte. Einige Meter von Bickels Rohbau entfernt. Hier kennt ihn jeder. Und er kennt jeden. «Ciao Fredy, wie gehts?», fragt ein Mann in Arbeiter-Montur, der Ferdi. «Ciao Ferdi, gut und dir?», fragt der Ex-YB-Sportchef zurück. «Das ist meine Heimat. Hier wohnen meine ältesten Freunde und meine Familie. Hier fühle ich mich wohl», sagt er. Und hier schaut man auf seine Freunde. So hat ihm Vreni, die Wirtin des Rössli, bereits einen Job angeboten. «Sie hat mich gefragt, ob ich bei ihr an der Bar arbeiten wolle», sagt Bickel und lacht. Er hat vorerst freundlich abgesagt. «Ich habe im Moment andere Projekte.»
Was machen Sie, ausser sich um den Bau zu kümmern?
Zum Glück habe ich viele Träume und Ideen, was ich gerne machen will. Ein Buch zu schreiben, gehört sicher dazu. Ich bin jetzt 25 Jahre im Profifussball. Stoff hätte ich genug.
Haben Sie schon einen Buchtitel im Kopf?
So ganz spontan fällt mir ein: «Profifussball – Traum oder Albtraum?»
Also: «Sportchef – Traum oder Albtraum?»
Im Moment würde ich eher zu Zweitem tendieren.
Werden Sie nun auch wieder singen? Sie haben ja schon mal ein Lied aufgenommen. Wie war der Titel?
Das war im Jahr 2002, das Lied hiess: «Wo die Liebe ein Zuhause fand» und handelte von den Young Boys. Und Sie liegen richtig: Es gibt ein neues Projekt für ein Mundart-Lied. Entstanden ist die Idee an unserem Stammtisch im Freundeskreis mit und um Beat Schlatter.
Dann hoffen wir, dass Sie diesmal mit dem Singen mehr Erfolg haben. Ancillo Canepa hat einst gesagt, dass Sie im 2002 knapp 30 Exemplare verkauft hätten. Und er habe eines davon erstanden.
Das war eine einmalige Auflage von 3000, und das Lied war schon bald ausverkauft. Allerdings glaube ich nicht, dass sich Cillo eine CD gekauft hat. Wenn er eine besitzt, dann habe ich sie ihm wahrscheinlich geschenkt.
Werden Sie wieder solo singen?
Nein, nein. Wir planen ein lustiges Projekt. Nicht, dass Sie jetzt schreiben, dass Bickel eine Karriere als Sänger plant. Dass ich kein guter Sänger bin, weiss ich. Aber es macht mir trotzdem Spass.
Zurück auf der Baustelle. Passanten bestaunen Bickels Auto. Kein Wunder! Er fährt einen VW Porsche 914/6. Ein Modell aus dem Jahr 1970. «Das war mein Kindheitstraum, den ich mir vor 15 Jahren erfüllt habe», sagt Bickel. Was auffällt, ist die Farbe des Oldtimers. YB-Gelb! Werden Sie ihn jetzt umspritzen? «Nein! Den habe ich gegen Ende meiner ersten Zeit bei YB gekauft. Der bleibt gelb.» Das Ende seiner ersten YB-Zeit war hässlicher – diese endete in einer Schlammschlacht mit YB-Chef Peter Jauch. «Da war ich jung und naiv. Ich habe mich darauf eingelassen und auch provoziert.»
Heute ist alles anders. Bickel: «Ich habe den Verein in Frieden und Freundschaft verlassen und mit dem Gefühl, dass wir alle zusammen auch viel gute Arbeit geleistet haben.» Ist es ausgeschlossen, dass Bickel seine Zelte ein drittes Mal in Bern aufschlägt? «Ich denke, das ist ausgeschlossen», sagt er und braust davon. Im YB-Gelben Sportwagen mit Berner Nummer.