Vettel wäre froh um seine Hilfe
«Jetzt fehlt uns Schumi bei Ferrari»

Vize-Weltmeister Sebastian Vettel (30) wohnt seit über zehn Jahren in der Schweiz. Er redet wie immer Klartext. Diesmal über seine Fehler, den Fall Kubica, die Formel E und warum Schumi fehlt.
Publiziert: 03.12.2017 um 09:07 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 14:57 Uhr
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«Hamilton muss die Kirche auch im Dorf lassen», sagt Sebastian Vettel.
Foto: AP
Roger Benoit aus Abu Dhabi

Der Wahl-Thurgauer musste in Abu Dhabi beim Pirelli-Test wie alle Kollegen nachsitzen. Vettel drehte am Mittwoch als Testsieger 118 Runden im Ferrari und war happy: «Schade, dass die Saison vorbei ist! Der neue Gummi ist super. Jetzt wäre ich noch so richtig heiss aufs Fahren.»

BLICK: Sebastian Vettel, die erste Frage bei über 30 Grad: Freuen Sie sich jetzt auf den Winter?
Sebastian Vettel:
Ja, ich habe diese Jahreszeit sehr gerne und finde ­diese auch spannend. Wir wohnen ja am schönsten Platz der Welt. Dazu zähle ich jetzt mal einfach ­Europa. Wenn wir weg sind, haben wir Heimweh und daheim haben wir dann plötzlich wieder Fernweh.

Die Schweiz als idealer Wohnort, mit viel Ruhe …
Ich geniesse es in eurem Land. Es ist alles tadellos.

Kurz zurück nach Abu Dhabi: Sie haben wieder eine Scheidung hinter sich. 2018 ­werden Sie ja nicht mehr mit «Gina» fahren. Wissen Sie schon, welchen ­Mädchennamen Sie dem neuen Ferrari geben?
Nein. Das entscheide ich mit den Mechanikern wieder erst vor dem WM-Start in Melbourne. Mit «Gina» hätte ich jetzt noch gerne fünf Rennen bestritten. Sie hätte mir noch einige Siege bringen können.

Mercedes-Aufsichtsrat Niki ­Lauda hat Ferrari vor dem Finale geadelt …
... Warum?

Er hat gesagt, dass ohne Hamilton Mercedes die WM nicht gewonnen hätte und Ferrari oft sogar das bessere Auto hatte.
Am Ende ist dies ­eigentlich egal. Aber er hat Recht. Allerdings muss man die Kirche auch im Dorf lassen. Die meiste Zeit war es ein enges und ausgeglichenes Duell. Am Ende aber waren wir nicht stark ­genug. Ob es nun aufgrund der Ausfälle, des Speeds oder sonst was war.

In Brasilien haben Sie bei Ihrem fünften Saisonsieg Bottas 71 Runden hinter sich gelassen.
Okay, aber wenn wir ehrlich sind, war Mercedes auch an jenem ­Wochenende stärker und Hamilton der schnellste Mann. Wäre er nicht aus der Boxengasse gestartet, wäre es schwer gewesen, ihn einzuholen.

Eine klare Antwort.
Wir müssen da ehrlich bleiben. Dinge passieren immer aus einemGrund – und Mercedes hat dieses Jahr mehr Punkte gesammelt als wir. Auch in der Fahrerwertung. Hamilton war einfach der bessere Mann.

SonntagsBlick gibt Ihnen für diese Saison eine 9. Sie wissen selbst, wo Sie die Traumnote 10 verscherzt haben!
Ja, ich würde mal sagen in Baku. Das war mein grober Schnitzer. Im Endeffekt habe ich dort sogar ­einen Sieg verspielt. Meine Aktion war unnötig. Hat diese im End­effekt den Unterschied in der WM gemacht? Ich glaube nicht. Aber das macht meinen Fehler in Baku nicht kleiner.

Ferrari hat die Note 10 beim ­Asien-Triple in Singapur, Malaysia und Japan in den Sand gesetzt.
So einfach ist das nicht. Grundsätzlich dürfen wir alle stolz auf das sein, was wir 2017 erreicht ­haben. Man muss sehen, wo wir vor der Saison gestanden sind. Wir haben einen grossen Sprung nach vorne gemacht.

Sie haben 2017 fünf Rennen ­gewonnen. Zuletzt gelang dies in einem Ferrari Alonso 2010.
Auch das zeigt unter dem Strich, dass die Saison positiv war. Uns fehlte zum Beispiel in Shanghai und Barcelona das nötige Glück mit den virtuellen Safety-Car-Phasen. Jetzt bleibt der letzte Schritt nach vorne. Das ist der wichtigste. Die noch kleine Lücke zu schliessen und dann auch vorne zu sein.

Was sagen Sie zu den Leuten, die weiterhin die Formel 1 als ewigen Kreisverkehr betrachten?
Im Fussball rennen alle einem Ball hinterher, im Hockey schieben sie sich einen Puck zu. Entweder ist man ein Fan von einem Sport oder eben nicht. Das geht mir doch genauso.

Sie haben uns vor sechs Jahren mal Ihre zehn besten aktuellen Formel- 1-Piloten verraten. Würden Sie das jetzt bitte nochmals für uns tun?
Warum nicht! Beginnen wir mit den drei grossen Teams. Mercedes, Ferrari und Red Bull. Da haben wir schon mal sechs Fahrer. Dann ­haben wir noch Alonso, Wehrlein, Hülkenberg und Ocon.

Alonso hat sich im englischen TV für nächstes Jahr als Titelfavorit genannt ...
Das interessiert mich nicht.

Und Hamilton sagte im Internet, dass er glaubt, dass Sie ihn mehr hassen als er Sie.
Darüber kann ich nur lachen. Ich mache solche Spielchen nie mit und lebe gut damit. Hass ist ein Wort, das in unserem Sport nichts zu suchen hat. Zudem verstehe ich mich mit Lewis besser als viele Leute glauben.

2018 haben wir fast geschlosse ne Formel-1-Boliden. Ist der Halo wirklich nötig?
Ich glaube, wenn man damit ein Leben retten kann, dann ist er ­nötig. Ich bin kein Statistiker, aber wenn man einem Fahrer eine ­Verletzung ersparen kann, dann ist er gerechtfertigt. Natürlich ist die ganze Sache nicht sehr ästhetisch, aber wir werden uns daran gewöhnen. Jetzt haben wir eben ein Gestell vor dem Gesicht.

Und jetzt basteln die Teams mit ihrer Aerodynamik schon am Halo herum. Sie bringen beim Heiligenschein bereits Flügelchen und andere Elemente an.
Das ist eben die Formel 1 – und diesmal sogar erlaubt!

Kommen wir zu einem anderen unbeliebten Thema. Die Formel E will in den grössten Städten der Welt mit ihren zischenden Autos die Zukunft erobern?
Für mich ist das nicht die Zukunft. Die E-Mobilität steht zurzeit weltweit hoch im Kurs. Jeder aber, der sich mit Motor- und Rennsport identifiziert und ehrlich ist, der kann mit der Formel E nicht viel anfangen. Vor allem sind die ­Autos nicht sehr schnell. Viele Piloten, die dort fahren, haben mir gesagt, dass das Fahren nicht sehr auf­regend ist.

Warum lassen Sie weiterhin ­Facebook und Co. links liegen?
Ich kann damit einfach nichts anfangen. Und viele Dinge bestätigen meine Meinung. Es gibt andere ­Sachen, mit denen man seine
Freizeit auch ausfüllen kann.

Privat!? Machen wir kurz Inventar: Wohnkanton Thurgau, Frau, ledig, zwei Kinder, ein Hund …
(Lacht) Korrekt. Und keine Vorstrafen, ist das jetzt ein Verhör?

Hobbys: Rad, Ski – ist was ­Neues dazugekommen?
Ich glaube, man kann es jetzt nicht auf diese zwei Sachen beschränken. Ich probiere gerne mal was aus. Fussball darf man nicht vergessen. Und für einen Sport auf dem Eis müsste ich zuerst einmal das Schlittschuhlaufen lernen. ­Bewegung tut einfach gut. Rumsitzen ist nichts für mich.

Sie sind ein begeisterter Sammler. Wo stehen die 99 Podest-Pokale? Und Sie nehmen ja jedes Rennen auch die Programme mit nach Hause.
Ich habe sogar das Programmheft von meinem ersten Sieg 2008 mit dem Toro Rosso in Monza. Ein Fan hat es mir damals geschickt. Das Tolle und der Reiz daran sind, man kann die Pokale sehen und damit die Podeste anfassen. Diese Erinnerungen bleiben im Kopf. Nur der Anblick zeigt dir, wie oft und wo du schon überall unterwegs warst. Da bin ich sehr emotional. Vielleicht sage ich nach der Karriere, das ist alles Quatsch, jetzt schmeiss ich ­alles weg. Aber eher nicht!

Können Sie im Notfall selbst an Ihrem Privatauto Hand anlegen?
Leider werden die Autos immer mehr mit der Software verschandelt, so dass man nur noch mit dem Stecker weiterkommt. Der ­einem dann auf dem Display ­ausspuckt, was das Problem ist. Zum Glück habe ich einen Hang zu älteren Autos und Motorrädern. Da kann man immer was basteln und reparieren. Doch für einen Reifenwechsel reicht es bei allen Autos.

Verstehen Sie Ihr Formel-1-Auto zu 100 Prozent – oder sind Sie mit Ihrem Latein am Ende, wenn ein Sensor den Geist aufgibt?
Ich glaube, dass mittlerweile wie im modernen Strassenauto auch die Rennwagen sehr komplex sind. Das Zusammenspiel zwischen der Software und Mechanik war noch nie auf einem solchen Level wie jetzt. Aber wenn man das ganze Jahr mit diesen Dingen zu tun hat, versteht man schon ­einige Zusammenhänge, aber ­natürlich nie wirklich alle.

Ihre sportlichen Ziele?
Weltmeister mit Ferrari. Deshalb habe ich ja auch nochmals für drei Jahre in Maranello unterschrieben. Nochmals: Das Ziel muss der 5. WM-Titel sein.

Und die ewige Frage nach
198 Rennen? Wie lange fahren Sie noch? Wie lange ist der Spass, die Motivation im und ausserhalb des Cockpits vorhanden?
Darauf gibt es keine konkrete ­Antwort. Der Punkt, an dem man keinen Spass mehr hat, wird sicher über einen Rücktritt entscheiden. Allein aus dem Grund, dass es ­genug Fahrer gibt, die dann noch Spass haben – da sollte man seinen Platz räumen.

Da wären wir also indirekt beim für viele umstrittenen Comeback von Robert Kubica. Was halten Sie davon?
Ich glaube, es ist sehr tragisch, was damals mit ihm passiert ist. Er galt als zukünftiger Champion. Ich verstehe allerdings nicht, warum er jetzt auf ein Comeback drängt. Warum tat er dies nicht schon früher? Für ihn wäre es sicher eine schöne Geschichte. Andererseits wäre es schade für jüngere Fahrer, denen er ein Cockpit wegnehmen würde.

Michael Schumacher bleibt auch fast vier Jahre nach seinem Skiunfall ein Thema. Wie gut können Sie mental solche Dinge verkraften? Sie sind ja ein Freund des siebenfachen Champions.
Was, so lange ist das her? Das ist extrem lang. Da sieht man, wie schnell die Zeit davonfliegt. Und vor allem wir in der Formel 1 werden fast täglich getrimmt, nach vorne zu schauen. Das nächste Rennen, das nächste Rennen. So ziehen die Jahre vorüber. Natürlich fehlt Michael der Formel 1 immer noch. Und gerade wir bei Ferrari wären jetzt froh, wenn er uns bei der Jagd nach dem WM-Titel mit Rat und Tat beiseitestehen könnte. Wenn einer weiss, wie es nach vorne geht, dann er.

Was war für Sie eigentlich die nervigste Frage 2017?
Wieso es mit dem Titel nicht ­geklappt hat? Warum ich nicht Weltmeister wurde? Das beinhaltet ja, dass man es hätte schaffen können. Wenn dann immer ­wieder die gleiche Frage kommt, kann das schon nerven.

*****

Sebastian Vettel in Zahlen

2007 – gab Vettel für Sauber sein Formel-1-Debüt. Beim GP der USA wurde er 8. und holte damit gleich einen Punkt.

99 – Mal stand Vettel bereits auf dem GP-Podest. 47 Rennen konnte er schon gewinnen - Rang 4 in der ewigen Bestenliste.

50 – Pole-Positionen holte Vettel, er liegt damit hinter Hamilton (72), Schumi (68) und Senna (65) an vierter Stelle.

2990 – Führungsrunden hat Vettel bislang in der Formel 1 absolviert.

198 – GPs bestritt Vettel bis heute. Am 8. April 2018 wird er in Bahrain seinen 200. GP feiern.

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