Auf einmal wird Rudolf Ratzenberger (80) ganz ruhig. Sein Atem stockt. Seine Miene verfinstert sich. «Wie der Roland da lag – als ob er einfach nur schlafen würde», sagt er nach langen Sekunden des Schweigens. «Dieses Bild werde ich nie mehr vergessen.»
Doch Roland schlief nicht. Er war tot. Aufgebahrt in der Gerichtsmedizin Bologna. Gleich neben Ayrton Senna. Bereit, von seinem Vater Rudolf identifiziert zu werden.
Rückblende: Samstag, 30. April 1994, Imola, Abschlusstraining zum Grand Prix von San Marino. Um 13.18 Uhr bricht bei Roland Ratzenbergers Simtek ein Teil des Frontflügels. Das Auto ist dadurch nicht mehr zu lenken. Er kracht mit über 300 km/h in die Begrenzungsmauer. Genickbruch! Er ist sofort tot. Ratzenberger wird nur 33 Jahre alt.
«Sein 1. Wort war Auto»
Am nächsten Mittwoch jährt sich Roland Ratzenbergers Todestag zum 20. Mal. Vater Rudolf empfängt Blick.ch zu Hause in Salzburg. Es ist die Wohnung, die Roland eine Woche vor seinem Unglück übernommen hatte und in der er später wohnen wollte.
Bereitwillig erzählt Rudolf vom Leben und Tod seines Sohnes. Seine Ehefrau Margit hat sich in den oberen Stock zurückgezogen. Ihr fällt es noch immer schwer, über jenen verhängnisvollen Samstag zu reden.
«Sein erstes Wort war nicht Mama oder Papa, es war Auto», erklärt Rudolf. Als Kind steht der kleine Roland am Fenster und versucht, die vorbeifahrenden Autos den einzelnen Marken zuzuordnen.
Schon früh gibt es für Roland nur den Motorsport. Bereits als Vierjähriger hat er nur noch einen Berufswunsch: Rennfahrer werden. Als Kind schleicht er sich auf dem Salzburgring durch die Abflussrohre, um seine Idole zu sehen. Mit selbstgebastelten Seifenkisten macht er erste Fahrversuche. Mit einem VW Käfer, den er mit einem Kumpel zusammengebaut hat, dreht er nächtens als 17-Jähriger in einer Kiesgrube ein paar schnelle Runden. Bis ihn die Gendarmerie entdeckt und sie ihn seinen verdutzten Eltern übergibt.
1994 ist er endlich am Ziel seiner Träume: in der Formel 1. Im Simtek-Team hat er einen Vertrag über fünf Rennen unterschrieben. «Er rief damals freudig meine Ehefrau an und sagte ihr: ‹Ich habe es geschafft! Mach dir keine Sorgen, das ist die sicherste Formel-Klasse der Welt›», erinnert sich Rudolf.
Doch Ratzenberger ist nur 53 Tage lang ein Formel-1-Fahrer. Bis zu jenem verhängnisvollen Rennwochenende in Imola 1994. «Wir kamen eben vom Urlaub aus Mexiko zurück und hatten noch Jetlag. Ich schaute im Bett liegend TV, meine Frau war in der Küche. Dann sah ich, wie plötzlich ein Auto schlingerte und es den Kopf des Fahrers hin- und herschlug. Als ich den Roland erkannte, hatte ich sofort gewusst: Er ist tot!»
«Sie reagierte gefasst»
Seine Ehefrau bekommt den Tod ihres Sohnes zuerst gar nicht mit. Lange überlegt Rudolf, wie er ihr die Schreckensnachricht übermitteln soll. Erst als am Radio die Meldung vom Tod Rolands bereits verkündet wird, sagt er es ihr. «Sie reagierte den Umständen entsprechend gefasst», sagt er heute.
Die nächsten Tage kommen Rudolf «wie im Film» vor. Unzählige Telefonate. Unzählige Fragen. Was ist jetzt zu veranlassen? Wer identifiziert Roland? Wie kommt der Leichnam von Imola zurück nach Salzburg?
«Grauenhafter Moment»
Die Miene von Rudolf Ratzenberger verfinstert sich, als er von der Identifizierung spricht. «Grauenhaft, dieser Moment», sagt er. Es sind diese Bilder, die ihm auch heute noch immer wieder hochkommen. An die er denken muss, wenn sich in einem TV-Krimi eine ähnliche Szene abspielt.
Wie Roland in einem «Leichenwagerl» hereingeführt wurde. Zuerst abgedeckt mit einem weissen Tuch. Wie er friedlich, als ob schlafend, dalag.
Was denkt man in einer solchen Situation? Rudolf Ratzenberger überlegt lange – und sagt nichts. Auch auf die Frage, ob die Zeit wirklich Wunden heilt, fällt ihm eine Antwort schwer. «Mit der Zeit wird der Schmerz bisschen schwächer.»
Mehr will er dazu nicht sagen. «Kommen Sie mit, ich will Ihnen etwas zeigen.» Rudolf Ratzenberger bittet Blick.ch in den Keller. Hier lagern wahre Schätze. Rolands Pokale, Rolands Helme, Rolands Rennoveralls. Hier unter der Erde erklärt er, wie er das schreckliche Ereignis halbwegs verarbeiten konnte. «Ich rede darüber. Mit Freunden, mit Medienleuten. Das ist meine Art der Trauerverarbeitung.» Eine Art, für die er auch schon kritisiert wurde.
Dem 20. Todestag blickt er mit gemischten Gefühlen entgegen. Zusammen mit seiner Frau wird er nach Modena reisen. Am 1. Mai findet dort ein Gottesdienst für tödlich verunglückte Rennfahrer statt.
In solchen Momenten wird er sich wie schon oft die Frage stellen, was aus Roland geworden wäre. Was für ein Leben er heute führen würde. «Wegen seiner guten Sprachkenntnisse wäre er sicher im Management tätig. Roland wäre ein guter Kaufmann.»
Für einen kurzen Augenblick wirkt Rudolf Ratzenberger sentimental. Doch dann sagt er: «Es hilft, dass der Roland als glücklicher Mensch starb.» Oder wie auf seinem Grabstein auf dem Friedhof Salzburg-Maxglan steht: «Er lebte für seinen Traum.» Der kleine Roland: Sein erstes Wort war nicht Mama oder Papa, es war Auto.