Sie ist eine der schnellsten Frauen der Welt. Tatiana Calderon (27) ist das vierte Jahr Test- und Entwicklungsfahrerin für Alfa-Sauber. Daneben will die Kolumbianerin 2020 als erste Frau in der Formel-2-ähnlichen Super-Formula-Serie in Japan und in Le Mans in einem reinen Frauen-Auto mit Instagram-Star Sophia Flörsch und Katherine Legge ihrem Traum von der Formel 1 nachjagen. Aber wegen der Corona-Krise sind alle Saisonpläne auf Eis gelegt. BLICK erreicht Calderon in Madrid, wo sie mit ihrer Schwester und Managerin Paula wohnt.
Sie haben kürzlich in Japan ihr neues Rennauto getestet, jetzt sind sie zurück im Corona-Hotspot Spanien. Was ist passiert?
Es war völlig verrückt. In Spanien war die Situation bereits angespannt. Aber mein neues Team in Japan versicherte, dass der Test stattfindet. Glücklicherweise gab es bei der Einreise in Japan noch keine Quarantäne für uns wie für Italiener und Chinesen.
Eine Testfahrt mitten in der Corona-Krise. Wie war es?
Sehr merkwürdig. An der Strecke in Fuji haben alle Masken getragen. Doch die Reise nach Japan hat sich gelohnt. Ich konnte mein neues Auto, mein neues Team und eine neue Strecke kennenlernen. Es war grossartig, in dieser weltweiten Krise nochmals für zwei Tage im Auto zu sitzen. Wer weiss, wie lange die Pause dauert.
Es grenzt an ein Wunder, dass Sie danach wieder nach Europa fliegen konnten.
Eigentlich wollten wir in Japan bleiben, auch wenn die ersten drei Rennen abgesagt wurden. Wir haben das Land bereits ins Herz geschlossen. Doch auch Japan verschärfte die Massnahmen.
Warum nicht nach Kolumbien zu Ihren Eltern?
Es wäre schön gewesen, unverhofft in Bogota Zeit mit den Eltern verbringen zu können. Aber in Kolumbien waren die Flughäfen längst geschlossen. Ich bin eigentlich froh drum, denn so ist das Land und unsere Eltern gut geschützt. Es blieb nur die Rückkehr nach Madrid, wo wir wegen des Rennsports wohnen.
Was passierte dann?
Es gab noch einen von der spanischen Botschaft organisierten Flieger aus Tokio. Es hiess, es wäre der letzte für eine womöglich sehr lange Zeit. Es war bizarr. Der riesige Flughafen war völlig menschenleer. Im Flieger hatte es höchstens 100 Leute, alle sind mit Abständen zueinander gesessen. Alle trugen Masken und Handschuhe. Das war sehr merkwürdig, fast furchteinflössend. Gott sei Dank hat alles geklappt.
Dann sind sie im Corona-Hotspot gelandet.
Madrid ist eine Geisterstadt. Niemand ist unterwegs. Es gäbe Bussen. Meine Schwester und ich mussten vom Flughafen zwei Taxis nehmen, obwohl wir vom selben Ort kamen und an dieselbe Adresse wollten. Sie dürfen nur noch eine Person transportieren. Verrückt.
Sie stehen jetzt unter Quarantäne. Ihre Schwester darf nicht mal ihren Freund besuchen!
Ja, als Eingereiste müssen wir 15 Tage in Quarantäne bleiben. Aber nach draussen gehen dürfen ja alle anderen auch nicht. Hoffentlich bleibt das nicht monatelang so.
Was machen sie nun daheim?
Ich werde die Zeit für einen guten Muskelaufbau nutzen. Ich muss vor allem am Nacken arbeiten, die Autos in Japan haben extrem viel Abtrieb und hohe g-Kräfte. Und ich werde die japanischen Strecken lernen.
Auf Youtube?
Nein, das Team hat mir ein paar DVDs mitgegeben mit Rennen und Onboard-Aufnahmen der letzten Jahre. Ich habe genug Material, um viele Abende zu füllen (lacht).
Halten Sie auch Kontakt zum Sauber-Team?
Wir haben eine enge Zusammenarbeit, ich bin regelmässig im Kontakt mit den Ingenieuren. Jetzt gibt es zwar nichts zu besprechen, weil die Zukunft ungewiss ist. Aber das geht ja jetzt allen Menschen so. Doch Sauber versucht, uns trotzdem zu beschäftigen. Wir haben für Instagram Autos gebaut (Räikkönen, Giovinazzi und Calderon bastelten aus Hausgegenständen einen F1-Renner, d. Red.).
Wann sitzen sie das nächste Mal im Sauber?
Es gab erste Gespräche vor der Krise. Aber schon jetzt ist klar, dass es dieses Jahr für mich wohl unmöglich sein wird, ein Formel-1-Auto zu fahren. Es geht jetzt vor allem darum, dass alle Rennställe diese Krise möglichst unbeschadet überstehen.
Immerhin können Sie weiterhin auf ihr Debüt beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans hoffen, es wurde ja vom Juni auf den 20./21. September verschoben.
Ich bin besorgt, ob es stattfinden kann. Le Mans ist ein riesiger Event mit Gästen aus der ganzen Welt. Zum Glück ist noch etwas Zeit bis dann.
Haben Sie schon immer von Le Mans geträumt?
Das ist eines der Rennen, wo du zumindest einmal im Leben dabei sein willst. Mein Traum war immer, in der Formel 1 zu fahren. Doch jetzt kam diese Chance für Le Mans viel schneller als gedacht. Es wird eine gigantische Herausforderung. Im September wird das Wetter kühler sein als sonst im Juni, die Nacht ist länger als sonst.
Mit Vollgas durch die Nacht. Wie gehen sie damit um?
Ich habe im Januar beim 24-Stunden-Rennen in Daytona erste Erfahrungen gesammelt. Alles erscheint schneller, weil man alles später erkennt. Doch in Daytona ist die Rennstrecke gut ausgeleuchtet. In Le Mans gibt’s Stellen, wo es wirklich dunkle Nacht ist und man fährt auch schneller, das wird furchterregend (lacht). Das Schwierigste ist, die unterschiedlichen Tempi im Verkehr richtig einzuschätzen.
Welche Chancen hat ihr Frauen-Renner mit Sophia Flörsch und Katherine Legge?
Es ist ein grossartiges Projekt. Katherine hat viel Langstrecken-Erfahrung und ist schnell. Sophia und ich bringen Erfahrung aus dem Formel-Sport mit. Wir drei passen gut zusammen. Ich habe keine Zweifel, dass wir eine gute Leistung abliefern werden. Natürlich wäre es hilfreich, vor Le Mans möglichst viel Langstrecken-Erfahrung zu sammeln, wie es eigentlich geplant war. Denn es ist eine ganz andere Welt als alles, was ich im Rennsport gekannt habe. Aber sehr spannend. Auch, mit zwei Frauen das Auto zu teilen. Wir haben zwar ähnliche Wünsche. Aber es ist trotzdem schwierig, dass alle drei 100 Prozent zufrieden sind.
Dass sie eines Tages in der Formel 1 fahren, ist höchst ungewiss. Kann die Formel E eine Alternative sein?
Ich habe bereits ein Formel-E-Auto getestet und war beeindruckt von der komplexen Technologie. Wenn sich eine Chance ergeben sollte, wäre ich überglücklich, mich vertieft der Formel E widmen zu können. Das Niveau ist sehr hoch. Ich bin mehr als offen, diese Herausforderung anzunehmen. Gut ist auch, dass man neben der Formel E auch noch eine zweite Serie fahren kann. Ein Rennfahrer will ja soviel wie möglich fahren.
Zwei Renn-Programme hätten sie 2020 mit Japan und der Langstrecken-Meisterschaft ja auch vor sich gehabt.
Es wäre reisetechnisch ein anspruchsvolles Jahr geworden. Die Flüge waren schwierig zu planen, weil ich noch nie in Japan war und nicht wusste, wie ich den Jetlag verkrafte. Ich hoffe, dass ich wenigstens in der zweiten Jahreshälfte noch herausfinde, wie ich die Reiserei nach Japan physisch und mental verarbeite.
Rechnen sie noch mit Renneinsätzen in der Super Formula?
Ich denke schon. Da es eine nationale Meisterschaft ist, gibt es wohl weniger Probleme als bei den grossen internationalen Rennen. Da die Olympischen Spiele in Tokio abgesagt sind, gibt’s zusätzlich Platz für neue Termine. Zuvor war es verboten, im Slot der Spiele andere Events zu veranstalten.
Warum hat sie Sauber nach ihrem enttäuschenden Debütjahr in der Formel 2 mit null Punkten eigentlich nach Japan geschickt?
Für mich kommt die Super Formula der Formel 1 am nächsten. Ich werde in Japan viel Spass haben. Die Autos sind brutal beeindruckend, das Niveau mit erfahrenen Piloten wie Kamui Kobayashi (Ex-Sauber-Fahrer, d.Red.) ist hoch. Auch Red Bull schickt seine Junioren nach Japan (Pierre Gasly wurde 2017 Vizemeister). Die Werke Toyota und Honda investieren beträchtliche Budgets. Für mich ist das ohne Zweifel die härtere Meisterschaft als die Formel 2. Es ist die beste Option für meinen Formel-1-Traum, in Japan zu fahren!