Senna: Am Tag als die Sonne unterging
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Am Tag als die Sonne unterging:Sennas Tod am schwarzen Imola-Wochenende

Roger Benoit über Sennas Tod vor 26 Jahren
Der Tag, an dem die Sonne vom Himmel fiel

Der Wahnsinn in der Formel 1 hatte für einmal einen Namen und vor allem ein Datum: 1. Mai 1994. Als Ayrton Senna damals starb, fiel in Brasilien die Sonne vom Himmel – und Millionen hatten ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft verloren.
Publiziert: 01.05.2020 um 15:33 Uhr
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Aktualisiert: 01.05.2020 um 21:34 Uhr
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Am 21. März wäre Ayrton Senna 60 Jahre alt geworden. Doch er starb am 1. Mai 1994 am schwarzen Rennwochenende in Imola.
Foto: keystone-sda.ch
Roger Benoit

Noch heute ist Senna nicht nur in seiner Heimat unvergessen. Er war ein Mann, meist still und bescheiden, der mit seiner genialen Fahrkunst die Massen begeisterte. Und gegenüber seinen Rivalen fast keinen Respekt zeigte.

Testkrach mit Schumi

Und sich auch mit dem jungen Michael Schumacher anlegte. Bei Tests in Hockenheim kam es zu einem harten Wortgefecht und fast zu einem Handgemenge. Denn beide spürten: Da wird es bald einmal um die Nummer-1-Position gehen. Und noch heute tauchen sofort beide Namen auf, wenn es um die besten Rennfahrer aller Zeiten geht.

«Ja, ich bete zu Gott!»

Ayrton Senna war für Brasilien ein Gott, den man anbetete. Und der strenggläubige Superstar liess seine Fans nie zweifeln, woher sein Talent kam – von oben. In einem BLICK-Interview sagte er: «Ja, ich bete vor jedem Rennen zu Gott. Auch während der Rennen denke ich oft an ihn!»

Seine göttliche Hingabe führte sogar soweit, dass er offen davon sprach, unsterblich zu sein. Das war natürlich eine Fehleinschätzung. Am 1. Mai 1994 wurde ihm in Imola das Leben genommen.

Er wollte nicht starten!

Damals hätte Senna lieber auf seine innere Stimme gehört. «Er wollte nach dem Todessturz am Samstag von Roland Ratzenberger nicht starten. Ja, er wollte sogar mit dem Rennsport und drei WM-Titeln aufhören», verriet der damalige GP-Arzt Dr. Sid Watkins in seinen Memoiren.

«Wir redeten kurz miteinander, dann entschloss er sich trotzdem am Sonntag an den Start zu gehen. Hätte ich ihn nur davon abgehalten, hätte ich nur noch länger mit ihm gesprochen», sagt Watkins, der 2012 mit 84 Jahren starb.

Pole-Position lockte Senna

Aber der Ehrgeiz des 41-fachen GP-Siegers war zu gross. Er wollte und musste den katastrophalen WM-Beginn 1994 gegen Schumi (Benetton) korrigieren.

In Sao Paulo und Aida stand Senna jeweils auf der Pole-Position – doch die beiden ersten Rennen endeten jeweils mit einem Triumph von Schumi. Und zwei Unfällen von Senna! Dann kam Imola – und wieder sicherte sich Senna den besten Startplatz. Konnte er in Italien seinen 0:20-Rückstand endlich verbessern?

Barrichello hatte Glück

Aber in der Formel 1 zog ein Gewitter auf, von dem man noch heute fast ehrfurchtsvoll spricht. Am Freitag erwischte es Sennas Freund Rubens Barrichello, der mit seinem Jordan einen Tiefflug in die Drahtzäune «nur» mit einem Nasenbeinbruch und andern Verletzungen im Gesicht überlebte.

Ratzenberger ein Materialopfer?

Das Gewitter war da. Am Samstag dann der Todessturz des Österreichers Roland Ratzenberger im unterlegenen Simtek. Er starb in der Tosa-Kurve. Eine Runde zuvor hatte er sich am gleichen Ort gedreht, dann soll ein ermüdetes Frontflügel-Teil die Unfallursache gewesen sein.

Senna brach die Qualifikation ab (behielt die Pole-Position) und eilte zum Unfallort. Er wollte alles genau wissen. Dass die Formel 1 nach diesen zwei Horror-Szenen nochmals vom Schicksal geprügelt würde, ahnte niemand.

Friedensgipfel mit Tränen

Auch Senna nicht? Nun, am Sonntagmorgen kam es im Fahrerlager noch zu einer Begegnung, für die Alain Prost noch heute dankbar ist. Die beiden Erzfeinde und langjährigen McLaren-Teamkollegen zogen sich eine Stunde in ein Motorhome zurück. Dieses verliessen beide mit Tränen in den Augen. Man hatte eine der grössten Feindschaften in der Formel 1 beendet.

Denn Prost hatte Ende 1993 seine Karriere im Team von Williams-Renault beendet. Dies weil seine Forderung, dass man für 1994 Senna nicht ins Team holte, trotz Versprechungen nicht erfüllte.

Albtraum begann mit 11 verletzten Fans

Der schwarze Sonntag von Imola begann dann bereits mit einem Start-Crash. JJ Lehto (der ein Jahr zuvor in Südafrika die ersten WM-Punkte für Sauber holte) würgte den Motor ab, Pedro Lamy übersah das Hindernis. Trümmerteile und Räder flogen über den Zaun in die Haupttribüne. Bilanz: Elf verletzte Zuschauer!

Lenksäule, Reifen, Bodenwelle?

Das Rennen wurde neutralisiert, das Pace Car fuhr viel zu langsam, die Reifen kamen vor dem Neustart in der sechsten Runde nie auf Temperatur. Es soll einer der Gründe gewesen sein, warum sich Sennas tödlicher Sturz in der Tamburello-Kurve – eine Runde später – abgespielt hat.

Eine gebrochene Lenksäule und die Bodenwellen vor der über 310 km/h schnellen Ecke werden bis heute als Unfallursache genannt.

Mit 214 km/h in die Mauer

Telemetriedaten ergaben, dass Senna mit 214 km/h in die Mauer einschlug. Das Williams-Chassis brach entzwei, das rechte Vorderrad bohrte sich unters Auto, dann wurde es vom Seitenkasten wieder nach oben katapultiert – und traf Sennas Kopf.

Da kam jede Hilfe zu spät, auch wenn der Brasilianer erst um 18.40 Uhr offiziell für tot erklärt wurde.

Dazwischen standen Sieger Schumi, Ferrari-Ersatzmann Nicola Larini (der den verletzten Alesi ersetzte) und Mika Häkkinen freudlos auf dem Podest, verzichteten auf den Champagner.

Fünf Verletzte an den Boxen!

Und um den Wahnsinn noch abzurunden, hatte es in der 45. Runde noch einen Boxen-Horror gegeben. Alboretos Minardi hatte ein Rad verlor, das wie eine Kanonenkugel herumzischte – und fünf Mechaniker niederstreckte. Sie wurden mit Knochenbrüchen und Prellungen ins Spital eingeliefert

Sauber nach Horror die Todesangst

Auf dem vierten Platz landete damals der Sauber-Pilot Karl Wendlinger. Teamchef Peter Sauber zu BLICK: «Noch nie war ich so froh, dass wir einen Podestplatz verpasst haben! So einen Tag will man einfach schnell vergessen!»

Zwei Wochen später in Monte Carlo dann Todesangst im Hinwiler Team! Der Österreicher war in der Hafenschikane in die Abschrankungen gerast, erlitt Kopfverletzungen und erwachte erst nach 19 Tagen aus dem Koma.

Endlich wurde die Sicherheit zum Thema

Imola 1994 war für die Formel 1 die letzte Hölle. Dann wurde endlich die Sicherheit zum grossen Thema. Seither ist es im Grand-Prix-Zirkus, was die Trauer betrifft, ruhig geworden. Mit Ausnahme des Todessturzes von Jules Bianchi 2014 im Regen von Suzuka.

1. Mai 1994 – Tod statt Jubiläum

Für den Chronisten hätte der 1. Mai 1994 ein Freudentag werden sollen – 25 Jahre bei BLICK. Jetzt ist dieses Datum von Trauerrändern geprägt. Und nie werde ich vergessen, wie damals vor jetzt 26 Jahren, am Abend eine völlig aufgelöste Reporterin am Unfallort das Blut von der Strecke abkratzte. Auch für sie war am 1. Mai 1994 die Sonne untergegangen.

PS. Den WM-Titel holte 1994 Michael Schumacher – einen Punkt vor Sennas Teamkollegen Damon Hill. Der bereits ausgefallene Deutsche hatte den Briten von der Strecke gerempelt.

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