Reporter-Legende Roger Benoit
Für ihn endet der Grand-Prix nie

Vor 50 Jahren schrieb Roger Benoit (70) die erste Titelstory im SonntagsBlick. Noch heute ist der legendäre Formel-1-­Reporter voll dabei. Wir haben ihn 
nach Barcelona begleitet.
Publiziert: 24.03.2019 um 13:16 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2024 um 16:39 Uhr
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Auf Tuchfühlung mit den ganz Grossen: ­Roger Benoit holt 1985 am Streckenrand letzte Infos von Nelson Piquet.
Marcel Odermatt

Basel in der letzten Minute gerettet – 2:2», titelte der SonntagsBlick am 23. März 1969 in seiner ersten Ausgabe. Autor des Artikels der druckfrischen Zeitung: der junge Sportredaktor Roger Benoit. Die Schreibmaschine von damals hat er noch. Und – unglaublich aber wahr – 50 Jahre später verrichtet die ­ Reporter-Legende weiter ihren Dienst bei diesem Blatt. Und zwar noch immer an vorderster Front.

Ende Februar, wenige Wochen vor dem Start der Formel-1-Saison 2019. Auf der Rennstrecke im Umland von Barcelona testen die Piloten ihre neuen Boliden. Im Medien­zentrum des Circuit de Catalunya ist es eng und laut. Die meisten der Journalisten könnten die Kinder oder sogar Enkelkinder des mittlerweile 70-jährigen Journalisten Roger Benoit sein.
Obwohl nicht mehr der Jüngste, muss ihm auch im Zeitalter der ­Online-Medien niemand etwas vormachen. Präzise, zuverlässig und mit einem unglaublichen Fachwissen schreibt er pro Tag mehrere, mit Szenen-Insides gespickte Artikel für Blick.ch. Zudem arbeitet er auch noch an einem Text für die gedruckte Ausgabe am nächsten Tag.

Begonnen hat alles im Jahr 1967. Der junge Schriftsetzer heuerte dank Mario Widmer beim BLICK als Journalist an. Die Boulevardzeitung war damals zarte acht Jahre alt. «Odermatt verletzt», hiess seine erste Schlagzeile am 24. November. Ein kurzer, schnörkelloser Beitrag über eine Knöchelverletzung des damaligen Bebbi-Stars und heutigen Botschafters des FC Basel Karli Odermatt (76).

Lieber Pferdewetten als Sprachschule

Kurz darauf ging es für den Sportjournalisten zum Englisch­lernen nach Grossbritannien. Mit von der Partie: Verleger Michael Ringier (69). «Michael war der Fleissige und ging den ganzen Tag in die Schule. Ich verbrachte den Nachmittag lieber mit Pferdewetten», erinnert sich Roger Benoit.

Die beiden besuchten bei ihrem Aufenthalt auf der Insel auch zum ersten Mal in ihrem Leben ein Auto­rennen. Ein Erlebnis, das nicht für beide die gleiche, nachhaltige Wirkung hatte, wie sich bald weisen würde.
Mittagspause in Barcelona. Wenige Minuten nach dem Ende der morgendlichen Probefahrten haben die BLICK-Leser bereits Roger Benoits Report aus Katalonien auf ihren Schirmen. Für Motorsportfans gibt es keine bessere, kompetentere Adresse – und das seit ­Jahrzehnten.

Wir schlendern durch das Fahrerlager. Obwohl es gar noch nicht ernst gilt, betreiben die Teams ­einen gewaltigen Aufwand und ­haben ihre sündhaft teuren Motor­homes an die Piste in Montmeló ­gekarrt. Der englische Weltmeister Lewis Hamilton (34) braust auf ­seinem Scooter vorbei. Der Mercedes-Superstar grüsst, mein Kollege grüsst zurück, die obligate Zigarre lässig im Mundwinkel.

Nur wenig später sind wir im piekfeinen Gästebereich des Schweizer Rennstalls Sauber angekommen. Er heisst seit diesem Jahr Alfa Romeo Racing. Pilot Kimi ­Räikkönen (39) ist am Essen. Salat und Pasta gibt es für den Veteranen im Starterfeld, bevor er wenig später wieder in ­seinen rot-weissen ­Boliden steigt, um ihn über den Rundkurs zu jagen. Roger Benoit setzt sich für ein Gespräch an den Tisch.

Die Zigarre ist immer dabei

Kurz darauf folgt ein lockerer Schwatz mit dem gut gelaunten Hinwiler Ex-Rennstallbesitzer Peter Sauber (75). Kein Wunder, «seine» PS-Geschosse machen bei diesen Tests einen starken Eindruck. Auf dem Rückweg zum Medienzentrum gibt es noch ein Hand­shake mit dem neuen Williams-Lenkraddreher Robert Kubica (34). Roger Benoit bläst dem ­Rückkehrer ins Formel-1-Cockpit den Rauch seiner kubanischen Glimmstange ins Gesicht. Der Pole lacht schallend.

Der Formel-1-Experte ist im Fahrerlager bekannt wie ein bunter Hund. Doch Roger Benoit ist mehr als ein Kenner des Grand-Prix-­Zirkus. Natürlich: Wer, wie der ­Autor dieser Zeilen, ein Faible für die schnellen Rennautos hat, liebt seine Geschichten, könnte ihm stundenlang zuhören.

Da war das spontane Interview 1990 auf dem Boden vor einer Tankstelle im portugiesischen Estoril mit dem unvergessenen Ayrton Senna (1960–1994). Das letzte Gespräch mit der Schweizer Rennikone Jo Siffert (1936–1971) vor dessen tödlichem Feuerunfall in Brands Hatch. Oder die drei Wochen, die Benoit 1980 mit dem in Long Beach ver­unfallten fünf­fachen GP-Sieger Clay Regazzoni (1939–2006) in einem US-Spital verbrachte.

Ein journalistisches Leben reicher an Erlebnissen? Kaum vorstellbar. Aber der Ringier-Mann steht auch für etwas anders: für einen ­Reporter, der im Zeitalter, wo Medien Fake News, Oberflächlichkeit und Inkompetenz vorgeworfen wird, jeden Tag aufs Neue beweist, dass seriöses Handwerk in dieser Branche sehr wohl seinen Platz hat.

So stellt er die Faktentreue über alles. «Jeder kann schreiben, dass Michael Schumacher ein schlechter Pilot war, wenn er das findet. Das ist eine Meinung.» Was aber nicht gehe: Dass man zu Papier bringe, dass der deutsche Superstar 90 Mal einen Grand Prix gewonnen hat, er sei nämlich 91 Mal zuoberst auf dem Treppchen gestanden.
Auch vom heutigen Trend, dass alle Aussagen von Kommunikations­verantwortlichen autorisiert und oft bis zur Unkenntlichkeit weichgespült werden, hält der Journalist, der 31 Sportchefs (!) beim BLICK überlebte, nichts: «Meine Interviews gebe ich nicht zum Gegenlesen. Warum auch?» Wenn sein Gesprächspartner mit seiner Abschrift nicht einverstanden sei, müsse der damit rechnen, dass er ihn das nächste Mal nicht mehr vors Mikrofon kriege. Also fasse er das Interview so ab, dass sein Gegenüber damit einverstanden sei. Sonst müsse er mit den Konsequenzen leben.

«Für einen Journalisten sind Disziplin, Perfektion und Organisation nötig», hält Roger Benoit fest, während er eine Büchse eines ­zuckerlosen Energiegetränks leert. Das glaubt dem Ringier-Urgestein noch mehr, wer weiss, dass er sich aus Autos gar nichts macht und mit einem kleinen Mercedes aus seiner Wohnung ins Pressehaus im Zürcher Seefeld kurvt. «Autos sind für mich bloss ein Vehikel, um von A nach B zu kommen.»

Auch einlullen lässt er sich von der Formel-1-Szene, in der Marketing fast genauso wichtig wie Sport ist, nicht. Zu den Akteuren hält er eine augenfällig kritische Distanz. «Meine Funktion ist die eines Beobachters und Kritikers», sagt er mit seiner bestimmten, ­klaren Art. Seine Analysen sind knallhart, oft gefürchtet – auch intern im BLICK-Newsroom bei seinen Kollegen.

10'000 Texte für BLICK-Gruppe

Tatsachen, Bewertungen und Zahlen prägen die Arbeit des passionierten Sudoku-Spielers. Die Ziffern sind die Welt des Bericht­erstatters, der sich selber für «keinen begnadeten Schreiber» hält. Vieles im Leben des kinderlosen Mannes, der nur kurz verheiratet war, dreht sich um Zahlen. 737 Grand-Prix hat er live vor Ort verfolgt. Er habe sicher zwölf Jahre in Hotels übernachtet. Dabei an vielen Orten über lange Zeit in der gleichen Unterkunft und sogar im selben Zimmer. In Spanien ist es die Nummer 340, in Monza die 122, in Monte-Carlo die 370, in Bahrain die 123, in Montreal die 1801, in Zeltweg die 8 und in Abu Dhabi die 224.

Diese Zahlen rattert Roger Benoit runter während der Mittagspause im Hospitality-Bereich des Reifen­lieferanten Pirelli. Nur eine Zahl kennt er nicht. Wie viele Artikel der eigentlich pensionierte und heute zu 80 Prozent als freier Mitarbeiter tätige Mann für diesen Verlag bis heute geschrieben hat. «Ehrlich gesagt, das würde mich schon noch interessieren.» Es dürften gut und gern 10'000 Texte sein.

Logisch hat dieser Mann, der seit vielen Jahren ein extremes Leben führt, auch seine Macken. Und die sind – um es vorsichtig auszudrücken – ziemlich ausgeprägt. Weil er etwa weniger Flugmeilen als auch schon zurücklegte, strich die Swiss dem Viel­flieger den sogenannten Senator Status. Dieser bringt unter anderem Vorteile beim Check-in.
Roger Benoit will dieses Privileg wieder zurück. «Irgendwann in den nächsten Monaten fliege ich auf eigene Kosten in der First Class nach Tokio, kaufe mir dort einen Kaugummi und jette wieder zurück.» Dann verlange er von der Fluggesellschaft den Senator Status zurück.

Doch wie lange bleibt er noch ­dabei? Ganz Roger Benoit meint er dazu lapidar: «Mein Rücktritt ­eines Tages kommt Knall auf Fall.» 

Hoffen wir mal, dass es bis dahin noch lange dauert. 

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