Die Situation kennen auch viele Familienväter, die auf einem Notizblock ihre Buchhaltung machen. Die Kinder wollen ein Handy, brauchen eine Zahnspange, gehen in den Musikunterricht und benötigen eine neue Skiausrüstung. Und die Mutter möchte in die Ferien ans Meer. Die Kosten schnellen in die Höhe. Aber der Lohn bleibt gleich.
Die Luft wird immer dünner. Dann kann man einmal einen Vorschuss beantragen, kann einen Kollegen anpumpen, kann vielleicht beim Bäcker oder beim Metzger anschreiben lassen. Aber die Rechnung geht nie auf. Die Schlinge zieht sich immer enger zu. Irgendwann bleibt dann nur noch der Privatkonkurs. Oder man gewinnt im Lotto.
So oder ähnlich präsentiert sich die Lage beim Sauber-Rennstall. Der Kampf ums Überleben ist in vollem Gang. Die Situation hat sich derart zugespitzt, dass man in Hinwil die Februar-Löhne der mehr als 300 Angestellten nicht fristgerecht überweisen konnte. «Ich bedaure diesen Ausrutscher ausserordentlich und hoffe, dass wir niemanden in Schwierigkeiten gebracht haben. Die März-Löhne sollten wieder pünktlich bezahlt werden», sagt CEO Monisha Kaltenborn (44) zu diesem leidigen Finanz-Thema.
Der Vorfall zeigt aber exemplarisch auf, wie angespannt die Situation bei Sauber ist. Wie sehr sich der seit längerer Zeit andauernde Existenzkampf zugespitzt hat. Wie akut die Liquiditätsprobleme eigentlich sind.
Und der Vorfall ist auch ein Stich ins Herz von Peter Sauber (72). Der grosse Pionier des Schweizer Motorsports hat stets betont, dass es auch in schwierigen Zeiten nie zu Entlassungen gekommen ist und die Löhne der Mitarbeiter immer pünktlich bezahlt wurden.
Für Sauber, dem nach wie vor zwei Drittel der Firma gehören (ein Drittel ist im Besitz von Monisha Kaltenborn) war eine verantwortungsvolle Unternehmenskultur immer wichtig. Er war nie der bunte Hund in diesem lauten Formel-1-Zirkus. Wer diesen Macher und Unternehmer kennt, der weiss, wie er derzeit leidet.
Er hat sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Der einstige Schweizer des Jahres (2005) fürchtet um seine Reputation. Und um sein Lebenswerk. Aber er will sich zur schwierigen Situation nicht öffentlich äussern.
Weil Sauber nach wie vor Betreibungen und Ausstände plagen, gibt es nirgendwo mehr Kredit. Darum musste man in den letzten Wochen jeden Rappen zusammenkratzen. Für die Löhne, aber auch für die horrenden Transportkosten für Mensch und Material zum Saisonstart nach Australien. Die mussten sofort bezahlt werden. Kein Geld, keine Tickets, keine Hotels.
Aber der Saisonstart ist gesichert, die Container mit den Autos sind unterwegs nach Down Under. Auch die ersten Teammitglieder sind abgeflogen. An den Ort, wo bereits die letzte Saison unter grossen Turbulenzen gestartet wurde. Damals klagte sich der Holländer Giedo van der Garde ins Cockpit. Es drohte die Beschlagnahmung der Autos. Man fand in letzter Minute eine Einigung und musste Van der Garde eine millionenschwere Abfindung zahlen. Auch damals war der Kollaps nicht weit.
Aber wie ernst ist die Situation denn heute? «Die ersten drei Monate des Jahres sind einfach die konstenintensivste Zeit», sagt Kaltenborn. Und ergänzt: «Ja, es war ein Kraftakt, das Auto an den Start zu bringen.» Ursache für die weiter andauernde Finanzmisere ist neben den horrenden Kosten auch die Tatsache, dass man weiter keinen grossen Hauptsponsor für das Team hat. Seit den Zeiten, als die Credit Suisse, Red Bull und später auch Petronas potente Geldgeber waren, sucht man einen solchen starken Partner. Diese verzweifelte Suche läuft, seit Peter Sauber Ende 2009 das Team von BMW zurückgekauft hat.
«Das ist einfach enorm schwierig. Auch Teams wie McLaren suchen einen Hauptsponsor», sagt Kaltenborn. Es ist auch weiter so, dass die Formel 1 eine ausgeprägte Zweiklassengesellschaft ist. Hier die Werkteams Mercedes und Ferrari. Dazu Red Bull mit unerschöpflichen finanziellen Mitteln.
Und dann die anderen, die fast alle von der Hand in den Mund leben. Und permanent gefährdet sind, abzustürzen. Sie alle kämpfen um neue Sponsoren. Und um mehr Gelder aus dem Topf von Vermarkter Bernie Ecclestone. «Die Strukturschwäche der Formel 1 besteht aus zwei Teilen. Es gibt den technischen Teil, wo alles immer komplizierter und teurer wird. Und es gibt den kommerziellen Teil. Dort muss man für die Teams einen neuen Verteilerschlüssel finden», sagt Kaltenborn.
Dafür kämpft sie. Und dieser Kampf geht an der Seite von Peter Sauber nun in die nächste Runde. Positiv formuliert kann man es Lebenskampf nennen. Negativ formuliert müsste man von einem Todeskampf reden.
Bei all diesen Schlagzeilen ist der Sport fast etwas in den Hintergrund gerückt. Was erwartet denn Chefin Kaltenborn vom Saisonstart? «Mercedes wird wieder dominieren, das ist klar. Unsere Situation ist schwierig abzuschätzen, weil wir von den direkten Konkurrenten noch wenig wissen. Aber das Feedback der Fahrer nach den Tests ist positiv.»
Auch die Leiden des Peter Sauber gehen mit dem Saisonstart in die nächste Runde. Auf der Rennstrecke. Vor allem aber im Büro des Buchhalters.