«Die Verliererin». «Ist Kaltenborn noch tragbar?». «Muss Kaltenborn ins Gefängnis?». «Kaltenborn am Ende ihrer Kräfte».
Die Schlagzeilen zum Auftakt der Formel-1-Saison in Melbourne überschlagen sich. Häme, Hohn, Spott und Kritik ergiessen sich kübelweise über diese Frau. Und jeder noch so unbedarfte Schreiberling greift in die Tasten. «Kaltenborn erlag den Verlockungen des schnellen Geldes», schreibt einer. Als hätte sie sich persönlich bereichert. Und der grösste Witzbold orakelt: «Sauber gleicht einem indischen Hobby-Rennstall.»
Jetzt sitzt die Frau, die in den letzten Wochen Zielscheibe ungezählter Attacken war, nicht mehr auf der Anklagebank. Sondern an einem Tisch und trinkt Mineralwasser. Ohne Kohlensäure. Dafür sprudelt es aus ihr heraus.
Sie schildert die schlimmsten Tage ihrer beruflichen Laufbahn. Die schlaflosen Nächte in Melbourne. Die nagende Ungewissheit. Die Telefonate im Minutentakt. Mit Anwälten. Mit Bernie Ecclestone. Mit Peter Sauber. Auch mal kurz mit ihren zwei Kindern, die zu Hause in Küsnacht mitbekommen, welcher Sturm der Entrüstung über ihre Mutter hereinbricht. Es ist auch für ihre Familie belastend.
Die australischen Richter lassen im Rechtsstreit mit dem ehemaligen Testfahrer Giedo van der Garde (29) keine Zweifel offen. Von Beugehaft ist die Rede. Davon, dass man gar die Autos beschlagnahmen könnte. Kommt es zum Knall? «Wenn man in einem australischen Gericht sitzt und das Wort Gefängnis hört, dann ist das schon ein Schock», sagt Kaltenborn.
«Ein Schock», die 43-Jährige formuliert es diplomatisch. In Wahrheit ist es der blanke Horror. In diesen Stunden in Melbourne geht es einmal mehr um die Existenz des Rennstalles. Stürzt Van der Garde Sauber in den Abgrund?
Am Freitag taucht der Holländer in der Sauber-Box auf. Begleitet von Fernsehteams. Er schnappt sich den Overall von Marcus Ericsson und zieht ihn demonstrativ an. Die Sauber-Mechaniker spielen bei dieser Provokation nicht mit. Und verlassen die Box. Van der Garde hat vom Richter den Anspruch auf ein Cockpit im Sauber zugesprochen bekommen. Aber er hat keine Lizenz zum Fahren. «Hätte er von der FIA eine Lizenz erhalten, hätte er alles versucht um zu fahren», sagt Kaltenborn.
Wie konnte es so weit kommen? Peter Sauber und Monisha Kaltenborn haben sich von den leeren Versprechungen locken lassen. «Ja, ich habe Fehler gemacht. Ich war zu gutgläubig und habe vertraut. Und bin bitter bestraft worden», sagt sie. Gerichte urteilen nicht nach moralischen Prinzipien. Für sie gelten nur schriftliche Verträge ohne Rücksicht auf die weiteren Umstände. Das hätte die Juristin Kaltenborn wissen müssen. Auch wenn in der Formel 1 vieles per Handschlag geregelt wird.
Zurück nach Melbourne. In letzter Minute kann man sich mit Van der Garde aussergerichtlich einigen. Es fliesst ein zweistelliger Millionenbetrag. 16 Millionen Franken sollen es sein. Woher stammt das Geld? «Dazu kann und will ich mich nicht äussern», sagt Kaltenborn.
Klar ist: Wenn hier jemand einen Vorschuss geleistet hat, will der sein Geld zurück. Geschenke gibt es in diesem Business nicht. Das Problem ist demnach nur aufgeschoben. Eine schmerzhafte Summe, die aber den totalen Eklat verhinderte.
Monisha Kaltenborn ist die erste Teamchefin in der Formel 1. Einer Machowelt mit eigenen Gesetzen. Seit sie in der Verantwortung steht, kämpft sie wie eine Löwin. Die Frau ist gezwungen, nach jedem vermeintlich rettenden Strohhalm zu greifen. Und dabei sind Fehler passiert. Aber es ging immer nur um eines: Die mehr als 300 Arbeitsplätze in Hinwil zu sichern, das Lebenswerk von Peter Sauber zu retten, die Existenz des traditionsreichen Schweizer Rennstalls zu gewährleisten.
Was Kaltenborn über den Fall «Adrian Sutil», eine mögliche Partnerschaft mit Renault oder VW und zu ihrem Verhältnis zu Peter Sauber sagt, lesen Sie in der ausführlichen Version im SonntagsBlick!