Hamilton im Exklusiv-Interview
«Ich denke im Auto nicht zu viel»

Er ist mit 33 Jahren in der Form seines Lebens. Lewis Hamilton geht seit der Formel-1-Premiere 2007 seinen Weg – immer mit Mercedes-Power. Beim GP Russland verpasste der Brite die 80. Pole um 0,145 Sekunden!
Publiziert: 30.09.2018 um 01:52 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 13:08 Uhr
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Lewis Hamilton, wie er an und neben der Strecke lebt. Er feiert seine Siege gerne mit den Mechanikern.
Foto: Lukas Gorys
Roger Benoit

BLICK: Seit Monza vor vier Wochen sind Sie einmal um die Welt geflogen. Privat und für Ihre heisse Modekollektion bei Tommy Hilfiger. Stress – oder Spass?
Lewis Hamilton: Für mich muss das Leben neben der Rennstrecke genauso spannend sein wie die Formel 1. Ich treffe so viele interessante Leute, dass ich davon menschlich profitieren kann. Und die Modekollektion ist ein neues Standbein. Wie die Musik. Einfach toll.

Und Mercedes hat nichts gegen die Reiserei?
Nein. Mein Chef Toto Wolff weiss genau, wie ich ticke. Er schenkt mir das Vertrauen, das ich brauche, um auch ein guter Rennfahrer zu sein. Ich glaube, ich habe das Team noch nie enttäuscht.

Immer gegen das Saison Ende sagen Sie, dass Sie besser fahren denn je.
Das kann man auch von aussen sehen! Es gibt einen Punkt in jeder Saison, bei dem alles eingespielt ist und du dich mit dem Auto sehr komfortabel fühlst. Dabei spielt auch das Reifenmanagement eine sehr grosse Rolle.

Das ist alles?
Nein. Die Konzentration und die Fitness gehören dazu. Denn dieses Jahr sind die Rennen meine grosse Stärke. Früher war es vor allem die Qualifikation.

In beiden Disziplinen führen Sie mit 7:5 gegen Vettel. Nach Punkten liegen Sie mit 40 Vorsprung vorne. Hilft Ihnen da die jetzige Situation bei Ferrari nach der baldigen Entlassung von Kimi Räikkönen?
Ich glaube nicht, dass Kimi sich in den letzten Rennen ändert. Er ist ein ausserordentlicher Profi, ein fantastischer Fahrer. Er bleibt einer meiner Lieblingsfahrer – und ich bin überzeugt, dass Ferrari einen sehr wichtigen Fahrer verliert. Für mich macht das keinen Sinn.

Das Titelduell 2018: Hamilton liegt im Mercedes 40 Punkte vor Vettel im Ferrari. Es geht für beide um den 5. WM-Titel.
Foto: Lukas Gorys

Mercedes steckte in Monza viel Kritik ein, weil Ihnen Bottas dort etwas geholfen hat. Bei Ferrari gibt es seit Jahren keinen Zweifel über die Nummer 1 und 2 im Team.
Ich sehe das anders. Es gibt nicht nur in diesem Sport stets viele Leute, die alles negativ sehen. Sie scheinen unsicher und einige Probleme zu haben. Aber das ist nicht mein Problem. Ich betrachte die Dinge positiv.

Na dann fragen wir mal, ob Bottas Ihnen dieses Jahr mehr Kopfzerbrechen macht?
Ja. Vor allem zu Saisonbeginn war er unheimlich stark. Valtteri kennt jetzt das Team, das Auto und sich selber besser. Sein Selbstvertrauen ist gewachsen. Er fährt sehr solid und leider auch oft zu schnell (lacht).

Sie reden immer davon, dass man sich überall verbessern muss. Wird die WM 2018 also dadurch entschieden, welcher Fahrer und welches Team weniger Fehler macht?
Ich hoffe, dass nur die Leistung entscheidet und nicht zum Beispiel die Zuverlässigkeit. Mercedes ist jetzt bestimmt das bessere und stärkere Team als Ferrari.

Im Auto zeigen Sie weniger Emotionen als Vettel.
Emotionen? Nun, ich denke im Auto nicht zu viel, wirklich. Das stört die Konzentration.

Vettel denkt bestimmt 24 Stunden am Tag an die Formel 1. Reichen Ihnen sechs Stunden?
Ja, und weniger!

Wann machten Sie im Rennen zuletzt einen grossen Fehler?
Im letzten Rennen. Für mich kostet jeder Fehler Zeit. Aber es gibt keinen Piloten, der nicht mindestens einmal pro Rennen einen Fehler macht. Wir wollen ja immer 100 Prozent geben, nicht 101 oder 99. Doch du kannst auch einMesser nicht in Balance halten, das ist einfach unmöglich.

Ich denke da an den Fehler von Vettel in Hockenheim, als er in Führung liegend rausflog.
Genau das wollte ich sagen. An einen solchen Moment kann ich mich nicht erinnern, genau wie an viele meiner Rennen. Sie müssten es mir sagen.

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Sie schauen also Ihre WM-Läufe nicht mehr auf Video an?
Kaum. Nur wenn es eine knifflige Szene gab. Dann will ich es genau wissen.

Sie müssen übrigens Kimi sehr dankbar sein, dass er noch zwei Jahre für Sauber fährt. Sonst wären Sie 2019 der älteste Fahrer im Feld.
(Lewis schlägt die Hände über der Mütze zusammen.) Wirklich? Holy shit! Ich wäre tatsächlich der älteste Fahrer. Ich schaue doch jünger als alle andern aus. So wäre es okay (lacht).

Viele junge Wilde bringen den Fahrstil aus unteren Serien mit in die Formel 1. Müssen Sie da Ihr Territorium verteidigen?
Sie haben recht, man muss sich da schnell anpassen. Aber ich schaue mir diese Kids oft in der Formel 2 oder in der GP3 an. Ich muss mein Territorium nicht verteidigen. Das macht nur jemand, der sich bedroht fühlt. Vielleicht zeige ich den Jungen automatisch, wo es langgeht. Man kann sich seine Gegner nicht aussuchen.

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Viele Fahrer von reichen Eltern kommen in die Königsklasse. Und Esteban Ocon scheint deshalb keinen Sitz mehr zu bekommen.
Ich habe meine Gefühle für diese negative Entwicklung schon ein paar Mal geäussert. Es ist einfach schlecht, wenn so gute Fahrer wie Ocon auf der Strecke bleiben. Viele Teams nehmen junge Fahrer in ihre Academy auf. Wenn ich Teamchef wäre, würde ich stets mit den zwei besten Fahrern antreten, die auf dem Markt sind. Vor allem, wenn das Auto nicht so gut ist. Dann ist Erfahrung alles.

Erstmals in der Hybrid-Ära hat Mercedes nicht immer das schnellste Auto. Hat sich die Mentalität im Team geändert?
Schon letztes Jahr hatten wir nicht jedes Mal das schnellste Auto. Als Team sind wir dadurch sogar gewachsen. Jeder zieht am selben Strick. So hungrig wie jetzt waren wir noch nie!

Niederlagen machen also tatsächlich stärker?
So würde ich es nicht sagen. Aber die schwierigen Momente schweissen unser Team noch mehr zusammen.

Für nächstes Jahr wechselt Red Bull zu den Honda-Motoren. Was erwarten Sie davon?
Einiges. Denn Ferrari und Mercedes brauchen einen dritten starken Gegner. Sonst wird es auch für mich langweilig, weil ich verschiedene Rivalen bezwingen will. Also muss Red Bull Erfolg haben. Sie bauen seit Jahren ein tolles Auto, doch ich frage mich oft, ob das Management dort immer die richtigen Entscheide trifft. Das gilt auch für andere Teams!

Seit 2007 haben Sie jedes Jahr mindestens einen Grand Prix gewonnen.
So wird es weitergehen!

Und jetzt noch 22 Siege bis zum grossen Michael Schumacher.
Oh my god! Das ist noch ein langer Weg. Ehrlich, ich jage keine Rekorde. Wenn ich am Morgen aufstehe oder trainiere, denke ich nie, ach da ist ja noch ein Rekord. Meine Leidenschaft und meine Ziele haben nur einen Namen: Weltmeister. Ich hänge immer noch am Berg, selbst wenn ich jetzt den 5. Titel holen sollte. Michael hat 7 – und das ist der Mount Everest.

Da wären 2018 ein oder zwei Regen-Rennen eine Hilfe?
Warum?

Weil Sie in allen letzten neun Rennen bei nassen Bedingungen siegten.
Ich möchte nicht im Regen tanzen, aber seit der Kart-Zeit bin ich im Nassen sehr stark. Ich weiss, wo dann die Gefahren auf der Strecke liegen, verrate sie aber nicht.

Und wo liegen die Gefahren in einem Team?
Die Balance muss stimmen, die Energie. Und das Vertrauen. Wenn Chef Toto Wolff mit einer verrückten Idee auftauchen würde, kommt es sicher zu Diskussionen. Ich würde ihm dann nur sagen, Toto, pass auf!

Sie bestimmen also das Geschehen bei Mercedes wie einst Schumi bei Ferrari? Der hätte die Räikkönen-Entlassung kaum zugelassen.
Eine schwierige Frage, die am Ende mit einem Wort beantwortet wird: Vertrauen. Die Atmosphäre bei Mercedes-Benz bis hinauf in die grossen Chefetagen ist einmalig. Dafür bin ich dankbar.

Kimi Raikkönen kehrt zu Sauber zurück
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Sie sind ein totaler Mercedes-Mann.
Ich glaube, die unterstützen mich bald 20 Jahre. Ich habe ihnen viel gegeben. Ich brachte jetzt auch Tommy Hilfiger ins Team, schaue, dass die richtigen Ingenieure zu uns kommen. Mercedes und Hamilton – das ist eine beinahe unschlagbare Einheit.

Und deshalb fahren Sie noch fünf Jahre mit dem Stern?
Fünf Jahre? Ich weiss es nicht, fragen Sie Ende 2020 wieder.

Wie gehen Sie mit Glück und Pech um?
Ich glaube nicht an Pech, ich glaube an andere Dinge. Eines Tages werde ich ein Buch schreiben und erklären, was ich wirklich von allen verschiedenen Szenarien auf dieser Welt halte – und es wird für alle neu sein!

Kimi schrieb kürzlich ein Buch ...
Hat es zwei Seiten?

Nein, 269 …
Aber die Buchstaben sind sehr gross (lacht).

Kimi beschreibt darin, wie er 16 Tage lang betrunken war …
Was, das hat er geschrieben! Scheisse, das ist verrückt.

Wann erscheint Ihr Meisterwerk?
Nach der Formel-1-Karriere. Das zweite Leben bin ich aber mit der Mode und der Musik schon lange am Aufbauen. Denn ich will nach dem Rennsport nicht von null beginnen müssen. Ich hoffe, dass ich die Handschuhe auf dem höchsten Niveau an den berühmten Nagel hängen kann.

Sie haben schon über 20 Tattoos. Auf welchen Körperteil haben Sie das letzte stechen lassen?
(Lewis krempelt das T-Shirt auf der linken Seite hoch.) Hier, das ist mein Vater mit mir.

Darf ich davon ein Bild machen?
Nein, das muss ich zuerst meinen Fans auf Instagram zeigen.

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Ein Hauch von Hollywood

Du spürst es sofort. Da sitzt dir kein gelangweilter Formel-1-Pilot gegenüber. Da ist schnell mal Pfeffer im Gespräch. Da werden aus den eingeplanten 20 Minuten am Ende 35 Minuten.

Du weisst es sofort. Da spricht einer mit Leidenschaft, Herz und dem Spass am Leben. Kein Blabla. Nein, Emotionen, wo sie am Platz sind, Kritik, wo sie hingehört, und Respekt, wo er verdient ist.

Lewis Hamilton im Gespräch mit BLICK-Legende Roger Benoit.
Foto: Lukas Gorys

Du siehst es sofort. Gegenüber sitzt ein Hauch von Hollywood. Pur. T-Shirt und Kappe aus der eigenen Kollektion von Tommy Hilfiger. Die Goldketten sind verschwunden, Silber glänzt auch mit Brillanten und Diamanten. Die Tattoos als ein Zeichen der Freiheit. Auf der turbulenten Suche nach sich selbst. Nach der Liebe und Geborgenheit, die er bei Mercedes seit vielen Jahren findet.

Du fragst sofort. Wie ist es mit der Liebe, den Frauen, einer Heirat oder Kindern? Das Lächeln gibt dir ohne Worte die Antwort. Dann kommt doch noch: «Es ist alles ruhig und unter Kontrolle.» Also sicher keine Blitzheirat. Gerüchte nerven ihn schon lange nicht mehr. Und das Wichtigste: Aus dem früherenLiebeskasper, der die privatenSorgen oft mit ins Cockpit schleppte, ist ein Mann geworden. Wie er selber sagt. Er hat vor einem Jahr dieErnährung umgestellt, isst kein Fleisch mehr und unterstützt den Kampf gegen die Tierquälerei.

Du urteilst sofort. Da sitzt dir ein Paradiesvogel gegenüber. Der erste seit James Hunt (✝1993). Er macht neben der Strecke seine eigenen Gesetze, braucht keinen Manager, der ihm das Leben vorschreibt. Das tun höchstens seine Freunde. Auf der ganzen Welt. Stets verbunden mit Instagram.

Am Ende des Gesprächs ist die Bilanz klar: Lewis Hamilton ist ein Ausnahmekönner, was viele Fans einfach nicht anerkennen wollen. Der Brite legt Runden hin, die vom andern Stern sind – und er macht kaum Fehler. Er verdient seine 50 Millionen Franken im Jahr. Denn er ist die rasende Lebensversicherung für Mercedes und deren Erfolge. Und Hamiltons Leistungen sind die beste Medizin für seinen kranken Chef Niki Lauda in Wien! (R.B.)

*****

Persönlich

Lewis Carl Davidson Hamilton wurde am 7. Januar 1985 (Steinbock) im englischen Stevenage in der Grafschaft Herfordshire geboren. SeinVater kam von der Karibikinsel Grenada, die Lewis noch heute als seinen Lieblingsort aufdieser Welt bezeichnet. 2009erhielt er von der Queen den Ritterorden MBE. Hamilton kam schon 1998 ins Förderungsprogramm von McLaren! Mit 13 Jahren. Dann ging es für Lewis nur noch bergauf.

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Hamilton im Vergleich mit Schumacher

Mai 2012. Hamilton (links, McLaren) und Schumi (Mercedes), der dann zurücktrat.
Foto: Lukas Gorys
Hamilton Schumacher
4WM-Titel7
223Rennen307
69Siege91
129Podestplätze155
79Pole-Positions68
40Schnellsten Runden77
22 Jahre 154 TageAlter beim ersten Sieg23 Jahre 240 Tage
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