BLICK: Wir müssen mit Ihnen immer mehr über Zahlen reden. 201 Rennen, damit schon auf Platz 16 der ewigen GP-Liste, 59 Siege und 69 Pole-Positionen.
Lewis Hamilton: Machen wir es kurz: Die Nummer 1 ist das einzige, was mich in allen Wertungen interessiert.
Aber wissen Sie, wie oft Sie 2017 seit dem ersten Barcelona-Test am Lenkrad geschaltet haben?
Keine Ahnung.
Es waren, so die Angaben von Mercedes, genau 128' 571 Mal.
Herrlich. Jetzt weiss ich wenigstens, warum bei mir die Handschuhe dauernd durchbrennen und ich drei Paare am Wochenende brauche.
Früher mussten die Fahrer noch am Schalthebel rütteln und nicht eine Wippe betätigen.
Da haben wir wirklich einen Vorteil. Aber ich verstehe auch nicht, warum wir heute acht Gänge haben müssen. Sechs würden genügen.
Und die Autos der neuen Generation gefallen Ihnen auch nicht?
Also glamourös sehen sie nicht aus. Sie sind zwar schnell und mit einer unglaublichen Technologie versehen. Doch der Renngeist war in den alten Boliden sicher verschieden. Ich sehe mir einfach immer wieder gerne die Rennen vor über 25 Jahren an.
Und das Fahrerlager?
Ich sage nur, Freunde wacht auf. Die Formel 1 ist einfach zu düster, da muss überall mehr Farbe rein. Ich würde alles neu streichen und aus den alten Klamotten steigen. Das ist das, was ich seit Jahren mache.
Lewis, der Rockstar. Was ist der Unterschied zwischen dem Hamilton 2007 und 2017?
Ich bin jetzt ein Mann!
Da begannen Sie damals ihre GP-Karriere als Kind?
Ja. Das bleibst du, bis du 22 oder sogar 25 Jahre alt bist. Mit 28 kommst du dann in ein anderes Leben, in eine komfortable Zeit. Das trifft wenigstens auf mich zu.
Jetzt sind Sie 32 und Sie lieben die Kinder über alles.
Genau, die Kinder sind für mich das Leben.
Da wäre es ja an der Zeit, zu heiraten und selbst Kinder zu haben…
(lacht) Das ist ein sehr langer Weg dahin. Ein langer Weg für mich. Mindestens acht Jahre!
Solange wollen Sie noch in der Formel 1 fahren?
Nein, das wird nicht passieren.
Zum Schumi-Rekord mit 91 Siegen fehlen nur noch 32. Mit 8 Siegen im Jahr könnte das aufgehen.
Scheisse, das ist ein sehr langer Weg (lacht wieder). Ich hätte lieber einige WM-Titel mehr.
Da wären wir bei Ihrer Startnummer 44 und der Startnummer 5 von Vettel.
Warum?
Einfach, wenn Sie Weltmeister werden, steht es im Titelduell mit dem Deutschen 4:4. Und wenn Vettel Champion wird, hat er 5 auf dem Konto.
Verdammt, jetzt werde ich immer an meine Startnummer erinnert.
Sie kämpfen erstmals seit 2008 gegen einen Fahrer von einem andern Team um die WM. Was ist der Unterschied für Sie?
Es macht sicher mehr Spass, die Herausforderung ist im Duell mit Ferrari grösser.
Ist jetzt die Spannung im eigenen Team weg, arbeiten alle in die gleiche Richtung?
Ja. Denn alle wollen immer gewinnen. Aber mit einem andern Fahrer ist die Energie jetzt stärker und besser.
Als Sie vier Jahre mit Nico Rosberg gefightet haben, waren sie ja schon 15 Jahre Freunde. Seit der Kart-Zeit.
Wir waren nie Freunde!
Nun, Sie waren auch vorher Teamkollegen. Kommen die alten Zeiten zurück, sehen Sie sich noch? Einmal sind Sie Nico ja beim Joggen in London begegnet …
Das war ein Zufall vor einigen Monaten, glaube ich.
Ist es möglich, dass das Verhältnis mit Rosberg wieder mal gut wird?
Das Verhältnis ist jetzt das gleiche wie vor unserer Mercedes-Zeit. Wir sprachen nie miteinander! Ja, das war schon als wir 15 Jahre alt waren.
Und jetzt hatten Sie gegen Vettel schon einige harte Duelle, wie bei dessen Aussetzer in Baku.
Ich habe ihm damals klar gemacht, dass er solche Dinge mit mir nicht machen kann. Doch solange der Respekt da ist, habe ich keine Probleme. Die Leute vergessen immer wieder, wie stark ich mental bin. Darum habe ich soviele Siege und soviele Pole-Positionen.
Wissen Sie, wieviele Rennen Sie von den bisher 72 WM-Läufen in der Hybrid-Ära seit 2014 gewonnen haben?
30.
Nein, es sind schon 37.
Das tönt natürlich besser.
Ihr Privatleben können Millionen von Fans seit Jahren auf den sozialen Medien verfolgen.
Und darauf bin ich stolz, ich will ja auch etwas zurückgeben. Ich wuchs in eher ärmlichen Verhältnissen auf – und gehöre jetzt zu den priviligierteren Menschen. Das verpflichtet auch.
Es war auch ihre Hautfarbe, die Sie lange prägte.
Als schwarze Familie war es nicht immer einfach. So verfolgten wir daheim meist die schwarzen Athleten. Wir sahen uns also Filme von Muhammad Ali an, verfolgten die Williams-Schwestern im Tennis oder eben Tiger Woods beim Golfen. Sie haben uns inspiriert.
Dann begannen Sie deswegen Tennis zu spielen?
Ja, es war im Urlaub und ich war wirklich schlecht. Ich schickte das Video an Serena. Sie war sehr freundlich und sagte, dass meine Beinarbeit sehr gut sei. Sie bot mir sogar Tennisstunden nach ihrer Babypause an. Ja, Sie hat mir vor einigen Tagen sogar einige Bilder von ihrer Tochter geschickt.
Und wie war das mit dem Golfspielen?
Das dauerte noch weniger lang als meine Tennis-Karriere. Ich fands einfach langweilig.
Und Boxen?
Ja, damit begann ich noch in meiner Kindheit. Jetzt ziehe ich Muay Thai vor. Das ist echt cool, erstaunlich. Zum Training beim Muay Thai brauchst du auch einen Sandsack, das gefällt mir. Ich war auch bei einigen Kickbox-Fights live dabei. Das ist Hardcore.
Ein trauriges Thema. Der Hurrikan Irma, der über die Karibik, wo sie ja ihre Wurzeln haben, und den Staat Florida hinwegfegte. Wo waren Sie?
Ich war etwas weg vom Geschehen. Ich konnte auch nicht immer vor dem Fernseher sitzen, weil alles so traurig ist. Denn wir leben in einer Welt, in der wir alles für selbstverständlich hinnehmen. Wir rasen unbekümmert durch die Welt – und das ist einfach nur schrecklich. Wir konsumieren und konsumieren, wir töten die Tiere. Und mit der verrückten Umweltverschmutzung, die wir Richtung Himmel schicken, killen wir die Erde. Und jetzt geschehen diese Katastrophen – und wir fühlen uns meist unschuldig, bedauern uns selbst.
So emotional waren Sie noch kaum unterwegs. Was sind die weiteren Folgen?
Wir alle wissen, dass es den globalen Klimawandel gibt. Aber Donald Trump sagt, dass es den Klimawandel nicht geben soll. Wie kann der Leader der freien Welt behaupten, dass es diese Dinge nicht gibt. Was glaubt er wohl – dass dieser Hurrikan einfach ohne Gründe bei uns auftaucht? Es ist nur traurig. Viele Menschen glauben, dass ihr Beitrag gegen den Klimawandel zu klein sei. Falsch, wir müssen uns zusammentun und handeln. Doch leider wird alles bald wieder Routine.
Einige fühlen sich besser, weil sie Geld spenden.
Ja. Aber das ist nur eine minimale Hilfe. Es ist verrückt zu denken, dass alle diese Naturereignisse wie Erdbeben oder die Wirbelstürme zu stoppen sind. Sie werden uns mehr und mehr verfolgen. Ist das Ende der Welt nahe? Haben wir das schlimmste wirklich schon gesehen?
Nicht viele Formel-1-Fahrer würden so reden.
Die Formel 1 ist super. Sie hat mir ein fantastisches Leben gegeben. Doch das definiert am Ende nie, was und wer ich bin. So fühle ich auch nie Druck. Ich muss niemandem mehr etwas beweisen. Wenn du nie genug kriegst, hast du auch nie genug. Im Moment möchte ich nur weiterwachsen und damit sicher gehen, wenn ich mit diesem Prozess fertig bin, dass ich mich richtig gut fühle. Sollte ich heute aufhören, wäre ich ziemlich zufrieden. Denn ich habe neben der Formel 1 noch viele andere Dinge, in denen ich auch sehr gut bin. Deshalb wäre der Rücktritt nie das Ende der Welt. Für andere Fahrer würde nach der Karriere nicht viel übrig bleiben.
Wann hören Sie also auf?
Nicht so schnell. Denn ich liebe den Rennsport und bin in der besten Form meines Leben, auch mental und natürlich im Cockpit. Also kann ich so lange fahren, wie ich will. Ich habe es verdient, mit das Ende selbst auszuwählen. Das Schicksal ist voll in meiner Hand. Noch einmal: Ich plane nichts, denn keiner weiss, was uns hinter der nächsten Kurve erwartet.
Sie sagten, dass Sie nach dem Rücktritt bei den Fans in ähnlicher Erinnerung bleiben wollen wie ihr Held Ayrton Senna.
Darüber denke ich nicht nach. Ich bin mir sicher, dass Senna nicht im Auto sass und studierte, was er der Menschheit hinterlassen wird. Mir geht es ähnlich. Ich denke nicht über ein Erbe nach. Wichtiger ist, dass ich weiss, dass ich ein guter Mensch bin – und die Menschen korrekt behandelt habe. Das ist wichtiger als alles andere.
Solche Werte werden in der Formel 1 kaum mehr gelebt. Vertrauen, Ehrlichkeit und so.
Nun, das Fahrerlager ist eine kleine Welt. Ein verstaubter, abgestander Ort, wo man sich alle zwei Wochen trifft. Das ist nicht die wahre Welt.
Und wie ist Ihr Verhältnis mit dem neuen Teamkollegen Valtterri Bottas?
Das ist bis jetzt ausgezeichnet. Und es ändert sich nur, wenn er mich austricksen oder betrügen will. Doch er ist nicht diese Art von Mensch, so vertraue ich ihm voll. Klar, auch er will gewinnen.
In Budapest haben Sie ihm in der letzten Runde wieder den dritten Platz zurückgegeben…
Eine Sache des Herzens. Er hat mir vorher die Chance gegeben, die Ferrari anzugreifen. Ich schaffte es nicht, also liess ich ihn wieder auf jenen Platz, auf dem er war.
Diese drei Punkte könnten Sie die WM kosten?
Das wäre nicht wichtig. Wie gesagt, mein Gewissen sagte mir, was ich zu tun habe. Ich will auf und neben der Strecke als fairer Sportsmann anerkannt sein.
2016 verloren Sie die WM um fünf Punkte an Rosberg. Da war vor allem der Motorschaden in Malaysia schuld, oder?
Okay, er hat nicht geholfen. Aber mein schlechtes Rennen in Baku und vor allem die vielen verhauenen Starts von mir machten am Ende die Differenz aus.
Sie gewannen 2006 den GP2-Titel für das ART-Team von Frédéric Vasseur. Jetzt ist er der neue Sauber-Chef. Verfolgen Sie deshalb das Schlusslicht in der Formel 1 mehr?
(lacht) Ein wenig. Fred hatte so grosse Erfolge, dass ich wirklich gespannt bin, was er bei Sauber erreichen kann. Es war sensationell mit ihm zu arbeiten, ich hatte damals eine meiner besten Zeiten im Motorsport.
Seine Vorteile?
Er war immer fokussiert, verlor nie das Ziel aus den Augen. Der Weg, wie er ein Team aufbaute und dann führte, hatten Formel-1-Format. Als ich in den Grand-Prix-Zirkus kam, kannte ich wegen Fred schon viele Dinge. Er ist besser als viele Formel-1-Chefs, die schon jahrelang dabei sind.
Was können die Sauber-Fans erwarten?
Nun, welchen Unterschied kann er machen? Er wird sicher das Geld nicht zum Fenster rauswerfen. Er kontrolliert und beobachtet die Szene mit seiner ganzen Professionalität. Fred wusste schon in den kleineren Serien was wichtig ist. Er hatte bereits seine eigenen Kohlefaser-Fabrik, stellte Ingenieure von einer Uni in Frankreich ein – und er hatte einen eigenen Windkanal.
Das tönt wie ein Bewerbungsschreiben für andere Formel-1-Teams.
Ja, Vasseur verdient ein Topteam. Doch er wird auch bei Sauber eine Plattform hinstellen, die Richtung Erfolg geht. Er kennt den Weg, es wird aber Zeit brauchen. Ich bin überzeugt, dass er aus dem Team noch einigen Saft pressen kann. Ich wünsche ihm dafür viel Glück.