SonntagsBlick: Gratulation zu einer grossen ersten Saison mit Ferrari. Drei Siege, 13 Podestplätze und WM-Dritter.
Sebastian Vettel: Ich denke, es war ein Superjahr. Wenn man aber einige Rennen vor dem Saisonende noch die Möglichkeit hat, um den WM-Titel mitzukämpfen, dann ist es natürlich auch ein wenig bitter, wenn es nicht reicht. Doch man darf ja nie vergessen, was vor zehn Monaten gesagt wurde – und was man erwartet hat.
Was waren denn Ihre Ziele?
Aufgrund der Tatsache, dass alles neu war, hatte ich ehrlicherweise keine wirklich ernsthaften Ziele oder Erwartungen. Es ist viel einfacher, wenn man sein Umfeld kennt, und dann weiss, was man im vergangenen Jahr geleistet hat und wo man sich steigern will. Aber das ist ja in diesem Fall alles entfallen.
Ein Sprung ins Ungewisse?
Das kann man so sagen. Ich wusste zwar, dass die Saison 2014 für Ferrari keine einfache war. Natürlich mit dem Hintergrund, dass sehr viele Wechsel stattfanden und personell einiges neu geregelt wurde. Und dann gleich ein Podium im ersten und ein Sieg im zweiten Rennen. Das gab dem Team viel Rückenwind – und hat den Druck rausgenommen. Somit konnten wir uns auf die Arbeit konzentrieren. Bis zum Finale in Abu Dhabi hat das ausgezeichnet geklappt, wir hatten eine sehr gute und ruhige Stimmung. Also die besten Voraussetzungen für die Vorbereitungen auf 2016. Dazu motiviert natürlich auch das Lachen und die Freude der Mechaniker in den Garagen.
Hat Ihnen Ferrari im letzten Winter nach einer Saison ohne Siege eine Vorgabe gemacht?
Mir persönlich nicht. Ich glaube, als Fahrer braucht man auch keine Vorgaben. Man will immer das Beste herausholen. Es war klar, dass sich das Team deutlich steigern will – und das ist uns auch gelungen.
Ein vierter Sieg in Abu Dhabi wäre super gewesen. Dann hätte Ihr Boss Maurizio Arrivabene sein Versprechen einhalten müssen – und 100 Kilometer barfuss durch die Hölle laufen müssen.
Ja, das wäre toll gewesen. Ich weiss nicht – durch die Hölle, aber sicher durch Italien. Und dort ist es momentan ja kalt.
Der Chef im Schnee – ein tolles Weihnachtsgeschenk für alle Mitarbeiter in Maranello.
Genau. Wir haben diese Saison eigentlich alle Chancen für einen Sieg genutzt. In Abu Dhabi war dies nach der verunglückten Qualifikation leider nicht der Fall.
Seit Sie mit vier Titeln von Red Bull nach Italien gezogen sind, wurden Sie von vielen früheren Kritikern unter den Fans und den Medien jetzt fast in ihre Herzen geschlossen.
Das ist natürlich schön zu hören. Für dich selbst zählt nur, dass man mit den eigenen Leistungen zufrieden sein kann. Im Schnitt darf ich das auch sein. Das letzte Jahr bei Red Bull war auch nicht so schlimm, wie es einige Leute wahrnehmen wollten. Für sie ist es jetzt vielleicht wichtig, dass der Vettel ein anderes Gewand übergestreift hat und auch damit wieder auf die Erfolgsspur zurückgekehrt ist.
Wie schmerzhaft waren in den letzten Jahren die Pfiffe und die negativen Kommentare – selbst nach 38 Siegen mit Red Bull?
Singapur 2013 mit meinem Sieg war sicher ein Tiefpunkt. Es war einer der Tage, wo ich gespürt habe, dass meine Leistung voll gestimmt hat. Und dann die Rückmeldung, ausgepfiffen zu werden, war natürlich keine schöne. Ich glaube, das gefällt keinem Sportler. Es war aber schon öfters der Fall, dass ein Fahrer mit einem Team zu viel gewinnt – und dies bei den Leuten nicht so gut ankommt. In Monza waren die Pfiffe gegen mich als Red Bull-Fahrer fast normal.
Hamilton ist bekannt für seltsame Aussagen. Jetzt sagte er, dass man den Vettel eigentlich gar nicht richtig einschätzen kann, weil er noch nie einen starken Teamkollegen gehabt hat …
Da freuen sich ja meine Ex-Teamkollegen, dies zu hören. Ich weiss nicht, am Ende sind solche Vergleiche zwischen Fahrern immer sehr schwer abzuschätzen.
Was sagen Sie denn zu Ihrem jetzigen Partner Kimi Räikkönen?
Nun, Ferrari baut zwei Autos. Eines fährt der Kimi, das andere eben ich!
Ferrari ist für jeden Fahrer ein Kindheitstraum, eine Herzensangelegenheit – und auch eine Herausforderung. Erinnern Sie sich an den ersten Werksbesuch in Maranello?
Ein Werksbesuch war es nicht. Die Türen waren ja für uns verschlossen. Aber immer im Winter sind wir in Italien Kart gefahren – und dann haben meine Eltern und ich auch mal in Maranello vorbeigeschaut. 1997 hatten wir Glück, dass damals gerade der Michael fuhr – und plötzlich der Formel-1-Motor aufheulte. Da bin ich natürlich über den Zaun geklettert, ich war aber nicht der einzige.
Seit wann bestand eigentlich der Kontakt mit dem grössten Team der Formel 1?
Eigentlich erst nach dem Rennen in Monza 2008, als ich im Toro Rosso gewonnen habe. Da kam es zu einem Treffen mit dem damaligen Teamchef Domenicali. Dann lag das Thema auf Eis, weil ich ja für Red Bull fuhr. Ernsthafte Gespräche mit Ferrari gab es erst Jahre später. 2012, 2013.
Wo haben Sie im Winter 2014 Ihren Millionen-Vertrag für die nächsten drei Jahre unterschrieben? Ein Manager war ja sicher keiner dabei, weil Sie nie einen hatten.
Das muss in einem Café in Bologna gewesen sein!
Wie gut sind Ihre Italienisch-Kenntnisse geworden? Sie bedanken sich nach den Rennen ja immer per Funk auf Italienisch beim Team oder singen Ihrem Renn-Ingenieur auch mal ein Geburtstagsständchen.
Das macht Spass. Die Kenntnisse sind besser, aber was das Lernen der Vokabeln betrifft, habe ich die Sache etwas schleifen lassen. Da muss ich über den Winter einiges aufholen und wieder eine Lehrerin engagieren.
Will man als Ferrari-Pilot nicht auch privat einen Ferrari fahren, um Freunden und Fans stolz zu zeigen, hier kommt der Vettel?
Ja, ich habe auch einen. Aber ich muss ihn ja nicht jeden Tag aus der Garage holen. Ich bin vielleicht nur ein Schönwetterfahrer!
Das Modell und die Farbe?
Ein schwarzer 458er.
Wie schwer hat man es als Deutscher, in Italien populär zu werden? Der Name Michael Schumacher wird ja immer noch durch die roten Werkshallen geistern …
Ja, das tut er auch. Und ich finde das auch gut so. Nicht nur er, auch andere Ferrari-Fahrer von früher, halten den Mythos in Maranello hoch. Das zeichnet Ferrari eben aus. Die alten Zeiten sind dort nicht einfach vergessen.
Mit jetzt 42 Siegen und 4 Titeln liegen Sie noch 49 Erfolge und 3 WM-Trophäen hinter Ihrem Vorbild Michael. Sind solche Jagden überhaupt ein realistisches Ziel?
Das sind ja nicht mal die Hälfte seiner Siege. Ein Ziel, eher nicht. Das ist alles noch so weit weg. Wenn es mal nur noch fünf Siege wären, macht man sich vielleicht Gedanken. Also in dieser Statistik lade ich mir sicher den kleinsten Druck auf.
Wie oft haben Sie Ihren Freund Michael seit dem Ski-Unfall vor über 23 Monaten schon besucht?
Das ist eine sehr persönliche Angelegenheit und geht niemanden was an. Wie Millionen seiner Fans auf der ganzen Welt wünsche auch ich ihm natürlich eine gute Genesung.
Wissen Sie eigentlich, wie es ihm jetzt geht? Sein Gesundheitszustand ist fast so geheim wie Ihr Privatleben. In dieser Beziehung weichen Sie keinen Schritt zurück, die Familie bleibt Ihr höchstes Gut. Selbst über die Anzahl Ihrer Kinder wird spekuliert.
Wenn man das Wort privat im Duden nachschlägt, erhält man die klare Definition! Ich kann natürlich verstehen, dass in einer Zeit, wo fast jeder sein Privatleben offen legt, das Interesse da ist. Aber mein Privatleben gehört mir. Das hat nichts mit Arroganz zu tun.
Doch selbst die Anzahl Ihrer Kinder ist nicht bekannt.
Das kann man ja schreiben, das weiss doch jeder. Aber muss ich den Leuten, die ich nicht kenne, sagen, dass ich Kinder habe? Sicher nicht!
Und der Zivilstand?
(Vettel lacht und zeigt seine beiden ringlosen Hände) Also ledig, zwei Kinder.
Dann führen Sie also so etwas wie eine wilde Ehe?
Nein!
Die beiden brasilianischen Ex-Weltmeister Emerson Fittipaldi und Nelson Piquet haben je sieben Kinder. Mit ihnen wollen Sie ja kaum in Konkurrenz treten …
Das geht auch nicht so schnell. Ich denke eher nicht. Aber die beiden haben ja auch geschummelt. Mit mehreren Frauen und Müttern.
Ellighausen im Thurgau bleibt also Ihre Oase der Glückseligkeit und der Erholung. Wie oft sind Sie mit dem Fahrrad unterwegs – oder gehen Sie auch in die Berge?
Ich fahre viel Rad, laufe durch die Gegend – und geniesse es, an der frischen Luft zu spazieren. Im Winter vielleicht weniger, da ist es zu kalt. Aber ich fahre sehr gerne Ski.
Was haben Sie als letztes im Supermarkt in Kreuzlingen gekauft?
Einen Ovo-Drink, aber das ist doch jetzt schon Werbung …
Der alte Leitspruch von Enzo Ferrari sollte Sie für 2016 noch mehr anspornen: Das beste Auto, das wir bei Ferrari bauen, ist immer das nächste!
Er hat ja noch andere tolle Weisheiten rausgehauen. Schade, dass ich diesen grossen Mann nie getroffen habe.
Nach dieser fast goldenen Saison muss Ihr Ziel für nächstes Jahr eigentlich WM-Titel lauten?
Vergoldet ist eine Saison erst, wenn der WM-Titel nach Maranello kommt. Also muss das klar unser Ziel sein. Es gibt noch ein Team, das vor uns liegt. Das wollen wir schlagen und gleichzeitig die anderen Rivalen weiter hinter uns lassen.
Red Bull ist in eine Krise geraten, fährt 2016 mit einem Renault-Motor, der vielleicht einen anderen Namen bekommt. Sie haben wohl den Absprung von der Bullen-Familie Ende 2014 zum richtigen Zeitpunkt gewählt.
Im Nachhinein kann man das so sagen. Aber zu jenem Zeitpunkt war es ein Sprung ins Ungewisse, denn Red Bull war damals noch zweitstärkste Kraft. Aber ich denke, diese Saison ist für sie nicht gut gelaufen. Sie haben es momentan sehr schwer. Ich darf mit meiner Entscheidung zufrieden sein.
Machen Sie sich selber am meisten Druck?
Ja, das würde ich sagen. Ich bin sehr ehrgeizig.
Die Diskussionen brechen nicht ab. Dauernd wird über das Überholen diskutiert. Hängt das auch von den Strecken ab?
Ein schwieriger Spagat. Man will, dass sich ein Fahrer durch Überholmanöver auszeichnet. Andererseits möchte man noch mehr Überholmanöver. Wichtig ist, dass man nicht die Qualität verliert – und man einfach am Vordermann vorbeifährt. Das ist langweilig. Ich glaube, wenn man sich die Rennen heute anschaut, hat man bereits viel mehr Action als vor zehn oder zwanzig Jahren. Dass man jetzt noch mehr künstlich erschaffen will, glaube und hoffe ich nicht.
Sie haben hier in Abu Dhabi mal 29 Autos überholt, als Sie vom letzten Platz starten mussten.
Das sollte reichen, oder nicht? Das war vor drei Jahren. Aber es kommt natürlich darauf an, wen man überholt. Ist man nur ein oder zwei Zehntel schneller, dann ist es fast unmöglich, es sei denn der Vordermann macht einen Fehler. Das war schon vor 30 Jahren so. Ich glaube, man kann mit Jackie Stewart stundenlang diskutieren, wie oft er einen Zehntel schneller war und nicht am Gegner vorbeikam!
Sie sind ein Rennfahrer, der über den Tellerrand des Formel-1-Sports hinausschaut. Wie beklemmend ist für Sie das Flüchtlingsdrama, das auch Ihre Heimat Deutschland im Würgegriff hat?
Ich denke, das Problem gilt für ganz Europa. Ich bin jetzt kein Politiker, aber das ist für alle in den nächsten Jahren die grösste Aufgabe, die es zu meistern gibt. Es gibt ja keine Alternativen. Ich verfolge das ganze mit Spannung am TV oder in den Zeitungen. Das ist doch Weltgeschichte.
Paris wurde 2015 zum zweiten Mal Ziel des Terrors. Wie geht man damit um, wie informiert man sich?
Ich glaube, damit geht man als Rennfahrer nicht anders um als ein ganz normaler Mensch. Da sind doch alle schockiert. Aber was man darüber mit Freunden und der Familie bespricht, ist etwas Intimes. Wir waren ja an jenem 13. November in Brasilien – und plötzlich herrschte eine ganz komische Stimmung. Man war traurig und ist auch so eingeschlafen.
Haben Sie nie Angst, dass ein solcher Amoklauf mal die Formel 1 im Visier hat?
Nein. Aber das ist wieder eine schwierige Frage. Am Schluss muss man sein Leben so leben, wie man es leben will. Manche Dinge hat man dabei einfach nicht in der eigenen Hand. Zufall, Schicksal, Pech. Jeder kann es nennen, wie er will.
Die Formel 1 nach der 66. WM-Saison als Märchenbühne. Frau Holle schüttet in Hinwil hoffentlich bald den Schnee mit vielen Sauber-Sorgen aus den Werksfenstern. Ferrari ist in Maranello mit Sebastian Vettel und drei Siegen längst aus dem Dornröschenschlaf erwacht. Und in Stuttgart muss Mercedes-Vorstand Dr. Dieter Zetsche im Advent öffentlich den Frieden predigen: «Ich kann mir momentan kein besseres Duo als Toto Wolff und Niki Lauda an der Spitze unseres tollen Formel-1-Teams vorstellen!»
Doch der böse Wolff und das Rotkäppchen, eine Wiener Zweckgemeinschaft mit oft verschiedenen Ansichten, haben ein gemeinsames Problem: Die Harmonie bei den Silberpfeilen ist weg. Bei Ferrari und Vettel löst das für 2016 bereits das erste Schmunzeln aus. Wolff goss das Öl jetzt selbst ins Feuer. «Wir sind stärker als je zuvor. Aber das schwierige Verhältnis unter den Fahrern ist nicht gut. Ja, es ist unsere einzige Schwäche. Und diese muss man bekämpfen!»
Mit anderen Worten: Wenn der Kindergarten-Krieg zwischen Hamilton und Rosberg weiter eskaliert, muss einer der beiden weg. Wolff: «Wir hätten im Notfall Alternativen!» Testpilot und DTM-Champion Pascal Wehrlein wäre wohl kaum eine!
Also wieder ein Pluspunkt für Vettel – und Erinnerungen an McLaren mit dem Streit der beiden Giganten Ayrton Senna und Alain Prost. Da war trotz Hass noch Niveau im Spiel – und keine täglichen banalen Giftspritzen («Jammerlappen, Anti-Teamplayer») wie jetzt bei Hamilton und Rosberg.
Harmonie kann man nicht kaufen. Das weiss auch Ferrari. Doch man kann sie pflegen. Und so ist der Entscheid, dem WM-Vierten Kimi Räikkönen (36) nochmals eine rote Saison zu schenken, Gold wert. Die interne Ruhe ist Vettels grösster Trumpf für die Saison 2016.
Die Formel 1 nach der 66. WM-Saison als Märchenbühne. Frau Holle schüttet in Hinwil hoffentlich bald den Schnee mit vielen Sauber-Sorgen aus den Werksfenstern. Ferrari ist in Maranello mit Sebastian Vettel und drei Siegen längst aus dem Dornröschenschlaf erwacht. Und in Stuttgart muss Mercedes-Vorstand Dr. Dieter Zetsche im Advent öffentlich den Frieden predigen: «Ich kann mir momentan kein besseres Duo als Toto Wolff und Niki Lauda an der Spitze unseres tollen Formel-1-Teams vorstellen!»
Doch der böse Wolff und das Rotkäppchen, eine Wiener Zweckgemeinschaft mit oft verschiedenen Ansichten, haben ein gemeinsames Problem: Die Harmonie bei den Silberpfeilen ist weg. Bei Ferrari und Vettel löst das für 2016 bereits das erste Schmunzeln aus. Wolff goss das Öl jetzt selbst ins Feuer. «Wir sind stärker als je zuvor. Aber das schwierige Verhältnis unter den Fahrern ist nicht gut. Ja, es ist unsere einzige Schwäche. Und diese muss man bekämpfen!»
Mit anderen Worten: Wenn der Kindergarten-Krieg zwischen Hamilton und Rosberg weiter eskaliert, muss einer der beiden weg. Wolff: «Wir hätten im Notfall Alternativen!» Testpilot und DTM-Champion Pascal Wehrlein wäre wohl kaum eine!
Also wieder ein Pluspunkt für Vettel – und Erinnerungen an McLaren mit dem Streit der beiden Giganten Ayrton Senna und Alain Prost. Da war trotz Hass noch Niveau im Spiel – und keine täglichen banalen Giftspritzen («Jammerlappen, Anti-Teamplayer») wie jetzt bei Hamilton und Rosberg.
Harmonie kann man nicht kaufen. Das weiss auch Ferrari. Doch man kann sie pflegen. Und so ist der Entscheid, dem WM-Vierten Kimi Räikkönen (36) nochmals eine rote Saison zu schenken, Gold wert. Die interne Ruhe ist Vettels grösster Trumpf für die Saison 2016.