Welche Frage können Sie am Ende einer solchen Saison mit Pleiten, Pech und Pannen nicht mehr hören?
Sebastian Vettel: Das weiss ich nicht. Ich mache mir über die Fragen gar keine grossen Gedanken, mehr über die Antworten.
Und – haben Sie Antworten gefunden?
Ja, aber die bleiben intern.
Seit 1982 oder Alain Prost auf Renault sind Sie der erste Pilot, der die beiden ersten Saisonrennen gewann, aber dann nicht Champion wurde.
Da müssen sie mal den Prost fragen, was er 1982 verbockt hat. Damals wars noch gravierender, weil es nur 12 oder 13 Rennen gab (es waren 16, die Red.). Heute sind es 21. Ich glaube, wir hatten am Anfang die Chance, sogar noch mehr Rennen zu gewinnen. Am Ende sicher nicht mehr aus eigener Kraft. Wir hatten ein gutes Paket, aber es war unter dem Strich eben nicht gut genug.
Hätte Sie mit Mercedes den Titel gewonnen?
Das weiss ich nicht. Ich sass noch nie im Mercedes. Und im Ferrari habe ich ihn nicht gewonnen.
In Spa haben Sie ja auch die zweite Saisonhälfte mit einem souveränen Sieg begonnen…
Da waren wir mit Mercedes auf Augenhöhe. Doch dann wurde es immer schwieriger… Auch wenn die Leute in Belgien noch von der roten Dominanz gesprochen haben, so war die interne Wahrnehmung doch eine andere. Wir waren oft nicht so stark, wie es nach aussen den Anschein machte.
Aber der Speed stimmte. Und der ist am Ende wohl entscheidend?
Ja, das stimmt. Doch nach der Sommerpause hat er uns meist gefehlt. Wir haben mit unseren Entwicklungsschritten so etwas wie gehadert und sind dann wieder auf den Stand nach Monza zurückgegangen.
Wie kann so etwas passieren?
Einfach erklärt: Wir waren am Limit und dann versucht man natürlich, noch mehr irgendwo rauszuquetschen. Und auf diesem Weg ist uns ein Fehler unterlaufen, den wir nicht sofort als Fehler wahrgenommen haben. Und dann sind wir eben in die falsche Richtung vorgeprescht.
Mitten in der Saison haben Sie mal gesagt, dass Sie Michael Schumacher vermissen. Dieser könnte Ihnen bestimmt wichtige Tipps für das Leben bei Ferrari ausserhalb des Cockpits geben.
Ja, das gilt immer noch. Michael hat ja sehr viele Jahre in Maranello verbracht und sein Geist schwebt weiter über dem Team! Mit Michael würde ich jetzt die Sprache der Fahrer sprechen und nicht die der Techniker. Deshalb würde ein Gespräch mir extrem helfen. Denn mit Michael hatte ich sowieso immer ein tolles Verhältnis. Ja, ich vermisse ihn.
Haben Sie Ihn einmal besucht?
(zögert) Nein.
Wie mühsam ist die Formel 1 für die Fahrer geworden, da ja dauernd Sprit gespart werden muss und die Reifen von GP zu GP total verschieden sind? Michelin würde nie in die Formel 1 zurückkommen, wenn sie auf Befehl einen Gummi bauen müssten, der nur einige Runden überlebt.
Ich weiss es nicht. Wie soll ich das jetzt sagen. Ich weiss, was Sie da fragen. Ich denke heute hat man oft das Gefühl, jeden glücklich machen zu müssen. Und wenn man dann von diesem Sport spricht und wie unterhaltsam der ist – dann gibt es viele Parameter, das zu messen. Bei uns spielen da die Überholmanöver die grosse Rolle. Aber man fragte nie, ob sie auch authentisch waren. Natürlich hatten wir langweilige Rennen, wie es langweilige Fussballspiele gibt.
Nette Antwort, aber wie ist das jetzt mit dem Gummi und dem fehlenden Vollgas?Ich halte nicht viel von den künstlichen Parametern, also die Reifen künstlich abbauen zu lassen. Oder dieses DRS-System wie das Spritsparen – das sind Sachen aus Fahrersicht, die gegen die Natur des Sportes sprechen. Den Tennisspielern wird auch nicht auferlegt, mit wie viel Topspin und wie oft sie die Bälle mit welchem Tempo schlagen dürfen. Alles ist bei uns überreglementiert. Mit dem Zielgedanken, alles besser zu machen. Glauben Sie mir, wir würden es alle oft vorziehen, schneller zu fahren!
Wie stark schlägt so eine Achterbahn-Saison eigentlich aufs Gemüt?
Das kommt darauf an. Von aussen werden ja nur die Resultate gesehen. Aber es gibt natürlich viele Dinge, die hinter den Kulissen passieren. In dieser Beziehung war es keine einfache Saison. Ja, ich weiss, dass es keine einfache war. Auch vom Gemüt her.
Was überrascht ist Ihre Loyalität zum Team. In den letzten Jahren sind Sie bei heiklen Situationen am Funk und auch nach den Rennen mehrmals ausgerastet. 2018 erlebten wir den ruhigsten Vettel seit Jahren.
Wenn man diesen Sport voller Leidenschaft betreibt, dann muss man damit rechnen, dass das Pendel auf beide Seiten ausbricht. Also es gibt nicht nur den Jubel. Aber man kann ja nicht immer gewinnen – und dann sind im ersten Moment eben oft Emotionen angesagt. Vielleicht habe ich ja auch aus meinen Fehlern von früher gelernt.
Okay, da wäre als Ausnahme das Zerstören der Waage in der Qualifikation von Sao Paulo. Wer bezahlt eigentlich die Strafe von 25 000 Euro? Sie oder Ferrari?
Ich. Und damit habe ich meine jährliche Strafe ja bekommen. Die Rechnung ist noch nicht gekommen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie kommt.
Das muss ja eine teure Waage gewesen sein…
Nun, die FIA sagt, dass der Materialwert 22 000 Euro gewesen sei. Dann hätte man einfach aufgerundet, weil man noch einige Kabel dazukaufen musste...
Oh, das sind aber teure Kabel. Ihr bisheriger Teamkollege Kimi Räikkönen hat kürzlich ein Buch herausgegeben, in dem verriet, dass er mal 16 Tage am Stück betrunken war. Wann können Ihre Fans mit der Autobiografie rechnen?
Kein Ahnung. Entgegen den Entwicklungen unserer Zeit habe ich nicht das Bedürfnis, mich so mitzuteilen. Man sollte nie nie sagen, aber ein Buch über Vettel steht noch nicht auf meiner Liste.
Also weiter auch keine Auftritte bei Twitter, Facebook oder Instagram?
Nein, da bin ich wohl der letzte Mohikaner.
Kimi geht jetzt für zwei Jahre zurück zu den Wurzeln bei Sauber. Was trauen Sie ihm zu?
Ich glaube, gerade die vergangene Saison hat dem Team Mut gemacht. Ich kenne ja noch einige Leute von meinem ersten GP 2007 in Indianapolis, als ich ja für Sauber gleich einen WM-Punkt holen konnte. Es ist Kimi zuzutrauen, dass er aus dem Auto alles herausquetscht und im Mittelfeld mitfahren kann.
Kimi im roten Rückblick?
Da wir uns auch neben den Rennstrecken privat gut verstehen, waren nicht alle Situationen einfach. Ich habe versucht, ihn zu schlagen. Er hat das gleiche mit mir versucht. Da spielen Freundschaften in den Rennen kaum noch eine Rolle.
Ihr neuer Teamkollege Charles Leclerc bringt viel Talent und Ehrgeiz nach Maranello. Da ist sicher keine rote Harmonie in Sicht wie eben meistens mit Kimi.
Das weiss ich noch nicht. Die Harmonie zwischen mir und Kimi führte dazu, dass wir uns nicht mit unnötigem Geplänkel aufgehalten haben. Wir haben einander immer den nötigen Platz gelassen – und damit dem Team unnötige Sorgen erspart. Jeder Mensch ist anders, und wie Charles und ich zusammen ticken, wird sich zeigen. Aber er ist ein wohlerzogener Junge – und Ferrari ist eine Riesenchance für ihn. Das Grundgesetz wird sich auch diesmal nicht ändern: Jeder will den andern schlagen.
Lewis Hamilton hat kürzlich einmal gesagt, dass es sein Traum sei, ins All zu fliegen.
(lacht). Da soll er bleiben. Nein, nein, aber ein paar Jahre könnte er trotzdem bleiben...
Haben Sie auch solche grossen Träume?
Ja, aber die finden alle auf dem Planeten Erde statt. Ja, wenn man einfach mal so ins All fliegen könnte, würde ich vielleicht sogar mit Lewis mitgehen. Doch beim Saisonstart 2019 in Melbourne müssten wir im März wieder zurück sein.
Also was ist Ihr Traum?
Wir reden immer viel von Urlaub und Erholung. Ich würde gerne mal ein paar Monate nach Indien reisen. Dieses Land fasziniert mich. Aber es gibt auch andere Orte, die mich beeindruckt haben. Und diese Freude möchte ich dort dann auch mit der Familie und Freunden teilen.
Wie schwer ist es Ihnen gefallen zu sagen, der Hamilton war der bessere Fahrer als ich?
Überhaupt nicht. Wirklich. Es kann nur einer gewinnen. Wir hatten leider unsere Fehler, ob es jetzt meine oder die vom Team waren das möchte ich gar nicht trennen. Ich stelle mich immer vors Team. Unter dem Strich war Mercedes besser, war Lewis der bessere Fahrer, hat mehr Punkte geholt und weniger Fehler gemacht. So einfach ist das.
Hier noch einige Stichworte.
Angela Merkel?
Ich möchte nicht mit ihr tauschen. Ich glaube , es gibt momentan nicht viele Leute, die mit ihr tauschen möchten, oder?
Eintracht Frankfurt?
Es freut mich als grosser Fan, der Elf zuzusehen. Läuft ja super im Moment. Viele sehen Frankfurt schon in der Champions League. Na, warten wir mal ab.
Bodensee?
Wunderschön. Man kann diesen See zu vielen Dingen benutzen. Wenn man nur zehn Kilometer davon entfernt wohnt, hat man das Paradies vor sich. Ich glaube, ich habe mich früher bei einer Klassenfahrt in den See verliebt.
Halo?
Nach wie vor hässlich, aber ich glaube, jeder hat sich jetzt daran gewöhnt.
Jahreszeiten?
Da bin ich froh, dass wir dort leben dürfen, wo es diese vier Jahreszeiten auch gibt. Hoffentlich wird es im Winter kalt genug zum Skifahren.
Red Bull-Honda?
Könnte 2019 die grosse Überraschung werden. Für die Zuschauer wäre es schön, wenn Red Bull konstant den Anschluss finden würde.
Grid Kids?
Für die Kinder ist es toll. Sie sind immer begeistert, wenn sie neben uns stehen dürfen. Trotzdem bin ich der Meinung, dass man die Grid Girls nie hätte abschaffen dürfen.
Liberty Media?
Die neuen Besitzer werden noch etwas Zeit brauchen. Wir schauen alle, was es für eine bessere Zukunft braucht.
Bernie Ecclestone?
Fehlt mir. Auch die Backgammon-Spiele mit ihm sind immer interessant.
Robert Kubica?
Ich bin zwiegespalten. Auf der einen Seite freut es mich persönlich. Denn niemand kann sich vorstellen, wie schwer es für ihn war, was er alles durchgemacht hat. Andererseits gibt es auch junge Fahrer die eine Chance verdient hätten...
...Ihr Freund Pascal Wehrlein?
Ja, vielleicht wird er bei uns jetzt Simulatorfahrer.
Jogi Löw?
Das ist ähnlich wie mit Angela Merkel. Ich weiss nicht, ob viele mit ihm tauschen wollen. Viel Kritik ist jetzt unfair, man muss auch immer sehen, was jemand erreicht hat. Doch es liest sich eben immer besser, wenn man jemanden schlecht darstellt. Ich finde es nicht richtig, dass man seine Erfolge in den letzten zwölf Jahren einfach so vergisst.
Roger Federer?
Ich habe ihn schon mal gesehen und die Hand geschüttelt. Aber noch nie gross mit ihm geredet. Er ist das Sinnbild für Ästhetik und Perfektion, was seinen Sport betrifft. Roger Federer ist wie das Wort zeitlos. Es gibt zwar Gesetze, die für alle gelten, aber er scheint diese grösstenteils ausser Kraft zu setzen. Er ist einfach Spitze. Mit 37.
Fahren Sie dann noch?
Kann schon sein, aber ob ich in sechs Jahren noch weiter das gleiche Niveau habe. Mal sehen.
Mee Too-Kampagne?
Was soll ich jetzt dazu sagen? (studiert lange) Wie schnell die Kampagne ausser Mode geraten ist, zeigt die Tatsache, dass man seit einiger Zeit nicht mehr so viel davon hört. Vielleicht war alles zu überspitzt. Doch es bleibt ein sehr ernstes und heikles Thema.
Sie sprechen ja nicht gerne über Privates. Machen wir deshalb noch das traditionelle Privat-Protokoll. Name Sebastian Vettel, Lebenspartnerin Hanna, zwei Kinder, nicht verheiratet und ein Hund.
Stimmt alles.
Wir haben da noch was von Hühnern auf ihrem Anwesen gehört.
Nun, der Fuchs ist mit den Hühnern im Urlaub. So sagen wir es auch unseren Kindern...
3. Juli 1987 in Heppenheim (Hessen) geboren. Seine Eltern Norbert und Heike unterstützten ihn, verzichteten auf vieles – damit Sebastian schon mit vier Jahren Kart fahren konnte. 2007 debütierte er bei Sauber-BMW in Indy (8.). 2008 feierte er auf Toro Rosso in Monza den ersten Sieg. Dann fuhr er sechs Jahre Red Bull (38 Siege, vier WM-Titel). Ab 2015 bei Ferrari (13 Siege). Total: 219 GP, 55 Poles und 111 Podestplätze.
3. Juli 1987 in Heppenheim (Hessen) geboren. Seine Eltern Norbert und Heike unterstützten ihn, verzichteten auf vieles – damit Sebastian schon mit vier Jahren Kart fahren konnte. 2007 debütierte er bei Sauber-BMW in Indy (8.). 2008 feierte er auf Toro Rosso in Monza den ersten Sieg. Dann fuhr er sechs Jahre Red Bull (38 Siege, vier WM-Titel). Ab 2015 bei Ferrari (13 Siege). Total: 219 GP, 55 Poles und 111 Podestplätze.