Exklusiv: BLICK-Benoit trifft Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton
«Die Wahrheit über mein Leben!»

Lewis Hamilton (30) hat kaum Freunde in der Formel 1 – Senna wäre einer, würde er noch leben! Im BLICK spricht der Brite so offen wie nie über seinen Aufstieg, Gott, Gefühle und Enttäuschungen.
Publiziert: 25.09.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 07.10.2018 um 12:20 Uhr
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Kennen und schätzen sich seit vielen Jahren: Weltmeister Hamilton und Formel-1-Experte Benoit.
Foto: Lukas Gorys
Von Roger Benoit aus Suzuka

BLICK: Mit einer Woche Verspätung können Sie hier in Japan den 41. GP-Sieg einfahren – und damit Ihr Idol Ayrton Senna einholen.
Lewis Hamilton:
Ist das nicht verrückt? Allein daran zu denken, war lange verrückt.

Warum?
Als Kind wollte ich immer Senna sein und die gleichen Dinge erreichen wie er. Jetzt habe ich auch 161 Rennen wie Ayrton – und vielleicht in Japan diesen 41. Sieg.

Nun sind Sie das Idol. Kinder in aller Welt wollen Lewis Hamilton nacheifern.
Für mich ist das alles noch etwas fremd. Aber es stimmt, einige Kids haben mir schon gesagt, dass sie eines Tages wie ich sein wollen. Cool, das ist ein echtes Geschenk. Und ich frage mich oft, was hat mich an Senna eigentlich so begeistert? Vielleicht waren es seine Augen, die Art, wie er sprach – oder war es sein tiefer Glaube? Und jetzt sind es weisse, schwarze oder asiatische Kinder, die zu mir aufschauen.

Sie selbst sind ja nur noch 51 Siege von Michael Schumachers Rekord entfernt.
Das ist nicht mein Ziel. Diese 91 unglaublichen Erfolge überlasse ich Schumi gerne.

Und die sieben WM-Titel des Deutschen?
Auch da ist Michael uns allen viel zu weit voraus.

Vor drei Jahren haben Sie in Singapur das neue Abenteuer mit Mercedes begonnen, als Niki Lauda Sie im Hotelzimmer zum Absprung von McLaren überredete.
So hat man es bis jetzt erzählt. Aber es stimmt nicht ganz.
Erst zwei Wochen später habe ich mich nach weiteren langen Diskussionen mit Mercedes entschieden, McLaren zu verlassen.

War es auch eine Entscheidung ihres Managers?
Nein, das habe ich selbst entschieden. (Er trennte sich kurz darauf vom Management, d. Red.).

Viele Leute haben Ihre damalige Entscheidung kritisiert. Was sahen Sie bei Mercedes, was andere Top-Fahrer nach Schumachers Rückzug bei den Silberpfeilen nicht sahen?
Die haben mich wie McLaren seit meinem 13. Lebensjahr begleitet. Ich war also schon so etwas wie ein Mitglied der Familie. Selbst als der McLaren nicht sehr gut war, der Mercedes-Motor hat uns immer rausgerissen! Und als Mercedes dann McLaren verliess, um eigene Wege zu gehen, schauten sie zuerst nicht gut aus. Aber dies nahm ich einfach mal zur Kenntnis.

Und dann kam Ross Brawn ins Spiel, der damalige Teamchef von Mercedes.
Ja, das war der entscheidende Faktor, auch wenn Niki grossen Anteil am Transfer hatte. Aber später traf ich Ross im Haus meiner Mutter – und dort erklärte er mir alle Pläne für die Zukunft. Er weihte mich in die letzten Details ein, sagte auch, warum gewisse Dinge noch nicht funktionieren. Wow diese Offenheit hat mich sehr beeindruckt. Am Ende habe ich mir gesagt, dass keine Firma der Welt bessere Motoren für die neue Hybrid-Formel bauen kann als Mercedes. Ich war einfach überzeugt.

Jetzt müssen Sie auf der Strecke zusehen, wie Alonso und Button im McLaren-Honda leiden und von Ihnen manchmal sogar überrundet werden.
Das macht mich natürlich traurig, weil ich im Herzen auch immer noch ein Teil der McLaren-Familie bin. Kein Team mit so grossen Erfolgen sollte in der WM-Rangliste plötzlich Vorletzter sein.

War bei Ihrem Wechsel zu Mercedes auch die Lust auf Veränderung da? Irgendwann verlässt ein Vogel sein Nest.
Genau. Man vergleicht ja oft Fahrer, die nur mit einem Team gewonnen haben, mit solchen, die das mit mehreren Teams geschafft haben. Darin lag für mich die Herausforderung für den Wechsel. Ob gut oder schlecht. Ich wollte meine Erfahrungen von Mc­Laren zu einer neuen Station der Karriere mitbringen. Ich wollte einfach wissen, ob ich auch ein neues Team erfolgreich machen kann, wie es Michael Schumacher nach Benetton bei Ferrari tat.

Sie haben ja einen neuen Dreijahresvertrag für rund 100 Millionen Pfund unterschrieben und in englischen Medien gesagt, dass Sie jeden Penny wert sind.
(lacht) Habe ich das wirklich gesagt? Ich erinnere mich nicht mehr, aber ich bin mehr wert!

Wie viel Geld haben Sie jetzt in Ihren Hosentaschen?
Ich habe nie Geld bei mir. (Er lebt wohl wie sein Mentor Niki Lauda, der immer hofft, dass jemand die Zeche bezahlt, d. Red.)

Unterschätzt die Öffentlichkeit, wie lange es dauert, bis man in einem neuen Team wirklich angekommen ist?
Ich denke schon. Sebastian Vettel zeigt jetzt zwar bei Ferrari, dass dieser Prozess auch kürzer sein kann. Wenn du gut bist, dann bist und bleibst du gut. Doch ich glaube nicht, dass wir bei Vettel schon das Beste im neuen Team gesehen haben! Das ist immer noch Alonsos Wagen, aber Vettel wird ihn in dieser und in der nächsten Saison so weiterentwickeln, dass es sein Auto wird. Das habe ich bei Mercedes ebenfalls gemacht, bis ich mich in einem jahrelang auf Rosberg abgestimmten Auto wohl gefühlt habe. Die Resultate sieht man jetzt.

Was macht Sie eigentlich so speziell in Ihrem Auto?
Keine Ahnung.

Aber irgendwas muss Sie doch auszeichnen. Oder wie Niki Lauda sagt: Die besten Fahrer bekommen ihre Wagenkontrolle vom Sensor Hintern übermittelt.
Ich spreche nicht gerne über meine Fähigkeiten, denn ich möchte nicht damit prahlen. Ich sage nur, dass mein Talent ein grosses Geschenk ist. Es wäre ein Fehler, wenn ich mich nur auf mein Talent verlassen würde. Ich sage mir immer, wenn du noch härter arbeitest, dann bist du ein Grosser und nicht nur ein guter Fahrer.

Okay, aber Sie gehören ja nicht zu den Piloten, die stundenlang im Simulator arbeiten…
Ich glaube nicht, dass Nico Rosberg viel mehr Stunden im Simulator verbringt als ich. Aber es stimmt schon, dass ich kein grosser Fan der Simula­toren bin. Ich bin mehr der natürliche Rennfahrer. Immer schon, seit ich Kart gefahren bin. Da habe ich das Kämpfen gelernt, weil wir ja kein Geld hatten und mit dem schlechtesten Material unterwegs waren – im Gegensatz zu wohlhabenden Rivalen, die nur das beste Equipment einsetzen konnten. Ich fahre noch heute so, als ob ich weniger zur Verfügung hätte als die andern.

Sie haben einmal gesagt, wenn du der Beste sein willst, musst du es hassen, zu verlieren.
Ich habe in meinen Leben jede Niederlage gehasst. Ich bin sicher, dass es Federer, Schumacher oder Senna genauso ging.

Da kommen wir zur Qualifikation. Vor einem Jahr wurden Sie von Rosberg brutal 12:7 geschlagen, diese Saison führen Sie 12:1. Was ist geschehen?
Das ist schwer zu erklären. Ich denke einfach, dass ich 2015 meine schnellste Runde besser zusammenbekomme. Den Speed habe ich, seit ich in einem Rennwagen sitze. Aber jetzt schaffe ich es endlich auch, diesen Speed auf einer Runde regelmässig abzurufen.

Wie oft denken Sie über den dritten WM-Titel nach? Sie führen sechs Rennen vor Schluss mit 41 Punkten gegenüber Rosberg.
Da schätzen Sie mich falsch ein, die WM ist kein grosses Thema für mich. Das sind mehr die Siege bei jedem Rennen. Bis Abu Dhabi sind noch 150 Punkte zu vergeben, also lassen wir die Spekulationen.

Aber Sie können ja öfters mal Zweiter werden und so die nötigen Punkte sammeln.
Das würde mich echt anpissen. Ich will nie Zweiter werden, ich will immer gewinnen. Ich wäre stinksauer. Vor allem, wenn mich mein Teamkollege schlägt.

2015 standen Sie nur in Budapest und vor einigen Tagen in Singapur nicht auf dem Podest. Waren das zwei schlimme Momente?
Nein. Das war einfach der Rennsport. Alle haben schlechte Tage. Fahrer und Teams. Schlimm war nur Monaco.

Da wurden Sie durch die falsche Boxen-Strategie um einen klaren Sieg gebracht und mussten als Dritter in die Fürstenloge. Nach der Zielflagge hielten Sie an und blieben lange im Auto. Was war da los?
Ich habe gebetet. Es war ein schwieriger Moment für mich, weil ich während des Rennens daran gedacht habe, dass ich besser denn je gefahren bin – so eine klare Führung hatte schon lang niemand mehr. Ich dachte auch an Senna, der dort in die Leitplanken fuhr, als er vorne lag.

Das war 1988 – und Ayrton ist damals vor dem Tunnel aus dem McLaren geklettert und nach Hause gegangen. Das hätte Sie als Wahl-Monegasse ja auch tun können.
Zu verschwinden ist keine Lösung, auch wenn es Senna tat. Ich musste einfach beten, um die Kraft zu bekommen, das alles durchzustehen, die Leere zu vergessen. Ich wollte nicht ohne die Kraft von oben aus dem Auto klettern. Ich wollte mich dem Team und allen, die am TV zuschauten, nicht mit der inneren Dunkelheit zeigen. Das ist mir gelungen. Es war eben nicht nur Lewis Hamilton, der aus dem Mercedes stieg – die Kraft, an die ich jeden Tag glaube, war bei mir.

Wie schon die ganze Saison. Es ist ihre beste, seit Sie in der Formel 1 sind. Auch neben der Strecke  haben Sie viele Glücksmomente. Also kann nur ein glücklicher Fahrer auch ein schneller Pilot sein?
Richtig. Doch das gilt auch für alle anderen Menschen. Wenn du zufrieden bist, machst du auch einen besseren Job. Ich habe die richtige Balance gefunden.

Warum sind Sie so aktiv in den sozialen Medien mit Millionen von Followern?
Ich liebe einfach den Kontakt zu den vielen Leuten, die mich mögen. Die Sache macht mir Spass, und es kommen täglich mehr Fans dazu. Darauf bin ich stolz.

Da sind Sie das pure Gegenteil zu Sebastian Vettel. Der hält sein Privatleben hinter verschlossenen Türen. Aber Sie kommen von Mc­Laren, wo Sie schon vor der Formel 1 jahrelang behütet, kontrolliert und gemassregelt wurden.
Ich würde nicht sagen, dass ich dort zu gewissen Dingen gezwungen wurde. Aber es wurde mir von allen Seiten klar gesagt, dass ich den Sprung in die Formel 1 nur schaffe, wenn ich mich anpassen kann. Und um ehrlich zu sein, dass ich es als Weisser leichter hätte. Doch ich bin nicht einfach in ein Schema zu stecken. Ich wollte mich nicht verbiegen lassen. So war es, als ich in die Formel 1 kam. Ich war sehr ruhig, sehr privat. Ich war in meiner kleinen Welt – und ich habe es gehasst.

Bei Mercedes ist für Sie jetzt alles anders?
J
a, ich konnte mich endlich aus der Umklammerung lösen, das Schneckenhaus verlassen – und ich selbst sein. Jetzt fühle ich mich frei und kann tun, was ich will, und nicht, was andere von mir erwarten. Es ist einfach grossartig, dass ich mich frei bewegen und so leben und anziehen kann, wie ich will. Das ist vielleicht auch der Grund, warum ich jetzt so super fahre, weil ich mich nicht mehr schämen muss, woher ich komme und wer ich bin!

Eigentlich unfassbar.
Ich kenne meine Werte. Ich weiss, was wir als Familie erreicht haben. Die Familie hat den grössten Platz in meinem Herzen. Immer.

Ihr 23-jähriger Bruder Nicolas, der mit einer motorischen Störung leben muss, fährt jetzt selber Rennen.
Ja, und ich bin unheimlich stolz auf ihn. Er fährt die britische Tourenwagen-Meisterschaft. Als erster schwarzer und behinderter Fahrer. Und er ist besser, als alle erwartet haben. Ich schaue mir die Rennen jeweils am Fernsehen an.

Warum nicht live?
Mein Bruder hat es abgelehnt. Er hätte mich schon gerne an den Boxen, aber wenn ich auftauche fühlt sich Nicolas unter Druck. Es ist nicht leicht, mein Bruder zu sein (lacht).

Sie haben kürzlich ein Musik-Video aufgenommen. Wollen Sie tatsächlich Sänger werden?
Es war in einem Studio. Jemand hat es gefilmt und in die Welt gepostet.

Ihre Stimme klingt gut.
Musik ist momentan nur ein Hobby für mich. Genau wie die Filmerei. Ich habe gerade einige Szenen für einen Film namens «Zoolander 2» gemacht. Es war keine grosse Sache wie vorher bei «Cars 2». Später ist Hollywood sicher mal ein Thema.

Daimler-Boss Dr. Zetsche sagte, dass er Ihren extravaganten Stil liebt, weil Sie Ihr eigenes Ding durchziehen und dann in den Rennwagen klettern und gewinnen.
Das ist die Freiheit, die ich meine und schätze.

Wo ist Ihr Selbstvertrauen grösser: im Rennsport oder im Privatleben?
(Er beginnt etwas zu murmeln, gibt eine Antwort, um sie auf Druck des Pressesprechers zurückzunehmen!) Sagen wir also im Auto! Wenn ich im Cockpit sitze und das Visier herunterklappe, fühle ich mich am wohlsten. Da gibt es keine Schikaniererei, keinen Lehrer oder ein Familienmitglied, die mir sagen wollen, was ich tun muss. Im Auto kann mich niemand herausfordern. Da bin ich der Chef.

Welchen Ratschlag würden Sie dem jungen Lewis Hamilton geben, wenn Sie 15 Jahre zurückgehen könnten?
Eine schwierige Frage. Ich könnte ihm viele Tipps geben. Der wichtigste wäre: Gib niemals auf, glaube an dich, was immer du auch machst. Gib nie deine Träume auf – und lass dich von anderen Menschen nie nach unten ziehen und von deinen Zielen abbringen. Es ist nicht wichtig, was andere denken, was zählt, ist nur der Glaube an dich selbst.

Waren Sie ein guter Schüler?
(lacht). Die Schule ist wichtig, weil du dort auch die Kommunikation lernst. Schauen Sie, ich arbeite jetzt mit rund 1000 Leuten zusammen, die von den besten Universitäten wie Harvard, Oxford oder Cambridge kommen. Wenn du dich gegenüber diesen hochintelligenten Ingenieuren nicht klar ausdrücken kannst, was du im Auto fühlst, bist du verloren. Die Kommunikation ist die Grundlage für alle Erfolge.

Werden wir Lewis Hamilton in zehn Jahren noch in der Formel 1 sehen?
Nein, unmöglich. In zehn Jahren sitze ich irgendwo auf einem Boot, mit einer Zigarre und vielen Frauen (lacht).

Letzte Frage: Warum haben Sie eigentlich die Schweiz mit Ihrem Wohnort am Zürichsee und später in Genf verlassen?
Ich finde dieses Land toll und schön, aber ich war dort total allein, hatte keine Freunde um mich. Ich kannte kaum jemanden, und es wurde mir so langweilig, wie wenn ich der Farbe bei einem neuen Bild beim Trocknen zuschaue! In Monaco habe ich jetzt alles, was ich in der Schweiz vermisst habe.

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