Lieber Roger, ich möchte mich heute mit dir über die fünf verrücktesten Formel-1-Fahrer unterhalten, die du erlebt hast. Über wen sollen wir zuerst reden?
Roger Benoit: Da kommt wohl nur einer in Frage: der dreifache Weltmeister Nelson Piquet.
Warum?
Er war ein unglaublich guter Rennfahrer, hatte aber nur Unsinn im Kopf und die Anstandsregeln häufig verletzt.
Hast du ein Müsterchen?
Nur eines? Da gäbe es unzählige davon. Als er und Nigel Mansell Williams-Teamkollegen waren, litt Mansell in Mexiko unter Darmproblemen, genannt Montezumas Rache. Er musste deshalb während des Trainings mehrmals anhalten, um das einzige WC hinter den Boxen aufzusuchen. Und was machte Piquet? Er nahm das ganze WC-Papier heraus und empfing später Nigel lachend vor dem Klo: «Mit was hast du dir jetzt den Arsch geputzt?» Schon davor in seiner Zeit als Brabham-BMW-Pilot bot Piquet einiges.
Zum Beispiel?
Einmal war BMW-Motorenchef Paul Rosche während der Mittagspause bei Pirelli-Tests in Kyalami in seinem Auto eingeschlafen. Piquet hat dann das gesamte Auto zugeklebt und nur einen kleinen Fensterschlitz offen gelassen, durch den er einen brennenden Lumpen reinwarf. Rosche ist dann wegen des Rauchs aufgewacht und bekam natürlich Panik. Piquet hat übrigens auch oft einen Koffer voll mit Schwachsinn wie Gummischlangen oder Knallfröschen dabei gehabt.
Was hat er damit angestellt?
Bei einer BMW-Party hatte er eine Pistole mit blauer Tinte drin, die nach einigen Sekunden wieder wegging. Piquet schoss damit einer Frau aufs Kleid, die zuerst erschrak, bis die Tinte wieder wie von Zauberhand verschwand. Rennfahrerkollege Strietzel Stuck fand das total faszinierend und wollte unbedingt auch mal schiessen. Also gab ihm Piquet die Pistole, allerdings eine andere mit echter Tinte drin. Strietzel schoss daraufhin auf die Frau des Vorstandsvorsitzenden. Als danach die Tinte nicht mehr ausging, war der Boss jahrelang sauer. Wie verrückt Piquet war, hat sich auch 1983 in Südafrika gezeigt.
Was passierte da?
Er war soeben zum zweiten Mal Weltmeister geworden. Er feierte gemeinsam mit seiner damaligen Frau und mir in einem Bungalow den Titel, als ein Angestellter reinkam und ihm ein Gratulationstelegramm des brasilianischen Staatspräsidenten überreichte. Als er das las, sagte er nur: «Das ist der Letzte, der mir gratulieren muss. Ich pinkle jetzt da rauf.»
Und hat er es gemacht?
Nein, aber nur, weil seine Frau einschritt. Sie sagte: «Wenn du das jetzt machst, verlasse ich dich.»
Eine Geschichte von dir, die nach der Veröffentlichung ein Erdbeben auslöste, sollst du Piquet zu verdanken haben.
Es war eine der grössten Indiskretionen, die es in der Formel 1 je gab. GP Ungarn 1987. Piquet fuhr damals noch für Williams-Honda. Da sagte er mir: «Honda steigt aus der Formel 1 aus und ich wechsle zu Lotus.» Also schrieb ich das. Am Montagabend rief mich plötzlich Williams-Teamchef Frank Williams an und fragte mich erzürnt, wie ich einen solchen Schwachsinn schreiben könne.
Lass mich raten: Williams selbst wusste nichts davon?
Exakt, aber vier Wochen später in Monza gab Honda seinen Formel-1-Ausstieg bekannt. Frank Williams wusste bis zu seinem Tod 2021 nicht, woher ich meine Informationen hatte. Du merkst, über Piquet gibt es wirklich mehr als nur ein Müsterchen zu erzählen.
Er kennt die Formel 1 wie kein anderer Journalist: Blick-Reporter-Legende Roger Benoit. Seit 1967 schreibt er für Blick, ab 1970 vorwiegend über die Formel 1. Mittlerweile hat er von über 808 Rennen berichtet, verfasste rund 90 GP-Berichte aus Zürich und war bei rund 1000 Testtagen dabei.
In unserer Serie «Auf eine Zigarre mit Blick-Benoit» blickt der heute 75-Jährige auf über ein halbes Jahrhundert Formel-1-Erfahrung zurück. Frauen, Partys, Streiche – was der leidenschaftliche Zigarrenraucher in dieser Zeit erlebt hat, ist heute unvorstellbar. Hier erzählt er nun regelmässig seine besten Anekdoten. Und zwar so, wie man ihn kennt (und fürchtet): direkt, ehrlich, pointiert.
Er kennt die Formel 1 wie kein anderer Journalist: Blick-Reporter-Legende Roger Benoit. Seit 1967 schreibt er für Blick, ab 1970 vorwiegend über die Formel 1. Mittlerweile hat er von über 808 Rennen berichtet, verfasste rund 90 GP-Berichte aus Zürich und war bei rund 1000 Testtagen dabei.
In unserer Serie «Auf eine Zigarre mit Blick-Benoit» blickt der heute 75-Jährige auf über ein halbes Jahrhundert Formel-1-Erfahrung zurück. Frauen, Partys, Streiche – was der leidenschaftliche Zigarrenraucher in dieser Zeit erlebt hat, ist heute unvorstellbar. Hier erzählt er nun regelmässig seine besten Anekdoten. Und zwar so, wie man ihn kennt (und fürchtet): direkt, ehrlich, pointiert.
Wer ist der nächste Verrückte, über den wir sprechen sollten?
Gilles Villeneuve. Der war zwar ein ganz ruhiger Typ, aber im Auto war er ein richtig Verrückter, der ohne Rücksicht auf Verluste fuhr. Ich mochte ihn immer, im Gegensatz zu seinem Sohn Jacques. Die einzige Gemeinsamkeit der beiden war ihr Nachname. Leider wurde nur einer der beiden Weltmeister, der falsche.
Hast du über Gilles Villeneuve auch eine verrückte Anekdote?
Einmal war ich mit ihm in Imola zum Nachtessen verabredet, doch um 21 Uhr war er immer noch nicht da. Plötzlich ertönte ein Riesenkrach von draussen, und alle schauten aus den Fenstern raus. Dort landete mitten auf dem Autoparkplatz ein Helikopter, und Villeneuve leuchtete mit einer Stablampe auf den Boden, um sich Licht zu spenden. Heute käme man dafür in den Knast, aber damals war das halt noch normal.
An einem Namen kommen wir beim Thema verrückte Piloten wohl nicht vorbei: an James Hunt.
Er wurde berühmt mit dem Satz: «Ich hatte mehr als 5000 Frauen.» Das war wohl etwas übertrieben, aber damals schmissen sich die Grid Girls und Groupies wie warme Weggli an die Fahrer. Einmal musste ich für Hunt sogar Schmiere stehen.
Erzähl!
Es war auf einem Flug nach Südafrika. Hunt und ein Ferrari-Pilot vergnügten sich nacheinander mit einer Passagierin im Waschraum. Ich musste Schmiere stehen, weil beide Fahrer in Begleitung waren. Sie sagten mir deshalb: «Wenn ich fertig bin, klopfe ich von innen an die Tür. Wenn die Luft rein ist, klopfst du von aussen zurück.» So kam es dann auch. Der eine kam raus, und der andere ging rein. Heute würde eine solche Story ein Erdbeben auslösen.
Im Film «Rush» von 2013 spielte Hunt eine Hauptrolle. Es ging darin um seine Rivalität zu Niki Lauda.
Das hat mich am Film geärgert, denn die beiden waren zwar Rivalen, aber auch Kumpels, was in «Rush» nicht vorkommt. Hunt sagte mal: «Ich habe Lauda das Leben mit Frauen beigebracht und er mir das mit den Autos.» Apropos Lauda, da kommt mir grad noch eine lustige Anekdote aus Le Castellet in den Sinn.
Was war da los?
Während Testfahrten hiess es auf einmal: Unterbruch, Hunt sei neben der Strecke. Also fuhr Lauda raus und wollte schauen, was los war. Er entdeckte dann Hunts Auto auf der langen Gerade. Der hatte einfach dort bei den Leitplanken parkiert und schlief dann in seinem McLaren wohl seinen Rausch aus.
Zu wenig Schlaf hatte Hunt wohl auch 1976 in São Paulo.
Das stimmt. Am Donnerstag vor dem GP Brasilien spielten Bernie Ecclestone, McLaren-Teamchef Teddy Mayer, sein Fahrer Hunt und ich im Hilton Backgammon. Als der Kellner um 1 Uhr das Restaurant schliessen wollte, fragte ihn Bernie: «Was verdienst du im Monat?» Er antwortete: «50 Dollar.» Also gab ihm Bernie 100 Dollar und sagte: «Jetzt bleibst du hier, bis wir fertig sind, und servierst uns Getränke und Sandwiches.» Als wir um 4 Uhr morgens fertig gespielt hatten, war Hunt völlig perplex: «Shit, um 10 Uhr beginnt ja bereits das erste Training.» Doch Bernie beruhigte ihn: «Alles kein Problem, wir treffen uns um 8 Uhr vor dem Hotel.» Als wir um 8 Uhr dort waren, stand da eine Polizeieskorte mit fünf Motorrädern und zwei Autos. Die fuhren uns dann mit Blaulicht quer durch die Stadt. Hunt fuhr übrigens an jenem Samstag auf die Pole.
Kommen wir zum vierten Namen.
Jean Alesi, doch da muss ich ein bisschen aufpassen, denn wir waren mal gute Freunde.
Warum nicht mehr?
Ich schrieb mal in einem Nebensatz, dass der Vertrag seines Sohns Giuliano, gesegnet mit dem Talent mittleren Ausmasses, in der Ferrari-Academy nicht mehr verlängert werden würde. Das nahm mir Jean übel, und er kündigte mir leider die Freundschaft, obwohl die Meldung stimmte.
Warum gehört für dich Alesi zu den Top 5 der verrücktesten Fahrer?
Er war wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Ein herzensguter Mensch, der plötzlich ausflippen konnte. Als seine erste Frau ein Kind bekam, wollte er dieses nicht sehen und reichte die Scheidung ein, weil sie abgemacht hatten, dass sie während seiner Karriere keine Familie gründen wollte. Auch während seiner Zeit bei Sauber zeigte er beide Seiten. Mir fallen dazu zwei Geschichten ein.
Die erste?
Er wusste immer alles besser und motzte oft über das Auto. Als er sich mal wieder beklagt hatte und verlangte, dass man den Frontflügel verstellen müsse, taten die Mechaniker so, als ob sie seinem Wunsch nachkämen, und man schickte ihn wieder auf die Strecke. Als er dann zurückkam, sagte er: «Alles super, passt perfekt.» Dabei hatten die Fahrer nichts am Fahrzeug gemacht. Das ist überall die Todesstrafe für jeden Fahrer, weil er so brutal entlarvt wird.
Und die zweite Geschichte?
Sauber hatte damals finanzielle Probleme. Einmal konnte man ihn nicht ganz bezahlen und gab ihm deshalb statt Geld ein Gemälde eines berühmten Künstlers. Als Alesi dieses in einer Galerie verkaufen wollte, teilte man ihm mit, dass dies nicht echt, sondern nur eine Kopie sei. Da ist er richtig ausgeflippt und wollte mit mir eine Geschichte machen, um zu zeigen, was für Leute bei Sauber arbeiten würden. Ich sagte Nein, weil bei Sauber bestimmt niemand Alesi absichtlich ein falsches Kunstwerk angedreht hatte.
Fehlt noch ein Name auf der Liste.
Wenn wir über Verrückte reden, gehört auch Gerhard Berger dazu. In Ungarn erzählte ihm einmal Alesi: «Morgen fliege ich zu meiner Freundin nach Tokio.» Daraufhin nahm Berger seinen Pass, zerriss ihn und sagte: «Ich glaube nicht, dass du am Montag deine Freundin sehen wirst.»
Legendär soll auch seine Beziehung zu Ayrton Senna gewesen sein.
Die beiden waren ab 1990 bei McLaren Teamkollegen. Nach drei Rennen sagte mir Berger: «Wenn ich Senna schlagen will, muss ich mich dafür umbringen, das habe ich nicht im Sinn, also akzeptiere ich, dass er schneller ist.» Einige Fahrer sollten sich in der heutigen Zeit ein Beispiel an Berger nehmen. Das hielt Berger aber nicht davon ab, ihn zu veräppeln. Einmal klebte er in Sennas Pass unauffällig ein Pornobildchen. Am Zoll sah ihn der Beamte minutenlang an, und nur Senna wusste zuerst nicht warum, bis er lächelnd seinen Pass zurückbekam. Und dann gibt es natürlich noch die Geschichte mit dem Aktenkoffer.
Schiess los.
Senna hatte immer einen Aktenkoffer bei sich, gefüllt mit Geld und Unterlagen. Einmal erzählte er Berger voller Stolz, dass dieser unzerstörbar sei. Als die beiden im Helikopter unterwegs ins Monza-Fahrerlager waren, machte Berger plötzlich das Fenster auf und schmiss den Aktenkoffer raus.
Und war er unzerstörbar?
Nein, Senna war völlig weiss im Gesicht. Sie landeten dann und sammelten den verstreuten Inhalt wieder ein.
Ich habe im Archiv noch eine Geschichte gefunden, in der ein GP-Fahrer einem Kollegen stinkende Fische im Hotelzimmer versteckte. Klingt verdächtig nach Berger.
So war es. Senna kündigte damals eine heisse Liebesnacht an. Also versteckte Berger stinkende, tote Fische, unter anderem in einer Lampe. Senna flippte aus, als er mit der Frau das Zimmer betrat und es fürchterlich stank. Der Legende nach soll die Frau vorzeitig das Zimmer wieder verlassen haben …
Eine letzte Frage noch: Es gibt auch noch eine Geschichte, die du mal bei Servus-TV erzählt hast, in der plötzlich eine nackte Frau auf deinem Hotelbalkon stand. War einer dieser fünf verrücktesten Fahrer darin involviert?
Ja, ich sage dir aber nicht, welcher der fünf. Die Geschichte ging so: Plötzlich stand eine nackte Frau auf meinem Hotelbalkon. Sie war tollkühn vom Zimmer nebenan, in dem ein Fahrer wohnte, zu mir rübergeklettert. Und der Pilot rief mir aufgeregt rüber: «Roger, du musst sie übernehmen. Meine Frau steht vor der Tür.»
Und wie ging die Geschichte weiter?
Gar nicht. Sie zog sich an und verliess wortlos mein Zimmer.