Lieber Roger, ich möchte heute mit dir über den Journalisten Benoit reden.
Roger Benoit: Muss das sein?
Ja, denn der GP von Australien am Sonntag wird dein 800. sein, an dem du als Journalist vor Ort bist. 800. GP – was macht diese Zahl mit dir?
Die sagt aus, dass ich wohl ein Wahnsinniger sein muss. Zudem habe ich bemerkt, dass der Neid immer grösser wird und der Prophet im eigenen Land relativ wenig zählt.
Sind 800 GP für einen Journalisten Weltrekord?
Es gibt noch einen Italiener, der behauptet, mehr zu haben. Der macht aber nur Technik-Zeichnungen und reist am Sonntag direkt nach den Rennen jeweils gleich wieder ab. Ausserdem habe ich zusätzlich noch rund 90 Rennen von der Redaktion in Zürich aus journalistisch begleitet. Ich bin mir übrigens bewusst, dass ich das alles Blick zu verdanken habe. Hätte 1970 der damalige Sportchef Fridolin Luchsinger nicht entschieden, mich jungen Schnösel zum Formel-1-Reporter zu machen, wäre vielleicht alles anders gekommen. Übrigens wurde ich 2019 als einziger Reporter vom Weltverband FIA zum 1000. GP der Geschichte nach Shanghai eingeladen.
Er kennt die Formel 1 wie kein anderer Journalist: Blick-Reporter-Legende Roger Benoit. Seit 1967 schreibt er für Blick, ab 1970 vorwiegend über die Formel 1. Mittlerweile hat er von über 808 Rennen berichtet, verfasste rund 90 GP-Berichte aus Zürich und war bei rund 1000 Testtagen dabei.
In unserer Serie «Auf eine Zigarre mit Blick-Benoit» blickt der heute 75-Jährige auf über ein halbes Jahrhundert Formel-1-Erfahrung zurück. Frauen, Partys, Streiche – was der leidenschaftliche Zigarrenraucher in dieser Zeit erlebt hat, ist heute unvorstellbar. Hier erzählt er nun regelmässig seine besten Anekdoten. Und zwar so, wie man ihn kennt (und fürchtet): direkt, ehrlich, pointiert.
Er kennt die Formel 1 wie kein anderer Journalist: Blick-Reporter-Legende Roger Benoit. Seit 1967 schreibt er für Blick, ab 1970 vorwiegend über die Formel 1. Mittlerweile hat er von über 808 Rennen berichtet, verfasste rund 90 GP-Berichte aus Zürich und war bei rund 1000 Testtagen dabei.
In unserer Serie «Auf eine Zigarre mit Blick-Benoit» blickt der heute 75-Jährige auf über ein halbes Jahrhundert Formel-1-Erfahrung zurück. Frauen, Partys, Streiche – was der leidenschaftliche Zigarrenraucher in dieser Zeit erlebt hat, ist heute unvorstellbar. Hier erzählt er nun regelmässig seine besten Anekdoten. Und zwar so, wie man ihn kennt (und fürchtet): direkt, ehrlich, pointiert.
Du bist längst mehr als nur ein Journalist. Welchen Einfluss hast du in der Formel 1?
Ich wollte in meinem Leben nie Einfluss haben, und das sollte als Journalist auch nie das Ziel sein. Sagen wir es mal so: Ich laufe nicht als Nobody durchs Fahrerlager und gewisse Leute hören gelegentlich auf meine Stimme.
Du untertreibst, denn du bist definitiv nicht nur ein Journalist, sondern auch eine einflussreiche Person. Bei welchen Fahrern hattest du bei deren Formel-1-Einstieg deine Finger im Spiel?
Eigentlich nur bei einem: bei Marc Surer. 1979 wurde er in Donington Formel-2-Europameister. Nach dem Rennen kam Ensign-Teamchef Mo Nunn auf mich zu und sagte: «Frag doch mal deinen Landsmann, ob er morgen unser Auto testen will.» Also nahm ich abends bei der Party im Hotel Marc zur Seite: «Nunn hätte gerne, dass du morgen sein Auto testest. Also trink nicht zu viel.»
Aus Surer wurde dann tatsächlich ein Formel-1-Fahrer. Hast du dafür eine Vermittlungsprovision bekommen?
Marc versprach mir damals zehn Prozent seines ersten Formel-1-Lohns. Ich habe das dann Jahre später auch erhalten. Das waren rund 2000 Franken. Heute würde sich das definitiv mehr lohnen.
Du hast aber Surer nicht nur in die Formel 1 gebracht, sondern auch als Erster von seinem «Rücktritt» erfahren.
Das war 1985 in Monza. Ich war ja schon damals gut mit Bernie Ecclestone befreundet, der zu diesem Zeitpunkt noch Brabham-Teamchef war. In jenem Rennen wurde Surer nur 0,2 Sekunden hinter Ayrton Senna Vierter, obwohl Surer mit dem BMW-Turbomotor ihn locker hätte überholen müssen. Da kam Bernie entsetzt auf mich zu und sagte: «Surer ist soeben zurückgetreten. Nur weiss er es noch nicht.»
Apropos Brabham. In den 80er-Jahren hättest du den englischen Traditionsrennstall beinahe gekauft.
Ein schwarzes Kapitel in meinem Leben. Eine gewisse Teilschuld trug damals auch Nelson Piquet.
Das musst du jetzt erklären.
Winter 1988. Piquet war damals Gast im Sportpanorama. Weil wir gut befreundet sind, besuchte ich ihn vor seinem Auftritt noch im Hotel Dolder, hoch über Zürich gelegen. Als er zu seinem TV-Auftritt loswollte, merkte er, dass er noch das gelbe Camel-T-Shirt trug. Er sagte mir deshalb, ich solle kurz an der Rezeption warten, bis er seinen Kittel in seinem Zimmer geholt hätte.
Was passierte dann?
Ich kam an der Rezeption mit zwei Frauen ins Gespräch, die sich darüber beschwerten, dass ihr Taxi noch nicht erschienen war. Ich sagte ihnen, dass ich sie im Schneegewitter mit in die Stadt nehmen könne, da ich eh noch in die Redaktion müsse. Als Piquet dann auftauchte, meinte er nur: «Roger, so schnell komme ja nicht einmal ich mit Frauen in Kontakt.»
Eine folgenschwere Begegnung.
Ja, denn die Frau, in die ich mich dann verliebte und später heiratete, war eine Hochstaplerin. Sie behauptete, sie hätte Kakao-Plantagen in Brasilien und wollte mit mir Brabham kaufen. Als Bernie davon erfuhr, sagte er mir nur: «Wenn du das machst, bringe ich dich um.» Nach einem Jahr und vier Tagen liess ich mich scheiden. Ich sagte danach Ayrton Senna regelmässig, dass ich exakt einen Tag länger verheiratet war als er.
Was für Folgen hatte die Liaison mit der Hochstaplerin?
Manche Journalisten berichteten genüsslich darüber, doch das prallte an mir ab. Ich legte diese Episode unter dem Stichwort «Dumm gelaufen» oder «Lebenserfahrung» ab.
Wie viel hat dich die Scheidung gekostet?
Eigentlich nichts. Sie liess einfach sieben Kilo Gold und drei Tinguely-Bilder mitlaufen. So, jetzt aber Themenwechsel.
Teamchef bist du also nie geworden, aber hättest du Manager eines Formel-1-Fahrers werden können?
Ja, von Felipe Massa und Ralf Schumacher. Massa wollte mal, dass ich für ihn Sponsoren suche. Er bot mir 25 Prozent der Einnahmen an.
Das wären ja mehr gewesen als beim legendären Mister 20 Prozent Willi Weber.
Das stimmt, aber ich dachte mir: Schuster, bleib bei deinen Leisten.
Und wie war es bei Ralf Schumacher?
Der meinte zu mir: «Roger, ich bräuchte noch jemanden Vernünftigen.» Aber wie gesagt, ich wusste immer, was ich kann, aber auch, was ich nicht kann.
Einmal kam aber Schumacher noch mit einem speziellen Anliegen auf dich zu.
Es gab immer mal wieder Gerüchte, dass er schwul sei. Deshalb bestellte er in Ungarn einst mich und «Bild»-Mann Helmut Uhl zu sich in sein Motorhome. Dort erklärte er uns, dass morgen in beiden Zeitungen stehen soll: «Ralf Schumacher: Ich bin nicht schwul!»
Seid ihr darauf eingegangen?
Ja, wenn einer das will, dann mache ich das.
Wurdest du manchmal auch instrumentalisiert?
Nein, das hätte bei mir nicht funktioniert, aber ich habe mich auf das eine oder andere eingelassen. Als der 1998 verstorbene Baselbieter Peter Monteverdi 1990 den Onyx-Rennstall gekauft hatte, kam vor dem Rennen in Spa der Goodyear-Chef Lee Gaug auf mich zu und sagte mir: «Wenn der bis morgen nicht 275’000 Dollar bezahlt, bekommt er von uns keine Reifen.» Also ging ich zu Monteverdi und überbrachte ihm diese Nachricht. Er meinte nur: «Mach daraus eine Schlagzeile!» Deshalb erschien am nächsten Tag im Blick: «Monteverdi ohne Gummi.»
Wie ging die Geschichte aus?
Monteverdi rief jemanden in der Schweiz an, der dann über Nacht nach Spa fuhr und das Geld in bar brachte. Auch das ist heute undenkbar.
Wenn wir schon bei Monteverdi sind. Dass du nie Socken trägst, soll ihm ganz und gar nicht gefallen haben.
Er lud mich einst ins edle Restaurant im Schlosshotel Binningen zum Abendessen ein. Als ich dort ankam, legte er mir ein Pärchen weisse und ein Pärchen pinkfarbene Socken auf den Tisch und sagte: «Wenn du mit mir essen willst, musst du Socken anziehen.» Ich antwortete: «Dann gehe ich.» Ich konnte dann bleiben, ohne Socken versteht sich.
Zurück zu deinem Einfluss in der Formel 1. Hast du mal einen Fahrer zu Fall gebracht?
Direkt nicht, aber Sauber-Pilot Nicola Larini war der einzige Fall, bei dem ich geschrieben habe: «Jetzt muss er weg!»
Warum?
In Imola 1997 fuhr er aus Versehen in die Boxengasse, weil er einem anderen Fahrer, der abbog, hinterhergefahren war. Und zwei Wochen später in Monaco musste er in den Trainings gleich elfmal in den Notausgang. Deshalb diese Schlagzeile.
Und war Larini dann auch weg?
Ja, zwei Tage später war er seinen Job bei Sauber los.
Hing diese Schlagzeile damit zusammen, dass du dich auf dein Bauchgefühl immer verlassen konntest?
Ich hatte und habe immer ein Gespür und eine glasklare Meinung, das sind meine grossen Stärken, denn in einem Grossteil der Fälle lag ich richtig, auch wenn das natürlich oft nicht allen gefallen hat.
Was ist das Beste, was du nie geschrieben hast?
Sagen wir es so: Wer mit wem ein Verhältnis hatte, wäre ein eigenes, hochinteressantes Kapitel. Da kämen überraschende Dinge zum Vorschein. Doch hätte ich immer geschrieben, was ich alles weiss, hätte ich nicht 54 Jahre in diesem Haifischbecken namens Formel 1 überlebt.
Wie lange wird es den Formel-1-Journalisten Roger Benoit noch geben?
Eine anstrengende und schwierige Frage. Vielleicht mache ich es wie James Hunt. Der schaute eines Morgens aus dem Fenster und sagte: «Heute scheint die Sonne, ich höre auf.» Bei mir wird es sicherlich keinen Countdown geben, im Sinn von: Ende der Saison höre ich auf. Das wird ein spontaner Entscheid werden.
Du bist mittlerweile 75. Macht dich die Reiserei nicht müde?
Nein, auch wenn ich bestimmt schon 100-mal um die Welt geflogen bin. 37-mal Australien, 20-mal Südafrika, 10-mal China, 15-mal Japan und je rund 40-mal Amerika und Kanada – da kommt einiges zusammen. Mein einziges Problem ist bis heute das Schlafen, vor 4 Uhr nicke ich eigentlich nie ein.
Warum hast du nach über einem halben Jahrhundert Formel 1 noch immer nicht genug?
Weil mich die Menschen interessieren. Nach der letzten Saison fanden in Abu Dhabi noch Testfahrten mit jungen Fahrern statt. Einer davon war Andrea Antonelli von Mercedes. Alle sagen, das werde der neue Senna. Also stand ich in die Boxen rein und beobachtete ihn eine Stunde lang. Ich schaute, wie er redete, seine Gestik, seine Art, sein Umgang mit den Mechanikern. Danach stellte ich mich ihm kurz vor. Solche Begegnungen faszinieren mich und machen mir noch immer sehr viel Spass.
Und was kannst du deinen jungen Kollegen mit auf den Weg geben?
Haltet euch an die Fakten. Und versucht nie, einen Sportler oder ein Team zum Erfolg zu schreiben, ohne ein Ventil für einen eventuellen Misserfolg einzubauen.
Eine letzte Frage: Während deiner Formel-1-Zeit versuchte auch eine Handvoll Frauen ihr Glück in der Königsklasse. Hattest du mit einer davon mal ein Techtelmechtel?
Zum Glück kann ich mich nicht mehr an alles erinnern …
Und wie lautet die ehrliche Antwort?
Sagen wir es so: Ich hatte mal auf Barbados ein kurzes Abenteuer mit einer früheren GP-Fahrerin.