Frau Kaltenborn, haben wir in Monaco den Tiefpunkt in der Formel-Geschichte des Sauber-Teams erlebt?
Monisha Kaltenborn: Nein, das sehe ich nicht so dramatisch. Natürlich ist der Crash unserer Fahrer inakzeptabel. Das haben wir intern und extern klar angesprochen. Wir haben mit den Fahrern Einzelgespräche geführt und auch gemeinsam diskutiert.
Wer ist denn der Schuldige?
Das ist komplex. Und Schuldzuweisungen bringen nichts. Dass Teamanweisungen nicht befolgt werden, geht nicht. Ebenso wenig riskante Überholmanöver.
Beide Fahrer zahlen sehr viel Geld für ihr Cockpit. Eine Busse aussprechen kann man da ja schlecht, oder?
Ob man Paydriver hat oder nicht: Die Interessen des Teams stehen immer im Vordergrund und haben Vorrang. Das muss jeder Fahrer akzeptieren.
Die sportliche Misere mit null Punkten ist das eine, die fehlenden finanziellen Mittel sind das andere. Erleben wir den schleichenden Tod des Sauber-Rennstalls?
Das sehe ich nicht so, nein. Wir sind ein Motorsport-Unternehmen, das man zweiteilen muss: Die eine Seite ist die sportliche, da stehen wir nicht dort, wo wir sein sollten. Dieser Teil ist auch derjenige, wo wir in den Medien präsent sind. Da sind wir auch transparent und sprechen unsere Probleme an. Die andere Seite ist die kommerzielle. Da sind wir wie jedes andere normale mittel-ständische Schweizer KMU – und hier müssen auch für uns die gleichen Regeln gelten. Wir sind nicht verpflichtet, alles offen zu legen, vor allem nicht unsere internen Angelegenheiten.
Das heisst?
Hier haben wir uns in den letzten Jahren auch als Technologie-Standort gefestigt und unser Dritt-Kunden-Geschäft kontinuierlich ausgebaut. Deswegen verstehe ich nicht, warum man uns in der Öffentlichkeit so undifferenziert behandelt. Spekulationen in den Medien helfen uns da nicht weiter. Ganz im Gegenteil.
Trotzdem die Frage: Sind die Mai-Löhne bezahlt?
Wir werden auch diesmal, wie zuletzt immer, eine Lösung finden. Die Verzögerungen sind ärgerlich. Aber wir haben in dieser schwierigen Situation niemanden entlassen. Und die Löhne, auch wenn mit einer bedauerlichen Verzögerung, immer bezahlt.
Man hat kein Geld, um das Auto weiter zu entwickeln. War der Vorfall in Monaco auch eine Frustreaktion der Fahrer, die kein konkurrenzfähiges Auto haben?
Nein, dieser Unfall hat damit nichts zu tun. Aber natürlich ist die Situation für alle Beteiligten schwierig und unbefriedigend.
Force India reitet mit ähnlichem Budget auf einer Erfolgswelle. Was machen die besser?
Da müssen wir ganz selbstkritisch sein: Von der Entwicklung des Autos her haben sie einen besseren Job gemacht als wir. Und: Sie haben mit Mercedes einen Antriebsstrang, der halt immer noch dominant ist. Da sind wir nicht auf Augenhöhe. Unser Gesamtpaket muss im Laufe der Saison konkurrenzfähiger werden.
Gibt es da Hoffnung?
Ja.
Können Sie die angestrebten Verbesserungen konkreter erklären?
Bezüglich der Leistungsfähigkeit des Autos wird es eine Weiterentwicklung geben, die allerdings kein Quantensprung sein wird.
Holt Sauber diese Saison noch Punkte?
Davon bin ich überzeugt. Es wird schwierig, ist aber nicht unmöglich.
Man hat zwei Paydriver, ist kaum konkurrenzfähig und hat Liquiditätsprobleme. Stellt man sich da als Teamchefin denn nicht die Sinnfrage?
Nein. Ich weiss, warum wir in dieser Situation sind. Und da kommen wir auch wieder raus. Und wenn ich an der Rennstrecke und in Hinwil unser engagiertes Team sehe, weiss ich, dass unsere Mitarbeitenden auch in schwierigen Zeiten ihr Bestes geben. Dies gilt auch für unsere Partner, die uns ihre Unterstützung und ihr Vertrauen entgegenbringen.
Auch für Sie muss die Situation sehr belastend sein. Hausfrau und Mutter, Teamchefin eines Formel-1-Rennstalls und permanent auf der Suche nach Geld. Das braucht Nerven.
Es ist schwierig und belastend, ja. Aber ich lasse den Kopf nicht hängen. Klar ist, dass wir einen neuen starken Partner brauchen. Da führen wir Gespräche in viele Richtungen.
In welche?
Diese Gespräche sind vertraulich. Denn wenn man über Zusammenarbeit spricht, dann werden sie als verantwortungsvoller Unternehmer damit nicht an die Öffentlichkeit gehen, bevor nicht alles unter Dach und Fach ist. Alles andere ist verantwortungslos und wird zum Scheitern führen. Dies würde man bei Ihnen im Haus Ringier auch nicht anders machen.
Es heisst, es habe schon einige Angebote für eine Übernahme gegeben. Aber Peter Sauber und Monisha Kaltenborn wollen die Macht nicht abgeben und die Aktienmehrheit behalten.
Das sind Gerüchte, an denen nichts dran ist und zu denen wir grundsätzlich nicht Stellung nehmen.
Das Haas-Team hat erfolgreich Fuss gefasst. Als Kundenteam von Ferrari, das eng ans Mutterhaus gebunden ist. Warum macht das Sauber nicht so?
Nur ein B-Team eines grossen Werkteams zu sein ist für uns keine Option. Wir sind ein Rennstall aber auch ein Technologie-Unternehmen mit viel Fachwissen und einer tollen Infrastruktur. Die Formel 1 sollte keine DTM mit drei grossen Werkteams werden. Die Formel 1 lebt von der Vielfalt und der technologischen Herausforderung.
Sie kämpfen immer noch dafür, dass Sie von den TV- und Marketinggeldern ein grösseres Stück des Kuchens erhalten.
Ja, und dieser Kampf geht weiter. Schauen Sie mal im Fussball die Premier League in England an. Dort bekommt der Letzte der Meisterschaft nur unwesentlich weniger Geld als der Meister. Weil die Grossen ja schon mehr Sponsoring- und Werbeeinnahmen haben. In diesem System kann ein Klub wie Leicester den Titel holen. In der Formel 1 erhalten die grossen Teams ein Vielfaches gegenüber den kleinen. Die Geldverteilung und die Privilegien bei der Erstellung der Regeln sind eine Wettbewerbsverzerrung.
In der Saison 2017 gibt es wieder einige Änderungen. Ist Sauber schon an der Entwicklung des Autos für nächstes Jahr?
Ja. Die Autos werden breiter und bulliger. Es wird nochmals teurer. Weil die grossen Teams bestimmen, wohin die Reise geht.
Kann man sich auch vorstellen, dass Sauber einmal ein reines Motorsport-Dienstleistungs unternehmen wird, das sich vielleicht bei Langstreckenrennen oder in der Formel E engagiert?
Ich kann mir das nicht vorstellen, weil die Formel 1 unser Kerngeschäft ist.