Sie kennt sich aus ganz oben. Es war im Februar, da sprang Sarah Höfflin in Südkorea zuoberst aufs olympische Podest. Freeski-Gold für die Genferin, es war ein Überraschungs-Coup.
Im Sommer fährt die Frau mit einem Uni-Abschluss in Neurowissenschaften nicht bergab – da stapft sie und zieht sie sich die Berge hoch. «Wenn ich frei habe, gehe ich fast immer klettern», sagt sie. «Ich könnte jeden Tag gehen.» Mit Freund Will ist die 27-Jährige in den Alpen unterwegs. «Diesen Sommer war ich auf dem Mont Blanc», erzählt sie. «In Chamonix habe ich ein paar coole Routen gemacht. Ich bin noch nicht richtig gut, habe ich das Gefühl. Ich taste mich immer noch heran. Aber ich bin definitiv angefressen.»
Die Faszination: «Du kommst an Orte, die du sonst nie im Leben sehen würdest. Wenn du oben bist – ein phänomenales Gefühl! Wenn du es denn schaffst.»
Manchmal ist es nämlich nicht so einfach, die Route zu finden. «Kürzlich habe ich einen wichtigen Teil der Routenbeschreibung nicht sauber aus dem Französischen übersetzt», so die Tochter eines Schweizers und einer Neuseeländerin lachend. «Darum haben wir uns am Berg abgerackert, obwohl es eine Metallschiene gegeben hätte, die uns das Leben einfacher gemacht hätte. Ich durfte mir dann von meinem Freund einiges anhören.»
Aber normalerweise ist die Stimmung am Berg friedlich. «Da ist sonst nichts, du bist ganz bei dir und in der Natur. Bei manchen besonders entlegenen Routen frage ich mich, wer als erstes auf die verrückte Idee gekommen ist, hier entlang zu klettern.»
Verrückt, das ist für Höfflin auch immer noch der Gedanke, als Olympiasiegerin durchs Leben zu gehen. «Ich muss mich immer noch daran gewöhnen», sagt sie acht Monate nach dem Triumph. «Es bleibt weiterhin komisch. Nicht, dass es schlecht wäre, aber ich habe immer noch diese ‚Oh mein Gott’-Momente.»
Guter Parkplatz dank Olympia-Gold?
Dazu kommen die Aha-Erlebnisse. Das Leben ist ein bisschen einfacher geworden für Frau Olympiasiegerin. Parkieren zum Beispiel. «Beim Leichtathletik-Meeting Athletissima in Lausanne wusste ich nicht, wo ich mein Auto abstellen soll», erinnert sich Höfflin. Da habe sie einem Parkwächter erklärt, sie sei als Goldmedaillengewinnerin eingeladen.
«Da ging es plötzlich schnell und ich hatte meinen Parkplatz. An Top-Lage. Da wurde mir so richtig klar, dass ich jetzt einen anderen Status habe. Aber ich versuche das nicht auszunutzen.» Sie versuche, ihre privilegierte Position für Dinge einzusetzen, die ihr wichtig sind und die der Allgemeinheit dienten. «Manchmal nehme ich an bezahlten Werbekampagnen teil, da spende ich das Honorar oft an Umweltschutzorganisationen. Ich möchte nämlich, dass wir in 20 Jahren immer noch Schnee haben. Meine Kinder sollen dereinst auch noch Skifahren können.»
Am Boden bleibt die Genferin auch wegen ihres Jobs. Diesen Sommer besorgte sie sich einen, in der Marketingabteilung eines Finanzdienstleisters. «Ich hatte das Gefühl, dass ich das nach all den Jahren Konzentration aufs Skifahren mal wieder brauche. Ich musste wieder ein bisschen Boden unter den Füssen gewinnen. Ich wollte arbeiten, um mich wieder normal zu fühlen.»
Aussergewöhnliche Kletterform
Und da sind eben noch die Berge. Die Schweizerin hat eine ganz spezielle Kletterform für sich entdeckt: Eisklettern. «Das ist unglaublich. Da hast du diese beiden Pickel in den Händen und haust sie in die Wand», sagt sie und strahlt über das ganze Gesicht. «Das fühlt sich richtig cool an, ein bisschen wie ein Actionheld. Und wenn du runterkommst bist du voller Schnee und Eis, setzt dich in die Kneipe und bestellst dir erst Mal ein Bier. Das ist das beste Gefühl überhaupt.»
Weniger wohlig dürfte das Befinden diesen Winter sein. Als Olympiasiegerin ist Höfflin erstmals die Gejagte. «Ich werde jetzt nicht plötzlich alles gewinnen», sagt sie. «Aber ich mache mir keinen Druck. In Pyeonchang war ich schliesslich nicht unfassbar gut, viele Konkurrentinnen haben einfach Nerven gezeigt, weil es Olympia war.» Auch dank diesem Nervenkostüm wird Höfflin in den nächsten Monaten das eine oder andere Mal ganz oben stehen. Wahrscheinlich auf dem Podest – und ganz sicher auf dem einen oder anderen Berg.