Klartext von IIHF-Boss René Fasel
«Eine WM mit Geisterspielen wird es nicht geben»

Im September verlässt der Fribourger René Fasel (70) den internationalen Eishockeyverband nach 26 Jahren. Im Interview mit SonntagsBLICK spricht der scheidende Präsident über die bevorstehende WM in der Schweiz und seine Pläne mit der KHL.
Publiziert: 01.03.2020 um 12:39 Uhr
|
Aktualisiert: 10.03.2020 um 15:11 Uhr
1/5
Jubel zum gewonnenen Weltmeistertitel bei den Kanadiern: Rene Fasel (l.) übergibt Sidney Crosby den Pokal.
Foto: EQ Images
Dino Kessler

BLICK: René Fasel, Fribourg-Gottéron ist Ihre Mannschaft und hat es in die Playoffs geschafft. Konnten Sie die Entscheidung trotz Geisterspiel geniessen?
René Fasel: Über die Playoff-Quali bin ich natürlich sehr erfreut, zu Beginn der Saison hat es ja nicht danach ausgesehen, dann der Trainerwechsel und weitere Probleme. In unseren Büros gibt es verschiedene Fanlager, da sind am Montagmorgen jeweils heisse Diskussionen entbrannt und Fribourg gehörte eigentlich nicht zum Favoritenkreis für die Playoffteilnahme. Der BLICK hatte allerdings vor kurzem die richtige Prognose gestellt.

Ein Glückstreffer.
Das gehört dazu. Fribourg konnte sich in der entscheidenden Phase auf einen sehr starken Torhüter verlassen. Bern hat ja am Freitag alles versucht.

Und dann war Fribourg durch – und im Stadion war es still. Wie haben sie das wahrgenommen?
Sport ist ohne Zuschauer nicht möglich. Besonders unser Sport lebt ganz stark von den Emotionen und der Interaktion zwischen Fans und Athleten. Eine Torhüterparade, ein Check, eine heisse Szene – das spiegelt sich im Normalfall alles auf der Tribüne wieder. Ohne Zuschauer fehlt die Würze, es war wie bei einem Training.

Nicht mal die Schiedsrichter wurden ausgepfiffen …
(Lacht). In Bern ist das nochmal was anderes, in Bern kann man die Energie dieser imposanten Wand der Fans ja richtig spüren. Das Positive an der Sache ist höchstens, dass der Bundesrat mit seinem Entscheid gleiche Verhältnisse für alle geschaffen hat, hätten nur einzelne Teams vor leeren Tribünen spielen müssen, hätte das wohl den Wettbewerb verzerrt.

Was halten Sie grundsätzlich von diesem Eingriff der Politik in den Sport?
Das ist sehr schwierig einzuschätzen. Im ersten Moment habe ich mich gefragt, was das soll. Für den Bundesrat muss der Schutz der Bevölkerung aber die erste Priorität sein, also müssen Politiker auch unpopuläre Entscheidungen treffen, die nicht jeder verstehen will. Interessant wird sein, wie weit das noch gehen wird. In Chur wurden jetzt Versammlungen von mehr als 50 Personen verboten.

In unserer freien Kultur sind wir es nicht gewohnt, solche Einschränkungen einfach zu akzeptieren.
Normalerweise haben wir an der Urne das letzte Wort, nun wird uns plötzlich vorgeschrieben, was wir dürfen und was nicht. Das hinterlässt Spuren. Ich gehe zum Beispiel sehr gerne einkaufen. Sehe ich dann, wie Konservendosen gehamstert werden, hinterlässt das schon ein seltsames Gefühl.

Eine Überreaktion?
Man sollte ja grundsätzlich nicht in Panik verfallen. Während des Ungarischen Volksaufstands 1956 habe ich als kleiner Bub aber mitbekommen, wie meine Mutter immer genug Öl, Reis und Konserven vorrätig hatte. Darum ist es für mich irgendwie eigenartig, solche Hamsterkäufe zu erleben.

Die Weltmeisterschaft in der Schweiz wird am 8. Mai beginnen. Oder etwa nicht?
Wir stehen in engem Kontakt mit den Organisatoren und versuchen, die Situation zu analysieren. Wir warten zunächst ab bis am 15. März und schauen, wie sich diese Pandemie entwickelt. Danach können wir vielleicht schon mehr sagen. Die medizinische Kommission der IIHF tagt gerade in Budapest, da wird wohl entschieden werden, dass in einem ersten Schritt alle internationalen Turniere im März sowie sämtliche U18-Veranstaltungen abgesagt werden.

Gibt es für die WM in der Schweiz eine Deadline?
Grundsätzlich führen wir die Weltmeisterschaft durch. Für eine Absage muss ein politischer Entschluss aufgrund medizinischer Bedenken vorliegen, nicht zuletzt aufgrund von finanziellen und versicherungstechnischen Fragen.

Und wenn die Politik sagt: Weltmeisterschaft ja, aber ohne Zuschauer?
Eine Weltmeisterschaft mit Geisterspielen wird es nicht geben, das macht aus meiner Sicht überhaupt keinen Sinn.

«Die Versicherung für die WM kostet 250'000 Franken»

Können Sie sich in der aktuellen medizinischen Situation vorstellen, dass in 69 Tagen in Zürich und Lausanne gespielt werden kann?
Wie gesagt, wir beobachten die Entwicklung der Pandemie und die Entscheidungen der Politik. Falls gespielt wird, kommen die Vorschriften und Weisungen der Weltgesundheitsorganisation und der Seuchenbehörde zur Anwendung.

Ist eine Weltmeisterschaft gegen einen Totalausfall versichert? Wenn ja, wie hoch ist die Prämie?
Die IIHF versichert sich seit 2012 für eine Absage aufgrund höherer Gewalt. Die Prämie für eine Deckung von 22 Millionen beträgt 250000 Franken. Und wir empfehlen jedem Ausrichter, das auch zu tun. Die Schweizer Organisatoren haben diese Versicherung abgeschlossen, finanzielle Schäden sind also ausgeschlossen.

Gibt es ein Szenario für den Fall, dass eine einzelne Nation, zum Beispiel die USA, die Teilnahme verweigert, obwohl die Politik eine Durchführung erlaubt?
Da müssten wir über die Bücher, das wäre auf jeden Fall schwierig. Sollten zum Beispiel die Nordamerikaner absagen, wäre das ein schwerwiegender Eingriff ins System, allein aufgrund des Spielplans und der Ticketverkäufe. Das sind alles Szenarien, die wir im Hinterkopf haben.

Sollte die WM ausfallen, könnte man zynisch werden und behaupten, alle zwei Jahre Weltmeisterschaft reicht vollkommen.
Da würde ich sagen: Planen wir doch zwei Weltmeisterschaften pro Jahr, dann können wir vielleicht eine durchführen. Ernsthaft: Wimbledon wird in jedem Jahr gespielt, Roland Garros auch. Der Stanley Cup wird auch in jedem Jahr vergeben. Als Eishockeyliebhaber sage ich, die Weltmeisterschaft verändert sich jedes Jahr, das ist ein Eishockey-Fest, eine Party für die Fans. Ich schaue jeden Tag auf die NHL-Tabelle und spekuliere, welche von unseren NHL-Stars im Mai dabei sein können. Wir generieren mit der Weltmeisterschaft die Einnahmen (die IIHF hat kürzlich den Vertrag mit dem Vermarkter Infront um zehn Jahre verlängert und löst damit 500 Millionen Franken), die wir für die Durchführung aller anderen Turniere und damit für die Entwicklung des globalen Eishockeys benötigen.

Apropos NHL. Sind die NHL-Profis 2022 in China am Start?
Sagen wir es so: Die NHL sieht China als Markt der Zukunft, Geschäftsführer Gary Bettman ist sich bewusst, welche finanziellen Möglichkeiten in diesem Markt stecken. China ist für die NHL bestimmt attraktiver, als es Südkorea war.

Im September werden Sie die IIHF nach 26 Jahren verlassen. Werden Sie dann Präsident der KHL?
Ich liebe diese Gerüchte. Die KHL hat mit dem ehemaligen NHL-Profi Alexei Morosow eben einen neuen Präsidenten erhalten, und das ist gut so. Ich habe keine Ansprüche auf ein weiteres operatives Amt. In meinem Alter (René Fasel wurde am 6. Februar 70) muss ich nicht mehr jeden Tag ins Büro, aber ich wurde von der KHL angefragt und helfe gerne mit meiner Erfahrung und meinen Beziehungen aus.

René Fasel persönlich
René Fasel wurde am 6. Februar 1950 in Fribourg geboren. Er ist verheiratet und hat vier Kinder. Fasel studierte an den Universitäten in Bern und Fribourg Zahnmedizin und führte danach eine eigene Praxis. Nebenbei war er als Schiedsrichter aktiv und von 1982 bis 1985 Präsident der Schiedsrichter-Kommission des Schweizer Eishockeys, danach führte er den Schweizer Eishockeyverband als Präsident, 1994 wurde er zum Präsidenten der IIHF gewählt.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?