Sonntag, 18. Dezember 2016, Deutschland. Herrischried im Hotzenwald, Landkreis Waldshut, 20 Kilometer nördlich von Stein AG. Auf Spurensuche im grenzübergreifenden Fluglärmstreit? Die nachbarschaftlichen Beziehungen mit der Schweiz bestimmen hier nicht dröhnende Jets, sondern tieffliegende Pucks: Eishockey verwischt Grenzen. Die «White Stags» vom EHC Herrischried spielen seit 2009 in der Schweizer Regio League. Die nördliche Exklave des Schweizer Amateur-Eishockeys.
An diesem nebelverhangenen Sonntag tritt Herrischried gegen den EHC Rheinfelden an. Dritte Liga, Region Zentralschweiz. 521 Fans haben in der gemütlichen Eishalle den Durchblick, sehen einen 6:3-Sieg der Einheimischen. Mehr als 500 Zuschauern in der dritten Liga? Ein unglaublicher Wert. Ein Blick zurück über die Grenze: Binningen spielt am gleichen Abend vor 17 Zuschauern gegen Reinach, Herzogenbuchsee vor 20 Fans gegen Tabellenführer Wohlen Freiamt. «Wir hatten auch schon über 900 Zuschauer», sagt Herrischried-Präsident Heinz Gerspach (72) stolz.
Vor der Fahnenflucht ärgerten sich die Eishockey-Verrückten aus dem Südschwarzwald oft wegen kurzfristig abgesagten Spielen, zeitintensiven Reisen und fehlender Ordnung in der Regionalliga Baden Württemberg. Gerspach: «Das wollten wir Spielern und Fans nicht mehr zumuten, also fragen wir in der Schweiz an. Und wurden ganz unbürokratisch aufgenommen.»
Ein paar Investitionen in die Infrastruktur waren die Bedingung. «Die kosteten uns zwar 8500 Euro, aber das war es uns wert.»
Beim Personenverkehr im deutsch-helvetischen Amateur-Eishockey ist Freizügigkeit das oberste Prinzip. Tommy Gerber (25), Stürmer aus Wallbach AG spielte praktisch sein Leben lang für den EHC Rheinfelden. Nach einer längeren Pause aufgrund einer Schulterverletzung fädelte Herrischrieds Teambetreuer einen Transfer ein. Kurz nachgefragt, Zusage bekommen. Vor dem Spiel gegen seinen alten Klub sitzen Tommys Eltern Josef und Theres im Stadionrestaurant und verdrücken Wienerschnitzel.
Einmalige Atmosphäre
Auch Spielertrainer Adi Strahm oder Goalie Daniel Wendelin sind Schweizer, ein Ausländerkontingent belasten sie als Grenzgänger nicht. «Es macht einfach mehr Spass, vor so vielen Zuschauern zu spielen», sagt Wendelin. «Eine solche Atmosphäre gibt es in dieser Liga nur in Herrischried.»
Von der Eishockey-Euphorie im Hotzenwald profitiert aber auch der Rest der Liga. Kommen die White Stags mit ihren Anhängern, brummen Bier- und Wurstumsatz: Bis zu 100 Fans begleiten die Deutschen an die Auswärtsspiele in der Schweiz.
Lamm-Festessen als Saisonhighlight
Kulturelle Grenzen? Trash-Talk mit national gefärbter Härte? «Bekommen wir auf dem Eis kaum zu spüren», sagt Captain Klaus Bächle (29). Der Elektrotechniker ist ein Hotzen-Eigengewächs.
Eishockey in Deutschland. Dank Schweizer Nachbarschaftshilfe ein Erfolgsrezept – zumindest auf Amateurniveau. Der kulinarische Höhepunkt der White-Stags-Saison ist übrigens das traditionelle Lamm-Festessen im Februar am Samstag vor einem Heimspiel. Dabei werden wohl sportliche Ernährungsgrundsätze überschritten, aber danach keine Grenze (mehr).