Im Sommer flitzt er übers Wasser und setzt zu Luftsprüngen an. Kitesurfen heisst seine Leidenschaft. Oder salopp: «Das Golfen der Hippies», wie Jonas Hiller einst in einem Magazin las. In diesem Winter verlagerte er den Sport erstmals auf den Schnee, lässt sich mit dem Snowkite, einem steuerbaren Lenkdrachen, mit Hilfe der Windkraft durch die verschneite Bernina-Pass-Berglandschaft ziehen. Bis ihn einmal mehr das Klingeln seines Handys aus der Idylle reisst. «Kein Problem», sagt Hiller zu SonntagsBlick. «Es ist ohnehin bald windstill.»
Eigentlich könnte sich der 39-Jährige gänzlich den angenehmen Seiten des Lebens widmen, sich um seine Frau Karolina und die beiden Kinder Noelia (6) und Leano (3) kümmern. Alleine während seinen neun Saisons in der NHL hat der Appenzeller brutto 35 Millionen Franken verdient. Doch seit dem letzten Frühjahr ist Hiller als Präsident der Spielervereinigung Sihpu ein gefragter Mann. Er befasst sich mit den Reformplänen der Liga, tauscht sich mit Spielern, Funktionären und Journalisten aus und ist stets verfügbar. Für seinen Aufwand wird Hiller mit 10'000 Franken entschädigt. Jährlich.
Wieso tut er sich das an? «Ich will dem Eishockey und den Spielern etwas zurückgeben», sagt der Besitzer einer Kitesurf-Firma. «Schliesslich habe ich dem Sport viel zu verdanken. Auch finanziell. Nun kann ich mithelfen, das Hockey aus der Krise zu führen, ohne dabei jeden Tag eine Eishalle zu betreten. Wenn ich etwas bewegen kann, dann jetzt.»
Hiller und der ökologische Fussabdruck
Bewegt hat der Ex-NHL-Keeper schon während seiner Aktivkarriere einiges. Dabei galt Hiller nie als grosses Talent, musste sich alles hart erarbeiten. Aufgewachsen ist er in Urnäsch AR. Die Mutter spielte in der Basketball-Nati. Sein Vater war Basketball-Trainer. Hiller selbst entscheidet sich fürs Hockey. Doch als er auch im dritten Jahr in Davos nicht an Lars Weibel vorbeikommt, empfiehlt ihm die Mutter, sich beruflich neu zu orientieren. Doch Hiller lässt nicht locker, kämpft sich durch. Wie auch Jahre später, als er bei Anaheim an Gleichgewichtsstörungen leidet und den Puck nicht mehr sieht. Oder in Calgary, als er unter Trainer Bob Hartley – «er nannte mich einen faulen Sack» – den Spass verliert.
Aus Hillers Plänen, seine Karriere in Nordamerika zu beenden, wird nichts. Er kehrt 2016 in die Schweiz zurück, wechselt zu Biel. Auch dank ihm klopfen die Seeländer zweimal an die Finaltüre. Hiller träumt 2020 von einem Abgang als Champion. Von einer Meisterfeier vor Tausenden Fans. Doch dann muss die Saison wegen Corona abgebrochen werden. Sein letztes Spiel? Es findet in der leeren Ilfishalle statt. Hiller steht als Ersatz an der Bande. «Ich nehme die Dinge, wie sie kommen. Alles andere bringt nichts. Meine Karriere ist deswegen nicht weniger wert», beschwichtigt er.
Trotz Hillers Jahren in Übersee und den Millionen auf dem Bankkonto: Die Bodenhaftung hat der Mann, der an drei Olympischen Spielen und vier Weltmeisterschaften teilnahm, nie verloren. Das zeigt sich auch nach seiner Rückkehr in die Schweiz. Viereinhalb Stunden nimmt sich der zweifache Familienvater für ein Interview mit SonntagsBlick Zeit, posiert vor seinen Oldtimern. «Wenn ich will, könnte ich jeden Wochentag einen anderen Wagen fahren», gibt Hiller zu, ohne dabei angeberisch zu klingen.
Die Begeisterung für schöne Autos? Sie beginnt mit seinem ersten Wagen, einem Seat Leon, den er sich mit 22 Jahren kauft. Hiller interessiert sich für die Technik. Er baut Musiksysteme ein, lackiert die Autos neu, wechselt Felgen, Fahrwerk und sogar den Motor. Einen alten BMW besitzt der ehemalige Goalie doppelt. Einer dient als Ersatzteilspender. Doch mittlerweile hat sich Hillers Denkweise verändert. Er macht sich Gedanken über seinen ökologischen Fussabdruck. Und fragt sich: «Macht es Sinn, Auto zu fahren, die fossilen Brennstoffe verbrennen? Und was für eine Erde überlassen wir unseren Nachkommen?»
Erste Skiferien seit 25 Jahren
Hiller hat keine Mühe, sich mit unbequemen Fragen auseinanderzusetzen, kann auch Fehler eingestehen. So wie während den Playoffs 2018, als er im Viertelfinal vom damaligen HCD-Junior Ken Jäger touchiert wird und sich theatralisch fallen lässt. «Manchmal tut man im Leben dumme Dinge, die man später bereut. Ich kann mir das Video gar nicht anschauen. Ich schäme mich dafür», entschuldigt er sich auf den sozialen Medien.
Auch als Präsident der Spielervereinigung steht Hiller hin, spricht sich von Beginn weg gegen eine Erhöhung der Ausländerzahl aus. Und sagt: «Es wird an so vielen Schrauben gedreht, dass man dereinst, sollten die Löhne sinken, nicht weiss, ob es nun an der Anzahl Ausländer, dem Financial Fairplay oder an den Subventionen und damit geknüpften Bedingungen liegt.»
Hillers Einsatz und die Protestaktion der NL-Stars haben sich gelohnt. Die Reformpläne wurden auf Eis gelegt. Weitere Entscheide sollen erst im Sommer gefällt und die Spieler miteinbezogen werden. Zu diesem Zweck wurde eine Arbeitsgruppe gegründet. Hiller: «Ein grosser Schritt. Darauf hofften wir lange vergeblich. Nun muss auch etwas dabei herausschauen und die Arbeitsgruppe einen Mehrwert bilden.»
Privat hat Hiller alles erreicht. Er lebt mit seiner Familie in Hinterkappelen BE in einem Smarthome, kann via Tablet den Staubsauger in Bewegung setzen, die Musikanlage einschalten, Licht, Heizung und die Storen von unterwegs steuern. Er geniesst es, unabhängig zu sein, erstmals seit 25 Jahren Skiferien mit der Familie verbringen zu können. Trotzdem setzt er sich fürs Hockey ein, sorgt sich um die Zukunft.
Könnte es ihn dereinst sogar zu einem Klub ziehen? Hiller sagt: «Es gibt verschiedene Ideen. Könnte ich CEO sein? Ich weiss es nicht. Es wäre schade, wenn ich das, was ich auf dem Eis gelernt habe, nicht weitergeben könnte.» Festlegen will sich der Appenzeller nicht. Priorität hat die Arbeit als Präsident der Spielervereinigung. Er hofft: «Dass wir alle gemeinsam den Sport voranbringen und dass die Ausländer-Diskussion noch einmal geführt wird.»