Wer sich ein Bild von Philip Wüthrich machen möchte, braucht in den sozialen Medien gar nicht erst zu suchen. Der Berner nutzt weder Facebook noch Twitter, verfügt einzig über einen Instagram-Account, hat dort aber bloss einen Beitrag geteilt. «Ich gehöre der letzten Generation an, die nicht schon während ihrer Schulzeit oder sogar im Kindergarten damit in Berührung kamen», sagt Wüthrich und klingt, als spräche er über eine längst vergangene Zeit. Dabei ist der Mann 22. Es entspricht wohl schlicht nicht seinem Naturell, alles mit der Welt zu teilen.
Dass Wüthrich kein Lautsprecher ist, zeigte sich bereits in der Swiss League bei Langenthal. Als sich Stammgoalie Marco Mathis vor zwei Jahren verletzte, stieg Wüthrich zur Nummer 1 auf. Der Ersatz, der in der Vorbereitung in drei Partien 17 (!) Tore kassierte und dem kaum jemand etwas zutraute, hexte den SCL bis zum Meistertitel und erreichte gegen La Chaux-de-Fonds die beste je erfasste Fang-quote in einem Playoff-Final (97,9 Prozent). Unmittelbar nach dem Triumph analysierte er das Geschehen, als hätte er ein bedeutungsloses Quali-Spiel gewonnen.
SCB dachte an Punnenovs
«Nie zuvor habe ich einen Torhüter erlebt, der in so jungen Jahren eine solche Ruhe ausstrahlte. Dass er im Mittelpunkt stand, war ihm völlig egal», zeigt sich Ex-Teamkollege Yves Müller (31) noch heute beeindruckt. «Ohne ihn wären wir schon im Viertelfinal gegen Kloten ausgeschieden.»
Er sei es sich halt von den Juniorenzeiten her gewohnt gewesen, viel zu spielen, sagt Wüthrich. «Zudem spürte ich nie grossen Druck, weil es von Beginn an lief und wir ziemlich erfolgreich waren.» Das ist nun beim kriselnden SCB anders. Trotzdem sagt das Goalie-Talent: «Ich befinde mich in der gleichen Situation wie in Langenthal.»
Wieder ist Wüthrich, der in den ersten zwölf Partien bloss zu vier Einsätzen kommt, beim Saisonstart die Nummer 2. Wieder sind Zweifel vorhanden. Hinter den Kulissen fällt früh der Name von Ivars Punnenovs, der mittlerweile in Langnau bis 2022 verlängert hat. Doch als sich Tomi Karhunen verletzt, ist Wüthrich erneut zur Stelle. Anders als im letzten Jahr liegt es heuer nicht an den Torhütern, dass Bern nicht vom Fleck kommt.
Quarantäne, ein Schock
Man habe mit Wüthrich extra noch über die Berner Goalie-Tradition und den damit verbundenen Druck gesprochen, erzählt Teamkollege Ramon Untersander. «Doch ich weiss nicht, ob er es überhaupt realisierte. Es scheint ihn nicht zu beeindrucken. Er zieht sein Ding durch, ist eiskalt.»
Wüthrich gilt als selbstkritisch, traut sich aber auch, seine Meinung kundzutun. Er war es, der nach dem Triumph mit Langenthal ein weiteres Jahr im Oberaargau bleiben und seine Leistungen bestätigen wollte.
Torhüter hätten oft einen Flick ab, heisst es. Doch Langenthal-Back Müller betont: «Er ist einer der normalsten Goalies, die ich getroffen habe. Ein smarter Junge, auch von seinen Ansichten her.» Wüthrich sei auch kein Langweiler. «Er wirkt vielleicht kalt, aber man kann mit ihm im Ausgang eine super Zeit haben. Er war im Team enorm beliebt.»
Dass der 22-Jährige, der eine KV-Ausbildung abschloss, heute im SCB-Tor steht, hat er seinem Cousin zu verdanken. Dieser brachte ihn mit sechs Jahren zum Sport, erzählte ihm von der Hockeyschule. Wüthrich begann als Feldspieler. Bis ein Torhüter krankheitshalber ausfiel. «Schon als kleiner Junge war ich ein ruhiger Typ. Diese Ruhe konnte ich nun zu meinem Vorteil nutzen.»
Im letzten Winter widerstand der Ex-SCB-Junior den Lockrufen aus Biel, entschied sich für eine Rückkehr nach Bern. «Weil ich von Beginn weg in Bern spielte und das Team kenne», sagt er. «Bei den Bambini schaute ich zur ersten Mannschaft hoch, wollte immer dort sein.»
Nun hat es der 22-Jährige geschafft. Und begeistert. «Das Beste am SCB ist für mich Philip Wüthrich, ich bin sogar ein bisschen verliebt in diesen coolen und ruhigen Goalie! Bitte bleib im Tor», fordert ein SCB-Fan auf Facebook.
Heute (19.45 Uhr) greifen Wüthrich und seine Teamkollegen gegen Lausanne wieder in den Meisterschaftsbetrieb ein. Nach zehn Tagen in Quarantäne und einer Niederlage gegen die Tigers. «Solche Meldungen sind jedes Mal ein kleiner Schock. Das Schwierigste ist, dass man sich während der Quarantäne nicht gehen lässt, mental und körperlich fit bleibt.»
Während der ersten Quarantäne gelang ihm das. Im ersten Spiel danach führte er Bern in Zug zum Sieg. Spielt Wüthrich so weiter, kann der SCB, der sein Budget nächste Saison um eine Million Franken kürzen muss, auf einen ausländischen Goalie verzichten.