Er ist ein Spätzünder. Wenn Riley Sheen (29) zurückdenkt, wie sein Leben vor sieben Jahren ausgesehen hat, muss er ungläubig den Kopf schütteln. Wie jeder, der seine Geschichte hört. Damals sitzt er an einer Kasse in der Edmonton Mall, dem grössten Einkaufszentrum der kanadischen Metropole. Hockey? Spielt er zwar ein bisschen, aber vor allem zum Plausch und fürs Bier danach in der Garderobe.
Heute kann er beim Mittagessen im topmodernen Leistungszentrum OYM in Cham ZG ehrlich und reflektiert erzählen, warum er als Teenager von jenem Weg abgekommen ist, den junge Spieler mit dem Profi-Traum normalerweise einschlagen. «Ich habe Hockey nicht genossen, ich habe es nicht geschätzt. Ich habe es für selbstverständlich angesehen, dieses Talent zu haben. Mir war zwar bewusst, dass ich ein guter Spieler bin, aber es war mir egal.»
Nach vier Saisons in der Junioren-Liga WHL kehrt der Stürmer dem Hockey 2015 praktisch den Rücken. Er trainiert nicht mehr, spielt in unbekannten Ligen (ACAC, Chinook HL) nur zum Spass. Sheen sucht sich Gelegenheitsjobs. Mal hilft er mit seinem älteren Bruder Cole auf Baustellen aus oder sitzt an dieser Kasse im Einkaufszentrum. «Da kamen regelmässig Ex-Teamkollegen von mir vorbei und ich musste bei ihnen einkassieren. Sie konnten kaum fassen, dass ich da gelandet bin, und fragten mich, was ich da eigentlich mache.» Irgendwann sei ihm das peinlich gewesen. «Es war ein Weckruf.»
Stundenlang auf Pucks gedroschen
Familie und Freunde haben den Kanadier immer wieder zu überzeugen versucht, sein Talent nicht so zu verschwenden. Sheen kommt zum Punkt, an dem er seinen Entschluss bereut und ihnen recht gibt. «Ich rief befreundete Spieler an, jammerte etwas herum. Sie hatten mit meinem Anruf gerechnet.» In zwei Saisons an der University of Calgary kniet sich Sheen wieder ins Hockey. «Ich wusste, dass ich einiges aufzuholen hatte.» Stundenlang drischt er nach Trainings noch auf Pucks.
Als 24-Jähriger fällt er einen Entscheid: Jetzt – oder nie mehr. «Das Wichtigste dafür war, dass ich meine Einstellung komplett geändert habe. Ich wollte es nicht mehr schleifen lassen, sondern war bereit, körperlich und mental das zu investieren, was es für eine Profi-Karriere braucht.» Im Bewusstsein, dass es seine letzte Chance ist, sucht er sich einen Agenten. Sein einziger Ratgeber dabei: Sein Cousin Matt Fraser (33), der seit 2020 bei Klagenfurt spielt. Der Ex-NHL-Stürmer (Edmonton, Boston, Dallas) vermittelt ihm einen Agenten – so nimmt Sheens verrückter Werdegang seinen Lauf.
Seine erste Station als Profi: Peking. Sein Agent ist auch jener von Gary Graham (44, USA), der 2019/20 der Headcoach von ORG Beijing ist. Einem Farmteam des chinesischen KHL-Klubs Kunlun Red Star, das in der zweithöchsten russischen Liga VHL aufläuft. Die Offerte ist lukrativ. Das Team wird von einem reichen Industriellen finanziert, um Eishockey in China im Hinblick auf die heimischen Olympischen Spiele zu fördern.
Ein Kulturschock in China
Sheen nimmt das Angebot an und bricht zum grössten Abenteuer auf. «Es war ein Kulturschock. Nach einer Woche rief ich verzweifelt meine Eltern an und wollte nur noch nach Hause.» Doch sie überzeugen ihn, durchzuhalten. Rückblickend sagt er, dass ihn jene Saison so etwas von perfekt aufs Profitum vorbereitet habe. Mit den langen Flugreisen kann er umgehen, mit dem Leben im Hotel ebenso. Er macht unvergessliche Erfahrungen in Peking, besucht mit Vater und Bruder die Chinesische Mauer. Und spielt gutes Hockey mit 50 Skorerpunkten (27 Tore) in 53 Partien.
Das öffnet ihm die nächsten Türen. Sheen landet bei den Bietigheim Steelers in der DEL2 und steigt mit ihnen 2021 in die DEL auf. «Da hatte ich mein Ziel, es in eine höchste Liga zu schaffen, erreicht.» Es macht ihn stolz – und zugleich traurig. Sein Grossvater Rudy (93†) stirbt, «er war immer mein grösster Fan, hat früher kaum ein Spiel von mir verpasst». In dessen Gedenken gibt Sheen richtig Gas, schiesst für den Aufsteiger 40 Tore.
Wer in der DEL 40 Treffer und 24 Assists verbucht in 55 Quali-Spielen, taucht auf einem grösseren Radar auf. Auch auf jenem von Zugs Meistertrainer Dan Tangnes (44, No). Denn 2022 wechselt Sheen nach Schweden zum Rögle BK, jenem Klub, bei dem Tangnes einst seine Trainer-Karriere lanciert hat und dessen Spiele er regelmässig verfolgt. In seiner ersten Saison werfen den Kanadier Verletzungen aus der Bahn, und in dieser Meisterschaft stolpert Rögle von einer Krise in die nächste, was Mitte Dezember 2023 in der Entlassung von Trainer Cam Abbott (40, Ka) gipfelt.
Eine Woche später unterschreibt Sheen beim EVZ. Tangnes ist von seinem Potenzial überzeugt und möchte ihm helfen, es zu entfalten. Rögle legt dem Stürmer keine Steine in den Weg und lässt ihn ziehen. Nun läuft er beim Erfolgsklub Zug auf, ersetzt den verletzten Brian O’Neill (35, USA). Hier möchte Sheen das nächste Kapitel seines Hockey-Märchens schreiben.
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
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1 | Lausanne HC | 20 | 12 | 40 | |
2 | ZSC Lions | 18 | 20 | 39 | |
3 | HC Davos | 19 | 21 | 38 | |
4 | SC Bern | 20 | 15 | 33 | |
5 | EHC Biel | 19 | 4 | 32 | |
6 | EV Zug | 19 | 11 | 29 | |
7 | EHC Kloten | 19 | -2 | 28 | |
8 | SC Rapperswil-Jona Lakers | 19 | -8 | 26 | |
9 | HC Ambri-Piotta | 18 | -10 | 24 | |
10 | HC Lugano | 17 | -13 | 22 | |
11 | HC Fribourg-Gottéron | 19 | -11 | 22 | |
12 | Genève-Servette HC | 16 | -2 | 21 | |
13 | SCL Tigers | 17 | -3 | 21 | |
14 | HC Ajoie | 18 | -34 | 12 |