Inmitten der Corona-Krise sorgt der SC Bern bis weit über die Landesgrenzen hinaus für Schlagzeilen. Als erster Hockey-Boss überhaupt legt CEO Marc Lüthi das Schicksal seiner Sportabteilung in die Hände einer Frau. Die einst weltbeste Torhüterin Florence Schelling (31) wird Sportchefin. Ein bahnbrechender, mutiger, aber auch riskanter Entscheid. Entsprechend die Reaktionen.
«Nur einer hat mir geschrieben: ‹Eine Frau als SCB-Sportchef? Das geht gar nicht›», sagt Lüthi. Viele hätten gratuliert. Doch in der Anonymität des Internets gibt es auch kritische Töne. «Welches Kraut hat Lüthi hier wohl geraucht?», fragt beispielsweise Hitcher im SCB-Pinboard. Nutzer Jalonen findet «so lächerlich». Überrascht hat der Entscheid aber alle. Auch die Mannschaft.
Einige rufen sogleich bei ihren Teamkollegen an. «Sie ist die erste Sportchefin der Welt. Ist das speziell? Natürlich. Ich würde lügen, würde ich etwas anderes behaupten», sagt Stürmer Thomas Rüfenacht.
«Ich machte grosse Augen»
Tristan Scherwey machte es sich nach dem Frühstück am Mittwochmorgen vor dem Fernseher gemütlich. «Ich döste ein. Als ich um 11.25 Uhr erwachte und mein Handy entsperrte, sah ich die Mitteilung des SCB, die wir jeweils vor den Medien per Mail erhalten. Ich rief sogleich die BLICK-Homepage auf und sah, dass die Meldung schon online war. Wenn du nach einem Nickerchen eine solche Nachricht liest, machst du schon grosse Augen.»
Viele hätten ihn auf Schelling angesprochen, wollten wissen, was er vom Entscheid halte. «Ich sagte allen dasselbe: Ich machte grosse Augen, bin aber überzeugt, dass wir alle hinter ihr stehen werden. Wenn Lüthi – äxgüsi, Marc – sagt, er habe eine junge, dynamische und unverbrauchte Person gesucht, trifft das auf Florence bestimmt zu. Ich kenne sie zwar nicht, habe aber nur Gutes gehört.»
Berns Publikumsliebling spürt auch stolz. «Ich finde es cool, gehöre ich einem Klub an, der für eine solche Premiere sorgt. Ein Grund mehr, nächste Saison voll anzugreifen.» Doch Scherwey wäre nicht Scherwey, würde er nicht auch an Vorgänger Alex Chatelain denken. «Für Alex tut es mir extrem leid.»
Auch Ramon Untersander reagierte verblüfft. «Ich glaube, mit Florence hat niemand gerechnet. Ein mutiger Schritt», findet der Verteidiger und macht auf den Umbruch des Klubs aufmerksam. «Es ist auch gut, kommt ein neues Gesicht. Ob das eine Frau oder ein Mann ist, sollte in der heutigen Zeit keine Rolle spielen. Abgesehen davon bin ich keiner, der voreilige Schlüsse zieht oder jemanden vorverurteilt. Jeder hat eine Chance verdient. Überhaupt: Wieso sollte Florence das nicht können?»
Eine Vorgesetzte hatte auch der 29-Jährige bisher nicht, wurde aber während seiner Zeit in Biel von einer Masseurin behandelt. «Natürlich ist es ungewohnt. Doch alles Neue ist ungewohnt. Wenn sich die Türe für Frauen nun öffnet, wird es irgendwann normal sein.» Untersander gibt zu: «Ich habe mir gar nie überlegt, ob eine Frau passen könnte. Weil ich nie gedacht hätte, dass eine Frau Sportchef wird. Es wird sich zeigen, ob es funktioniert.»
Der WM-Silberheld kennt Schelling kaum. «Wir sind uns bei Olympia kurz begegnet. Und ich habe sie bei den Hockey-Awards gesehen. Mein Schwager erzählte mir, er habe einst als Novize in Davos gegen sie gespielt.»
Der Job ist für Schelling Neuland
Schelling wird in Bern eine dicke Haut brauchen. Alex Chatelain war trotz drei Meistertiteln in vier Jahren immer wieder billiger Kritik ausgesetzt. Zuvor wurden auch Sven Leuenbergers Zuzüge oft als «Lottertransfers» abgetan. «Florence wird die Kritik handeln können», mutmasst Untersander. «Marc Lüthi und Rolf Bachmann werden sie einführen und sie unterstützen.»
Für die 31-Jährige ist der Job Neuland. «Die Hockey-Szene ist eine Familie. Kontakte sind schnell geknüpft», sagt Lüthi. Rüfenacht erwähnt Schellings Masterabschluss in Betriebswirtschaft. «Es geht auch um Budgettreue. Man muss diesen Laden führen und mit Leuten umgehen können. Natürlich wird sie Spieler nach Bern locken müssen. Ob ihr das gelingt, hängt aber auch von unseren Leistungen ab.»
Rüfenacht vermutet: «Es ist wohl in jedem Business nicht leicht für Frauen in Führungspositionen. Man muss sich erst Respekt verschaffen. Ich wünsche Florence nur das Beste. Auch ihr wird nichts geschenkt. Sie wird Barrieren durchbrechen müssen. Eine Herausforderung. Doch ehrgeizige Leute mögen Herausforderungen.» Rüfenacht zieht Vergleiche zum Spiel. «Es ist, wie wenn du von der vierten in die erste Linie befördert wirst. Du musst bereit sein, wenn du die Chance erhältst.»
Der 35-Jährige selbst hat unlängst seinen Vertrag um zwei Jahre verlängert. Er bezweifelt, dass er viel Kontakt mit Schelling haben wird. Denn: «Ich hatte auch mit Alex nicht viel Kontakt. Ich suche das nicht, rufe auch nicht meinen Agenten an, wenn es schlecht läuft.» Für Rüfenacht ist klar: «Viele Männer werden nun neidisch sein. Denn viele wollen so einen Job. Es ist ein geiler Job.»
Schelling übernimmt ihn am Dienstag, arbeitet nach ihrem Skiunfall im letzten Jahr, bei dem sie sich den sechsten Halswirbel brach, vorerst 50 Prozent. Das Team hat noch Ferien.
Kommentar von Eishockey-Reporterin Nicole Vandenbrouck
Eine Frau bekommt eine Chance, wenn man(n) sie ihr gibt. Klingt despektierlich – ist in einer Männerdomäne wie dem Eishockey aber so. Respekt, dass Florence Schelling den Mut hat, den Job der SCB-Sportchefin anzutreten.
Nach über 25 Jahren im Business – in keiner vergleichbaren Rolle zwar – habe ich als Hockey-Reporterin trotzdem eine Vorstellung davon, womit sie konfrontiert wird: Skepsis, Voreingenommenheit, Misstrauen, Kritik, Klischeedenken. Obwohl sie eine Ex-Spielerin ist.
Unsachliche Kritik war für mich persönlich das Schlimmste in meinen Anfängen. Unterläuft einem Mann ein Fehler, ist es ein Fehler. Bei einer Frau aber alles andere: Unwissenheit, Dummheit, Unfähigkeit – einer Frau. Für mich eine feige Argumentation. Und deshalb so frustrierend, weil ich – hey, Überraschung! – nicht ändern kann, dass ich eine Frau bin.
Mit sachlicher Kritik an ihrer Leistung hingegen kann, wird und muss eine Frau gut umgehen. Wir können daraus lernen, uns verbessern, reinbeissen, weiterentwickeln. Damit wir in dieser Männerdomäne nicht nur geduldet und akzeptiert werden – sondern respektiert.
Darum wünsche ich Florence, dass man(n) ihr mit Unvoreingenommenheit begegnet. Die Spieler, die Agenten, ihre Berufskollegen. So hat jede Frau in einer Männerdomäne eine Chance, sich zu beweisen.
Eine Frau im (auch für uns faszinierenden) Hockey-Business zu sein, ist kein Nachteil, kein Vorteil, keine Ausrede oder Entschuldigung. Aber es kann eine Stärke sein. Weil wir nebst dem sportlichen einen weiteren Blickwinkel haben.
Wie sagte mir diese Saison ein Sportchef: Dieser Blick hinter den Sportler auf den Menschen ist heutzutage genauso wichtig wie jener auf dessen Können.
Kommentar von Eishockey-Reporterin Nicole Vandenbrouck
Eine Frau bekommt eine Chance, wenn man(n) sie ihr gibt. Klingt despektierlich – ist in einer Männerdomäne wie dem Eishockey aber so. Respekt, dass Florence Schelling den Mut hat, den Job der SCB-Sportchefin anzutreten.
Nach über 25 Jahren im Business – in keiner vergleichbaren Rolle zwar – habe ich als Hockey-Reporterin trotzdem eine Vorstellung davon, womit sie konfrontiert wird: Skepsis, Voreingenommenheit, Misstrauen, Kritik, Klischeedenken. Obwohl sie eine Ex-Spielerin ist.
Unsachliche Kritik war für mich persönlich das Schlimmste in meinen Anfängen. Unterläuft einem Mann ein Fehler, ist es ein Fehler. Bei einer Frau aber alles andere: Unwissenheit, Dummheit, Unfähigkeit – einer Frau. Für mich eine feige Argumentation. Und deshalb so frustrierend, weil ich – hey, Überraschung! – nicht ändern kann, dass ich eine Frau bin.
Mit sachlicher Kritik an ihrer Leistung hingegen kann, wird und muss eine Frau gut umgehen. Wir können daraus lernen, uns verbessern, reinbeissen, weiterentwickeln. Damit wir in dieser Männerdomäne nicht nur geduldet und akzeptiert werden – sondern respektiert.
Darum wünsche ich Florence, dass man(n) ihr mit Unvoreingenommenheit begegnet. Die Spieler, die Agenten, ihre Berufskollegen. So hat jede Frau in einer Männerdomäne eine Chance, sich zu beweisen.
Eine Frau im (auch für uns faszinierenden) Hockey-Business zu sein, ist kein Nachteil, kein Vorteil, keine Ausrede oder Entschuldigung. Aber es kann eine Stärke sein. Weil wir nebst dem sportlichen einen weiteren Blickwinkel haben.
Wie sagte mir diese Saison ein Sportchef: Dieser Blick hinter den Sportler auf den Menschen ist heutzutage genauso wichtig wie jener auf dessen Können.
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
---|---|---|---|---|---|
1 | ZSC Lions | 19 | 19 | 40 | |
2 | HC Davos | 21 | 21 | 40 | |
3 | Lausanne HC | 21 | 8 | 40 | |
4 | SC Bern | 22 | 15 | 36 | |
5 | EHC Kloten | 21 | 2 | 33 | |
6 | EV Zug | 21 | 14 | 33 | |
7 | EHC Biel | 21 | 0 | 32 | |
8 | SC Rapperswil-Jona Lakers | 21 | -4 | 31 | |
9 | HC Fribourg-Gottéron | 21 | -9 | 27 | |
10 | SCL Tigers | 19 | -3 | 25 | |
11 | HC Lugano | 19 | -13 | 25 | |
12 | HC Ambri-Piotta | 19 | -12 | 24 | |
13 | Genève-Servette HC | 17 | -3 | 22 | |
14 | HC Ajoie | 20 | -35 | 15 |