Lars Leuenberger verlor trotz Titel seinen Job
«Frage mich selbst, wie ich das geschafft habe»

Verrückter kann ein Jahr kaum sein. Beinahe wurde Lars Leuenberger (41) gefeuert, dann führte er den SC Bern zum Titel, musste aber trotz Erfolg gehen – und ist bis heute arbeitslos.
Publiziert: 25.12.2016 um 23:17 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 23:48 Uhr
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Lars Leuenberger führte den SC Bern zum Titel.
Foto: BENJAMIN SOLAND
Angelo Rocchinotti (Interview) und Benjamin Soland (Fotos)

Herr Leuenberger, angenommen, Sie müssten Ihrem Jahr eine Schlagzeile geben. Wie sähe die aus?
Lars Leuenberger: Ziel erreicht.

Sie blicken mit positiven Gefühlen zurück?
Es war ein wunderschönes Jahr. Was wir in Bern erreichten, trauten uns nur wenige zu. Eine pickel­harte Zeit. Doch im März starteten wir durch.

Trotzdem sind Sie seit acht Monaten arbeitslos.
Viele fragen, wie es mir geht. Klar, ich habe keinen Job. Dafür aber eine gesunde Familie und zwei Kinder, die sich wahnsinnig freuen, dass ihr Papa so viel Zeit hat. Ich sehe sie aufwachsen, wie sie sich entwickeln. Das geniesse ich. Zudem hole ich nach, was ich in den letzten 20 Jahren verpasst habe.

Was sprechen Sie an?
Ich verreise mit der Familie am Wochenende in die Berge, gehe Ski fahren. Und vor zwei Wochen war ich mit Kollegen in Zermatt. Für so etwas hatte ich sonst nie Zeit.

Hatten Sie nie Mühe?
Ich brauchte sicher Zeit, bis ich akzeptieren konnte, dass ich keinen Job habe. Der Anfang war nicht leicht.

Spielte es eine Rolle, dass Ihre Frau Nicole Berchtold arbeitet?
Nein, das tut nichts zur Sache. Nicole hat immer gearbeitet. Wir leben ja nicht mehr im 19. Jahrhundert, als die Frau nur am Herd stand.

Hätten Sie gedacht, dass es so schwierig wird, einen Job zu bekommen?
Es gibt neben dem SCB elf NLA-Klubs. Viele haben ihren Trainer. Als es im Frühjahr in Kloten und als U20-Nati-Trainer nicht klappte, wusste ich, dass es Herbst wird.

Jetzt ist Weihnachten. Dabei wären Sie fast Biel-Trainer geworden, sprachen auch mit Ambri.
Es gab diverse Gespräche in dieser Zeit, die nicht publik wurden. Ein spannendes Business. Ich bleibe zuversichtlich. Mir ist wichtig, dass meine Tage eine Struktur haben.

Was tun Sie?
Ich stehe mit den Kindern (Luis ist 5, Milo wird am Montag 3, Anm. d. Red.) um sieben Uhr auf, gehe ins Fitness, analysiere Teams und schneide Videos. Hin und wieder halte ich Referate, bin bei Teleclub als Experte im Einsatz oder bilde mich im Ausland weiter. So reiste ich zu Antti Törmänen nach Finnland und ich werde Guy Boucher in Ottawa besuchen. Ich will bereit sein, wenn ich wieder an der Bande stehe.

Welche Rolle spielt Ihre Familie?
Eine sehr grosse. Als man mir damals in Bern die Chance als Head-Coach gab, meinte meine Frau: «Mach das. Egal, was passiert. Wir stehen das durch und werden einen Weg finden.» Nun haben wir einen Weg gefunden und sind glücklich.

Welches war der härteste Moment?
Die Niederlagen Anfang Jahr. Das Team wurde immer unsicherer, der Druck ständig grösser. Ich musste als unerfahrener Trainer viel Überzeugungsarbeit leisten. Die Mannschaft zusammenzuhalten war extrem hart.

Sie gaben sich stets cool und abgeklärt. In Ihnen muss es doch auch mal gebrodelt haben?
Du kannst nichts vorspielen. Natürlich wurde ich in der Garderobe mal laut. Hätte ich aber den Hampelmann gemacht, wäre das Team auseinandergefallen.

Wäre Sportchef Alex Chatelain nicht gewesen, CEO Marc Lüthi hätte Sie im Februar gefeuert. Das konnte Ihnen kaum egal gewesen sein.
Ich wusste, dass dies passieren konnte. Doch ich war wie in einem Film, befand mich auf einer Mis­sion und blendete alles andere aus. Viele Trainer werden nie die Chance haben, den SCB zu coachen. Ich aber bekam sie und sagte mir: Egal was passiert, da gehe ich durch.

Reden Sie weiter.
Es wäre ein verdammt hartes Business, wäre ich immer gleich eingeschnappt. Gut war, dass meine Kinder noch jung waren. Sie haben mich nie gefragt, weshalb ich schon wieder verloren habe. Meine Familie ist meine Insel. Zu Hause konnte ich stets auftanken.

Drei Tage vor den Playoffs wurde Ihnen dann gesagt, dass Sie Ende Saison gehen müssen.
Als mich Lüthi in sein Büro bat, sagte ich noch zu meinem Assistenten: Das wars dann wohl. Ich habe es akzeptiert, mit Marc zwei, drei Sätze gesprochen und ging zurück an die Arbeit. Ich wusste, am nächsten Tag stehe ich wieder vor der Mannschaft. Die will wissen, wie wir den ZSC schlagen. Hätte ich sie enttäuschen sollen? Bloss wegen mir? Nein!

Wie konnten Sie das so locker wegstecken?
Es gibt immer wieder Hürden zu bewältigen. Und jeder hat die Fähigkeit, über sich hinauszuwachsen. Das wird dir aber erst hinterher so richtig bewusst. Heute frage ich mich manchmal selbst, wie ich das geschafft habe.

Was trieb Sie an?
Die Leidenschaft für den Sport und den Klub. Ich war nicht einfach bloss ein Angestellter. Schauen Sie nach Schweden oder Finnland. Dort sind viele mit ihren Klubs verwurzelt, holen so wohl noch ein paar Prozente mehr Leistung heraus. Vielleicht erzielten die beiden Nationen auch deshalb so grosse Fortschritte, weil sie mit Einheimischen arbeiten.

Ist es hierzulande ein Nachteil, Schweizer zu sein?
Man hat in einen Schweizer weniger Vertrauen als in einen Ausländer. Das ist Fakt. Es gibt in der NLA nur noch Arno Del Curto.

Worauf führen Sie das zurück?
Schwierige Frage. Vielleicht klingt dieselbe Botschaft in Englisch besser als auf Schweizerdeutsch. Schade ist man vom Weg abgekommen. Ich hatte gehofft, unser Titel würde einen Schub geben.

Böse Zungen behaupten, der SCB wäre auch mit einem Kartoffelsack an der Bande Meister geworden.
Dann wäre Arno ja sechsmal ein Kartoffelsack gewesen. Oder Crawford. Natürlich brauchts eine gute Mannschaft. Die hatten auch wir. Doch die musste auch geführt werden. Und auf mein System, das ich auf die Playoffs hin eingeführt habe, fand keiner eine Antwort.

Haben Sie den Eindruck, Sie müssten sich jeweils rechtfertigen?
Nein, das würde ich auch nicht tun. Aber ich habe mir oft die Frage gestellt, wie das wirkt? Da kommt ein 41-Jähriger, räumt alles ab, gewinnt gegen den Stanley-Cup-Sieger 4:0, gegen den erfolgreichsten Schweizer und das grosse Lugano 4:1. Das scheint so unglaublich, dass einige es mit Glück in Verbindung bringen. Hätte es ein 50-Jähriger aus der NHL geschafft, er wäre vielleicht der Held gewesen.

Spüren Sie mangelnde Wertschätzung?
Überhaupt nicht. Noch heute wird mir auf der Strasse oder beim Einkaufen gratuliert. Schlussendlich haben wir gewonnen. Der Erfolg gibt mir recht.

Ihre Kinder haben von allem nichts mitbekommen?
Wenig. Ihnen war auch nicht bewusst, dass ich Meister wurde. Etwas vom Schlimmsten aber war, als ich Luis mitnahm, um mein Büro zu räumen. Plötzlich fragte er, was ich eigentlich mache. Erklären Sie das mal einem Vierjährigen.

Was haben Sie ihm geantwortet?
Dass was Neues kommt. Er wollte wissen, ob er denn nicht mehr zu Fräne (Material-Chef Frank Kehrli, Anm. d. Red.) dürfe und die Eismaschine sehen könne.

Wie ist es heute?
Luis besucht die Hockey-Schule. Kinder haben so viele Eindrücke. Heute gefällt ihnen das, morgen etwas anderes.

Waren Sie wieder mal an einem SCB-Spiel?
Ja, gegen Langnau vor einem Monat. Ich wollte auch wissen, wie es sich anfühlt, wieder die Halle zu betreten.

Und wie wars?
Egal. Die nächste Frage (lacht).

Sie waren mit Marc Lüthi essen?
Ja, wir beide konnten ein paar Dinge aus der Welt schaffen. Wir gingen nicht im Streit auseinander.

Wie viel Zeit geben Sie sich eigentlich noch?
Diese Saison.

Und wenn sich nichts ergibt?
Es wird sich etwas ergeben.

Wie sind Sie mit dem EHC Biel verblieben?
Wir werden wieder miteinander reden.

National League 24/25
Mannschaft
SP
TD
PT
1
HC Davos
HC Davos
22
24
43
2
Lausanne HC
Lausanne HC
22
9
42
3
ZSC Lions
ZSC Lions
20
18
40
4
EV Zug
EV Zug
23
18
38
5
EHC Kloten
EHC Kloten
22
3
36
6
SC Bern
SC Bern
23
12
36
7
EHC Biel
EHC Biel
22
-1
33
8
SC Rapperswil-Jona Lakers
SC Rapperswil-Jona Lakers
23
-8
31
9
HC Lugano
HC Lugano
20
-11
28
10
HC Fribourg-Gottéron
HC Fribourg-Gottéron
22
-10
28
11
SCL Tigers
SCL Tigers
20
-4
26
12
Genève-Servette HC
Genève-Servette HC
18
-2
24
13
HC Ambri-Piotta
HC Ambri-Piotta
20
-14
24
14
HC Ajoie
HC Ajoie
21
-34
18
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