Foto: BENJAMIN SOLAND

HCD-Coach glaubt an Karma
Eine Fehldiagnose machte Wohlwend zum Trainer

Was eine Fehldiagnose eines Arztes damit zu tun hat, dass Christian Wohlwend (42) Trainer werden wollte. Und wieso sich der energiegeladene Engadiner überall daheim fühlt. In seinem jetzigen Zuhause in Davos hat SonntagsBlick den HCD-Coach und seine Familie besucht.
Publiziert: 18.11.2019 um 14:05 Uhr
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Christian Wohlwend geniesst sein Familienleben in vollen Zügen.
Foto: BENJAMIN SOLAND
Nicole Vandenbrouck (Text) und Benjamin Soland (Fotos)

Wenn er redet, hört man ihm einfach gerne zu. Er versprüht eine ansteckende Energie, sein Enthusiasmus ist mitreissend. Dabei spricht Christian Wohlwend nicht primär über Eishockey, sondern über den Menschen. Der interessiert ihn – auch hinter dem Spieler.

Der neue HCD-Trainer sitzt in seiner hellen Davoser Wohnung auf dem grossen Sofa. Die Söhne Tim (7) und Sam (5) tollen herum, der jüngere hat wenige Minuten zuvor ein ersehntes Päckli vor der Haustüre vorgefunden mit Ninja-Turtles-Kostümen und probiert sie sogleich aus. Kathy Wohlwend (40), der Ruhepol der Familie, schaut strahlend ihren Jungs zu. Und die beiden Kater Mr. Whisperer und Indigo bleiben überraschend gelassen beim ganzen Trubel.

Gesprochen wird bei den Wohlwends übrigens ein Mix aus Deutsch und Englisch. Was man nicht unbedingt präsent hat beim Engadiner: Er und seine Zwillingsschwester Alexandra werden 1977 im kanadischen Montréal geboren. Doch das ist nicht der Grund. Sondern Ehefrau Kathy. Sie ist Kanadierin, stammt aus Toronto.

Dort hat sich das Paar 2011 kennengelernt. Und sich Hals über Kopf verliebt. Wohlwend arbeitet damals für die Agentur 4Sports, betreut die Sparten Golf und Eishockey. In Toronto weilt er, um sein Englisch zu vertiefen und die nordamerikanische Hockeywelt kennenzulernen. «Ich traf Kathy schon in der ersten Woche», erinnert sich der HCD-Trainer, «dann hatten wir wunderschöne zweieinhalb Monate.» Danach zieht die Kanadierin mit ihrem Schatz gleich in die Schweiz – schwanger.

Die Fügung des Schicksals

So funktioniert Christian Wohlwend. Er liebt und lebt aus vollem Herzen. «All in», nennt er das. Ganz oder gar nicht. Er will mit seiner Liebe zusammen sein, «das ist doch ein Gugus, lange zu warten, um zusammenzuziehen». Kathy lässt in ihrer Heimat alles stehen und liegen. «Es war die beste Entscheidung», sagt sie, «ich war glücklich, hierher zu kommen.»

Wohlwend glaubt ans Karma, die Fügung des Schicksals. Im Privat- wie auch im Berufsleben. Das Schicksal hat ihn mit seiner Frau zusammengeführt, beide wollen damals unbedingt eine Familie gründen, alles passt. Und es hat ihm seinen aktuellen Job als HCD-Trainer beschert. Der 42-Jährige lebt sein Traumleben, «ich zelebriere jeden Moment davon».

Doch das ist nicht immer so. Wohlwends Kindheit ist keine traumhafte. Die Familie wohnt lange im Ausland, Vater Anton (†) ist Geschäftsführer von grossen Hotels in aller Welt. Auf den Bahamas, in Montréal, in Puerto Rico. Erst als Wohlwend fünfjährig ist, übernehmen seine Eltern in Celerina im Engadin das Hotel seiner Grosseltern. Der Vater ist dennoch weiterhin oft im Ausland, lässt die Familie alleine. Mutter Monique umsorgt die Zwillinge und ihre ältere Schwester.

«Dann hats Klick gemacht»

Schon als Knirps kann der kanadisch-schweizerische Doppelbürger kaum stillsitzen. «Darum hat mich meine Mutter in St. Moritz ins Hockey geschickt. Die ersten zwei Wochen habe ich in jedem Training nur geweint», erinnert er sich. Doch die Mutter mahnt ihn, dass sie extra eine Ausrüstung gekauft habe und er nun durchbeissen müsse. Die Hockey-Liebe – sie erfasst ihn erst auf den zweiten Blick. Dann dafür richtig. 1996/97 gibt der Stürmer beim SCRJ sein Debüt in der höchsten Liga – sein erstes NL-Tor am 5. Oktober 1996 bleibt aber auch sein einziges. Wohlwend kämpft in den folgenden zwölf Jahren bei Klubs wie Kloten, Thurgau, Dübendorf, Chur und Wallisellen stets mit Verletzungen, spielt kaum eine Saison durch.

Einschneidend ist aber jene, die er sich als 22-Jähriger im Training mit Kloten zuzieht: Ein Stockschaufel trifft ihn voll im Auge. «Die Ärzte sagten mir, dass ich auf diesem Auge nie mehr als zehn Prozent mehr würde sehen können.» Gehadert mit dem Schicksal oder sich selbst bemitleidet, das hat Wohlwend nie. Diese Schock-Diagnose – die sich später als Fehldiagnose entpuppt! – bringt den Hockey-Profi erstmals auf einen anderen Gedanken. «Da hat es Klick gemacht. Ich konnte mir plötzlich gut vorstellen, eines Tages Trainer zu werden.»

Das nächste Jahrzehnt nützt der Spieler, der neben dem Hockey immer auch arbeitet, für unzählige Weiterbildungen. Sowohl in der Privat-Wirtschaft als auch im Trainer-Bereich. Der Familienvater besitzt den höchsten Abschluss, ist Swiss-Olympic-Diplomtrainer. Seine Diplomarbeit trägt den Titel «Wie werde ich ein besserer Coach.»

Das Schicksal erfüllt ihm Wünsche

Erstmals so richtig auf dem Hockey-Radar taucht Wohlwend 2014 sechs Jahre nach seinem Karriereende als Spieler wieder auf. Als U20-Headcoach des HC Lugano steht er auch als Assistent in der National League an der Bande, führt das NL-Team im Oktober 2015 nach der Entlassung von Patrick Fischer (44) eine Woche interimistisch.

Im Sommer 2016 übernimmt der Engadiner die U20-Nati als Headcoach. Und erreicht damit ein Ziel, das er sich schon viele Jahre zuvor vorgenommen hat. «Ich sagte vor zehn Jahren, dass ich U20-Trainer werden will und meinen 40. Geburtstag 2017 an der U20-WM in Montréal, meinem Geburtsort feiern möchte.» Das Schicksal erfüllt ihm auch diesen Wunsch.

Als U20-Headcoach und Nati-Assistent von Patrick Fischer (44) hat Wohlwend aber lange das Gefühl, dass er sich als Schweizer doppelt beweisen muss. «Ich musste immer und überall die Ellbogen ausfahren.» Den Grund sieht er auch darin, dass er keine grosse Spielerkarriere hingelegt hat. «Ich musste mich hocharbeiten.» Erst die WM-Silbermedaille 2018 mit der A-Nati erlöst ihn von diesem Druck. Jetzt hat er den Frieden gefunden mit sich selbst.

Wohlwend glaubt nicht an Zufälle, sondern an Bestimmung. Er besitzt das Ur-Vertrauen in den Plan, den das Leben für ihn hat. Das spürt auch seine Ehefrau. Kathy Wohlwend zweifelt nie an den Entscheidungen ihres Mannes, auch wenn sich das Familienleben seit dem Treffen 2011 komplett verändert hat. «Ich glaube bedingungslos an ihn», sagt die Kanadierin, und bereitet ihrem Schatz frischen Tee, «er hat mir schon beim Kennenlernen überzeugend gesagt, dass er eines Tages Trainer sein möchte.»

In den acht Jahren sind die Wohlwends – seinem Trainerberuf geschuldet – oft gezügelt. Baar ZG, Bülach ZH, Lugano TI, Weinfelden TG, Cham ZG, und jetzt Davos GR. Zuhause fühlt sich der HCD-Trainer aber überall, «dort wo meine Familie ist». Die frühe Kindheit ohne Wurzeln lässt grüssen.

In jener Kindheit wächst noch eine andere Hockey-Liebe. Jene zum HC Davos. «Als kleiner Bub habe ich natürlich von einer Karriere als Hockey-Profi geträumt. Und der HCD war für uns St. Moritzer das Grösste. Dass ist jetzt HCD-Trainer bin, ist manchmal schon noch etwas surreal für mich», gesteht Wohlwend. «Aber ich liebe jeden Moment davon.»

«Bessere Spieler und Menschen aus ihnen machen»

Vor allem liebt er Menschen. «Mein Hobby ist Psychologie. Das fasziniert mich», sagt der ausbildete Sport-Mentalcoach. Er verschlingt unzählige Bücher zu diesem Thema. Bei seiner Leidenschaft Hockey sei das Spannendste der Umgang mit Menschen. «Als Trainer hat man mehr Einfluss auf den Spieler als als Teamkollege.» Der neue HCD-Trainer spricht vor seiner Mannschaft oft über Werte, Demut und Dankbarkeit. «Ich trage die Verantwortung, aus den Jungs bessere Spieler und Menschen zu machen.»

Für Wohlwend ist der schönste Lohn, wenn er in den Gesichtern der Spieler ihre Zufriedenheit sieht. «Wenn sie hundert Prozent Gas geben, danach strahlen und zufrieden sind, das bedeutet mir viel.»

Christian Wohlwend ist authentisch, verstellt sich nie. Auffallend ist aber, dass er auf der Bank viel ruhiger geworden ist. Denn bekannt geworden ist er als U20-Trainer mit emotionalen Ausbrüchen während den Partien, die auch seine Spieler zu spüren bekommen haben. «In diesen Monaten als HCD-Trainer bin ich so ruhig wie noch nie. Von Fischi (Patrick Fischer, die Red.) habe ich gelernt, dass positive Energie mehr bringt.» Nur einmal, da ist «Wolwo» richtig hässig geworden, «das werde ich nur, wenn die Spieler nicht kämpfen». In Fribourg nach der 2:4-Niederlage, da tritt Wohlwend in der Kabine vor versammelter Mannschaft gegen den Abfallkübel.

Das ist nur ein kurzer Ausbruch. Wohlwend ist im Reinen mit sich. Auch dank seiner Familie, die ihm alles bedeutet, und seiner Frau Kathy, die ihn erdet. «Sie ist mein Ruhepol, hat mich gezähmt.» Die Kanadierin, die den beiden Jungs beim Packen ihrer Trainingstaschen hilft, lächelt und sagt: «Er nennt mich deshalb Drachenzähmerin.»

National League 24/25
Mannschaft
SP
TD
PT
1
ZSC Lions
ZSC Lions
19
19
40
2
HC Davos
HC Davos
21
21
40
3
Lausanne HC
Lausanne HC
21
8
40
4
SC Bern
SC Bern
22
15
36
5
EHC Kloten
EHC Kloten
21
2
33
6
EV Zug
EV Zug
21
14
33
7
EHC Biel
EHC Biel
21
0
32
8
SC Rapperswil-Jona Lakers
SC Rapperswil-Jona Lakers
21
-4
31
9
HC Fribourg-Gottéron
HC Fribourg-Gottéron
21
-9
27
10
SCL Tigers
SCL Tigers
19
-3
25
11
HC Lugano
HC Lugano
19
-13
25
12
HC Ambri-Piotta
HC Ambri-Piotta
19
-12
24
13
Genève-Servette HC
Genève-Servette HC
17
-3
22
14
HC Ajoie
HC Ajoie
20
-35
15
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