BLICK: Haben Sie ein grosses Herz?
Luca Cereda: Es war immer eine der Grundlehren, die mir meine Eltern mit auf den Weg gegeben haben. Alles, was Du tust, musst Du aus vollem Herzen machen. In diesem Sinne habe ich ein grosses Herz, weil ich alles aus vollem Herzen und mit voller Leistung angehe.
Wofür schlägt Ihr Herz?
Für alles, was mit Emotionen verbunden ist. Natürlich nimmt meine Familie einen grossen Teil meines Herzens ein. Und mit Eishockey verbinde ich auch immer Emotionen.
Für Eishockey schlägt Ihr Herz schon Ihr Leben lang?
Ja, ich spielte als Kind noch Tennis und Eishockey. Ich entschied mich dann für Eishockey, weil es ein Teamsport ist. Geliebt daran habe ich den sozialen Aspekt und Zeit in der Garderobe verbringen zu können.
Werden Sie noch an Ihr Herz-Problem erinnert?
Ja, täglich, auch weil ich die etwa zwanzig Zentimeter grosse Narbe am Brustkorb immer sehe. Es ist ein grosser Teil meiner Geschichte und hat mein Leben verändert. Ich habe deswegen das Vertrauen in meinen Körper etwas verloren und damit habe immer zu kämpfen.
Wie macht sich das bemerkbar?
Die kleinsten Anzeichen, dass etwas nicht stimmen könnte mit meinem Körper, lösen bei mir natürlich einen grösseren Alarm aus als bei anderen Menschen. Ich spüre meinen Körper seither auch mehr und bewusster. Wenn ich zum Beispiel gestresst oder muskulär angespannt bin, denke ich sofort, dass vielleicht etwas nicht in Ordnung ist. Einmal pro Jahr muss ich darum die ärztlichen Tests machen.
Ihr Herz zwingt Sie dazu, alles ruhig zu nehmen?
Man kann es so sehen. Aber gleichzeitig verliere ich auch viel Energie, wenn ich mir Gedanken und Sorgen mache, obwohl alles in Ordnung ist.
Bestehen noch Risiken?
Nein, ausser wenn ich Spitzensportler wäre. Hockey darf ich nicht spielen, weil es zu gefährlich ist wegen den Schlägen gegen den Körper. Und auch Kampfsport könnte ich nicht betreiben.
Als Teenager wurde Ihnen 2000 eine künstliche Herzklappe eingesetzt?
Keine künstliche, die eines Spenderherzens von einem Toten. Ich hatte drei Herzklappen zur Auswahl: eine künstliche, die eines Spenders oder die eines Schweines. Eine künstliche würde zwar ein Leben lang halten, aber das Blut würde nicht mehr gerinnen und man müsste ständig Blutverdünner nehmen. Das wäre für einen Hockeyspieler natürlich nicht gut gewesen. Also blieb mir entweder die eines Schweines oder eines Spenders. Ich entschied mich für den Spender, das empfahl man mir auch. Damals sagten mir die Ärzte, dass sie mir dafür eine Garantie für die nächsten fünfzehn bis zwanzig Jahre geben können. Und es sieht immer noch gut aus. Im Oktober habe ich meinen nächsten medizinischen Check. Ich weiss aber, dass ich mich früher oder später erneut einer Operation unterziehen muss.
Erinnern Sie sich noch an den Moment damals in Toronto, als Ihnen die Ärzte die Diagnose Ihres Geburtsfehlers eröffneten?
Sie redeten natürlich Englisch und ich konnte damals die Sprache noch nicht so gut. Ich erkannte die Schwere des Problems nicht sofort. Im Trainingslager waren wir noch zwei Teams, also etwa 40 Spieler. Und ich war an jenem Tag der einzige der Rookies, der mit den Stars trainieren sollte. Der Kardiologe fragte mich, ob ich aufs Eis gehe. Als ich bejahte, sagte er: «Take it easy.» Und ich fragte mich, wie ich das bitte locker nehmen soll, wenn ich mit den Profis trainieren darf. In der Eishalle angekommen sagte man mir dann, dass ich aufs Training verzichten muss, bis die genauen Abklärungen mit meinem Herzen gemacht sind.
Sie waren da noch sehr jung, denken Sie, deshalb haben Sie etwas gelassener reagiert?
Das kann sein. Auch in die Operation, die in Lausanne war, bin ich relativ unbekümmert gegangen. Für mich war einfach klar, dass nun diese Operation nötig ist, mein Herz repariert werden muss, und dass danach mein Leben wieder normal als Hockeyspieler weitergeht.
Dann war die Nachricht, dass Sie nicht mehr Hockey spielen dürfen, schlimmer für Sie als die, dass Sie einen Herzfehler haben?
Ja, im ersten Moment schon. Im Spital sagten sie mir als erstes, dass ich mir über eine andere Zukunft als als Hockeyspieler Gedanken machen muss. Ich sagte dann zu meinen Eltern, dass ich nach der Operation alles versuchen werde, um wieder als Spieler zurückzukommen. Und dann schauen wir weiter.
Und was meinten Ihre Eltern?
Die verstanden und unterstützten mich voll. Ich spürte bei ihnen keine Angst. Das schlimmste Bild für sie war, als sie mich nach der Operation auf der Intensivstation sahen, wie ich da an vielen Kabeln hing. Das war ein Schock für sie.
Als der Herzfehler damals entdeckt worden ist, hatten Sie noch keine Familie. Wie haben Ihre Frau und später Ihre Kinder reagiert, als Sie es ihnen erzählten?
Als ich meinen Kindern von meinem Herzproblem und dem Geburtsfehler erzählte, verstanden sie die Bedeutung und das Ausmass noch nicht so richtig. Im Moment ist das auch gut so. Es wird der Tag kommen, an dem ich erneut operieren muss. Dann werde ich es sicher ausführlicher erklären müssen, damit sie es dann verstehen. Und meine Frau macht sich auch keine Sorgen, weil sie weiss, dass ich stets vorsichtig bin. Sie unterstützt mich in allem.
Denken Sie manchmal noch, was aus Ihnen als Spieler geworden wäre ohne diesen Herzfehler?
Nur ab und zu, wenn ich mal Aufnahmen von mir als Spieler sehe. Eine Überzeugung von mir ist: Das Beste, das wir als Menschen im Leben machen können, ist unsere Grenzen zu entdecken. Wo mein Limit als Spieler gewesen wäre und ob ich es in der NHL geschafft hätte, diese Fragen stelle ich mir dann. Denn mir hat die Herz-OP die Grenze gesteckt. Aber gleichzeitig: Ohne mein Herz-Problem wäre ich heute nicht Ambri-Trainer. Nichts geschieht ohne Grund. Schicksal sozusagen.