Biel-Captain Tschantré sagt Tschüss
«Bitter, wenn es so endet»

20 Jahre lang stürmte Mathieu Tschantré (35) für Biel. Trotz Asthma. Nun steht er vor seinen letzten Wochen als Profi. Wird er überhaupt nochmals spielen?
Publiziert: 10.03.2020 um 08:23 Uhr
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Mit 35 Jahren hängt Mathieu Tschantré seine Hockey-Ausrüstung an den Nagel.
Foto: freshfocus
Angelo Rocchinotti

Er ist Captain, Integrationsfigur und Vorbild, hat seine ganze Karriere dem EHC Biel verschrieben. Doch nun tritt Mathieu Tschantré nach zwei Jahrzehnten zurück. Ob der 35-Jährige überhaupt noch einen Ernstkampf bestreiten wird oder die grosse Bühne vor leeren Rängen verlassen muss, steht in den Sternen.

Wegen des Coronavirus ruht der Meisterschaftsbetrieb. «Es wäre bitter, würde es so enden», sagt Tschantré, um sogleich anzufügen: «Dabei geht es nicht um mich. Es geht um alle, die das gesamte Jahr hinüber hart gearbeitet haben. Die Playoffs sind das Highlight.»

«Ich dachte, ich verschwinde einfach»

Seit Weihnachten sei ihm bewusst, dass bald Schluss sei. «Ich dachte, ich verschwinde einfach. Auf Nimmerwiedersehen. Doch ganz so leicht ist es nicht.» Der Stürmer, der den Bachelor in Betriebswirtschaft gemacht hat und als Partner bei einem Finanzdienstleistungsunternehmen einsteigen wird, möchte dem EHCB erhalten bleiben. Die Idee? «Er wird Vorstandsmitglied im Donatorenverein. Das hilft uns. Und Mathieu kann sich ein Netzwerk aufbauen», sagt Geschäftsführer Daniel Villard.

Seine Grosseltern hatten schon Saisonkarten beim EHC Biel. Tschantré, in Tüscherz-Alfermée, einer 300-Seelen-Gemeinde am linken Bielerseeufer, aufgewachsen, träumte schon als kleiner Junge von einer Profikarriere. «Ich hatte viel Energie. Meine Mutter war froh, konnte ich auf dem Eis Dampf ab­lassen.» Das Problem? Tschantré ist Asthmatiker, hat als Kind nachts Mühe mit Atmen. Spezialisten raten vom Hockey ab, meinen, er würde dann selbst merken, dass es nicht reichen wird. Doch Tschantré macht unbeirrt weiter. Seine Hartnäckigkeit, die ihn die gesamte Karriere hindurch auszeichnet, zahlt sich aus.

Mit 16 Jahren debütiert der klein gewachsene Stürmer (1,73 m) im Dezember 2000 beim 4:2-Sieg gegen Visp in der NLB. Er erfährt am Mittag von seinem Einsatz, ist dermassen nervös, dass er beim Essen kaum einen Bissen runterkriegt. Seine Teamkollegen siezt er anständig. Zum Einstand muss er eine Runde Pizza ausgeben. «Ich hatte das Glück, dass Kevin Schläpfer erst ein Jahr später das Captainamt übernahm. Unter ihm wurden Neulinge immer irgendwelchen Ritualen unterzogen, mussten eine Show zeigen.»

Gelbe Haare statt Playoff-Bart

Seine Asthma-Erkrankung glaubt Tschantré überwunden zu haben. Dass dem nicht so ist, merkt er erst, als das Team vor sechs Jahren während des Sommertrainings einen Vortrag eines Lungenspezialisten besucht und er einem Test unterzogen wird. Tschantré erhält einen Spray und gehört seither in den Lauftests nicht mehr zu den Schlechtesten.

Der 35-Jährige, der sich in jungen Jahren in den Playoffs die Haare gelb färbte, weil er kaum Bartwuchs hat, macht den gesamten Bieler Aufstieg mit. Vom mittel­mässigen NLB-Klub zu einem Titelanwärter in der höchsten Liga, der bis vor fünf Jahren noch im alten Eisstadion spielte. «Da huschten auch mal Ratten oder Mäuse durch die Garderobe. Es wurden Fallen aufgestellt. Dagegen ist die Tissot Arena ein Fünfsternehotel.»

Doch der Weg geht nicht nur nach oben. «Wir erlebten in der NLB riesige Hochs und grosse Enttäuschungen innerhalb einer Saison.» Viermal wird Biel B-Meister. Dreimal verpassen die Seeländer den Aufstieg. Einen kurzen Moment denkt der heute 35-Jährige daran, den Klub zu verlassen. «Ich dachte, ich muss weg, sonst komme ich nie in die NLA. Doch ich machte stets einen Rückzieher, glaubte daran, dass wir es schaffen werden.»

Mit 24 Jahren Captainamt übernommen

2008 gelingt das Unterfangen. «Mathieu und ich zogen zwei, drei Tage um die Häuser», verrät sein ehemaliger Teamkollege Philipp Wetzel. «Bewusst wurde uns das erst, als Mathieu der Handy-Akku ausging. Wir gingen in einen Swisscom-Shop und baten die Mitarbeiter, das Gerät aufzuladen. In der Zwischenzeit suchten wir die nächste Bar auf.»

Tschantré übernimmt das Captainamt von Serge Meier, hat es bis heute inne. «Er war 24 und vielleicht noch etwas unerfahren», erinnert sich Gianni Ehrensperger. «Doch dies änderte sich schnell, und er wurde zur Führungspersönlichkeit von heute.»

Ehrensperger gehörte gemeinsam mit Manuel Gossweiler zum Kern dieser Mannschaft. In der Freizeit gingen sie mit Tschantré fischen. «Wir kauften uns ein Boot. Als Gossweiler einen kleinen Hecht fing, jubelten wir wie die Weltmeister. Das war damals der Fang unseres Lebens. Wir verloren fast den Feumer und konnten den Hecht nur mit Müh und Not aus dem Wasser fischen.»

Wer ehemalige Teamkollegen nach Tschantré fragt, erhält immer die gleiche Antwort. «Entweder war er so lustig, dass man die Geschichten unmöglich in der Öffentlichkeit ausbreiten kann, oder dann war er korrekt und professionell. Der perfekte Schwiegersohn», sagt Emanuel Peter. «Ich bin glücklich, konnte ich so eine treue Person kennenlernen.»

«Ich gehöre nach Biel»

Trotz Angeboten der Konkurrenz hält Tschantré dem Klub auch nach dem Aufstieg die Treue. «Ich hatte immer das Gefühl, ich gehöre nach Biel. Das ist mein Klub. Hier ist mein Herz. Weshalb für ein paar Franken wechseln?», fragt er rhetorisch.

Seine Nummer 12, die er als Junior Patrick von Gunten stibitzte, wird wie jene des dreifachen Meister-Goalies Olivier Anken dereinst unters Stadiondach gezogen. Meister wurde Tschantré auf höchster Stufe nicht. Dafür hat er mit 899 Spielen Anken (678) als Rekordhalter längst abgelöst.

Sollte er sein 900. Spiel noch bestreiten können, gäbe es auch schon ein Transparent. Angefertigt hat es Teamkollege Damien Brunner, der im Geisterspiel gegen die ZSC Lions angeschlagen zuschauen musste: «900 Spiele – und kein Schwein interessierts». Vom Transparent erfahren hat Tschantré auf dem Parkplatz, als er dem enttäuschten Brunner kurz vor Spielbeginn begegnete. Tschantré musste ins Spital. Seine Frau schenkte ihm das dritte Kind.

National League 24/25
Mannschaft
SP
TD
PT
1
ZSC Lions
ZSC Lions
27
32
58
2
HC Davos
HC Davos
31
26
57
3
Lausanne HC
Lausanne HC
30
9
56
4
EHC Kloten
EHC Kloten
31
0
53
5
SC Bern
SC Bern
30
17
52
6
EV Zug
EV Zug
29
16
46
7
SCL Tigers
SCL Tigers
29
3
41
8
EHC Biel
EHC Biel
29
1
40
9
HC Fribourg-Gottéron
HC Fribourg-Gottéron
30
-8
39
10
HC Ambri-Piotta
HC Ambri-Piotta
30
-19
39
11
SC Rapperswil-Jona Lakers
SC Rapperswil-Jona Lakers
31
-15
39
12
Genève-Servette HC
Genève-Servette HC
27
0
36
13
HC Lugano
HC Lugano
29
-22
36
14
HC Ajoie
HC Ajoie
29
-40
26
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