Nino Niederreiter schüttelt ungläubig den Kopf und murmelt in einem Gemisch aus Bündnerdeutsch und Englisch: «Tami, das isch scho sehr strange!» Ja, was ist denn so seltsam? Der Flügelstürmer der Winnipeg Jets klärt auf: «Wenn ich in den Spiegel schaue, erkenne ich bei mir noch kein einziges graues Haar. Aber beim Blick auf die Kaderliste muss ich zur Kenntnis nehmen, dass ich mit 32 der älteste Spieler in unserer Mannschaft bin. Ich kann das kaum glauben, weil ich bis dato immer einen Teamkollegen hatte, der mindestens 35 war.» Doch die Zeiten haben sich eben auch in der besten und härtesten Eishockeyliga der Welt geändert. «Das Tempo ist in der NHL in den letzten Jahren noch einmal deutlich höher geworden, was zur Verjüngung in dieser Liga geführt hat», erklärt der Churer.
Fisch und Chicken anstelle von fettigem Rib-Eye
Damit er mit dem enormen Speed, den die jungen «Kufentiere» auf den Eisfeldern in Nordamerika anschlagen, Schritt halten kann, hat Niederreiter, der seit diese Sommer Mitinhaber der Passugger Mineralquellen ist, nicht zuletzt seinen Ernährungsplan angepasst. «Als ich vor zehn Jahren für Minnesota Wild tätig war, habe ich im Durchschnitt dreimal pro Woche in meinem Lieblingssteakhouse in Minneapolis ein deftiges Rib Eye Steak verzehrt. Heute esse ich öfters fettarmen Fisch, oder ein Chicken. Ich lasse auch immer häufiger meinen Vitamin-D-Gehalt im Blut kontrollieren.»
Vor der neuen Spielzeit sind die Blut-, Ausdauer- und Kraftwerte von «El Nino» nahezu optimal. Der Mann mit 887 NHL-Spielen auf dem Tacho hat in der Saisonvorbereitung alles dafür getan, um den einzigen, aber gravierenden Makel in seinem Palmarès zu eliminieren – auf höchster Stufe hat Niederreiter noch keinen Titel gewonnen. Der Sohn eines Schlossers macht deshalb auch kein Geheimnis daraus, dass für ihn im letzten Mai der Morgen nach dem verlorenen WM-Final gegen Tschechien besonders grausam war. «Ich teilte in Prag das Zimmer mit meinem Freund Roman Josi. Nachdem wir zum dritten Mal einen WM-Final verloren haben, stellten wir uns gemeinsam vor den Spiegel und sagten: ‹Verdammt, wir sind die ewigen Zweiten!› Und wenn man wie Roman und ich den dreissigsten Geburtstag hinter sich hat, weiss man eben wirklich nicht, ob man so eine Chance noch einmal bekommt.»
Heftige Fights um den Stanley Cup
Stellt sich die Frage, welcher der beiden Schweizer Freunde in der bevorstehenden NHL-Saison die besseren Chancen auf den Gewinn des Stanley Cup hat? Josis Nashville Predators haben neben Superstar Steven Stamkos (34, zweifacher Stanley-Cup-Sieger mit Tampa) mit Jonathan Marchessault (33, 2023 Stanley Cup-Triumphator mit Las Vegas) einen weiteren Top-Stürmer und mit Brady Skjei einen renommierten Verteidiger aus Carolina verpflichtet. Niederreiters Jets starten fast mit dem identischen Kader, welcher im Vorjahr die Regular Season im Westen auf dem dritten Rang beendete.
«In der letzten Saison sind wir in den Playoffs früh über Colorado gestolpert, weil wir zum Ende der Qualifikation zu viel Energie verpufft hatten. Aber ich bin sicher: Wir haben die richtigen Schlüsse daraus gezogen», meint Niederreiter, der am Mittwoch mit Winnipeg zum Saisonauftakt in Edmonton bei den «Oilers» antreten wird. Zum Wiedersehen mit Josi kommts am 23. November, wenn Ninos Jets in Nashville die Predators herausfordern.
Niederreiter gibt zu, dass in diesen Duellen die Freundschaft gelegentlich traktiert wird: «Roman hat von mir schon ein paar Cross- oder Ellenbogenchecks kassiert. Deshalb hat er mich nach den Spielen auch schon mit ‹Nino, spinnst du eigentlich› begrüsst. Aber was soll ich machen? Ein überragender Verteidiger wie er lässt mich ja nicht freiwillig vor sein Tor ...» Niederreiter schaut auf seine edle Breitling-Uhr und sagt: «Es ist höchste Zeit, dass es endlich wieder losgeht.»