Die renommierte kanadische Hockey-Zeitschrift «The Hockey News» wagte vor zwei Wochen den grossen Satz: «Wir verkünden nun, dass Hischier der Top-Kandidat im Draft 2017 ist.» Ein Hammerschlag.
Ein Schweizer als Nummer 1 bei der Verteilung der besten Junioren der besten Liga der Welt, der National Hockey League (NHL) – es wäre auch die Krönung für unser Eishockey.
Auch wenn die Auswahl von 2017 nicht so hoch einzustufen ist, wäre Nico Hischier als Nummer 1 in der gleichen Kategorie wie die Crème de la Crème des Hockeys. Wie die Superstars Sidney Crosby, Alexander Owetschkin, Patrick Kane oder in den letzten beiden Jahren die Ausnahmetalente Connor McDavid und Auston Matthews.
Dass auch der Walliser die besondere Gabe besitzt, das Spiel zu lesen und mit seiner Technik und Kreativität zu lenken, fiel schon auf, als er bei den Junioren des EHC Visp Tor um Tor schoss und den meist älteren Gegner und den Beobachtern den Kopf verdrehte.
Bereits vor zwei Jahren spielte er als 16-Jähriger bei der U18-WM in Zug, als die Schweiz erst in der Verlängerung den Finaleinzug verpasste. Letzte Saison kam der Wunder-Bub dann beim SC Bern in der NLA zum Zug und erzielte bereits einen Treffer.
Dann zog er aus, um die Hockey-Welt zu erobern. Und in seiner ersten Saison in Übersee, bei den Halifax Mooseheads in der kanadischen Junioren-Liga hat er nun selbst die künsten Erwartungen übertroffen. In 63 Spielen gelangen dem Sohn von Versicherungs-Agent Rino Hischier und Sportlehrerin Katja 41 Tore und 52 Assists und er wurde als bester Neuling der Liga ausgezeichnet.
Nach dem Out in den Playoffs blieb Nico Hischier nicht gross Zeit zum Verschnaufen. Ohne den Umweg in die Heimat reiste er am Dienstag in die Slowakei, wo er bei der U18-WM in Poprad erneut für die Schweiz spielt, nachdem er zur Jahreswende bereits bei der U20-WM für Furore gesorgt hatte.
Seither gilt er neben dem Kanadier Nolan Patrick als Favorit für den ersten Platz NHL-Draft Ende Juni. BLICK traf das Ausnahme-Talent im Camp des Schweizer Teams tief in den Wäldern der Hohen Tatra in der Slowakei zum Interview.
BLICK: Nico, wann waren Sie eigentlich das letzte Mal zu Hause im Wallis?
Nico Hischier: Das weiss ich genau. Das war am 20. August.
Das ist eine halbe Ewigkeit her. Lässt sich das aushalten, so lange in der Fremde?
Man vermisst die Heimat schon. Und ich freue mich auch, nach der U18-WM wieder nach Hause ins Wallis zu kommen. Doch es ist schon aushaltbar.
Aber manchmal haben Sie schon Heimweh?
Ja. Doch jetzt bin ich mich schon daran gewöhnt, von meiner Familie getrennt zu sein. Ich bin mit 15 nach Bern gezogen, wo ich mit meinem Bruder (SCB-Stürmer Luca, die Red.) bei meiner Tante wohnte. Das war damals härter für mich. Ich hatte mehr Mühe in Bern als in Halifax. Ich bin ein Familienmensch und habe mit meinen Eltern, meiner Schwester und meinem Bruder ein super Verhältnis. Ich freue mich schon darauf, alle wieder zu sehen.
War die Familie nie ein Hinderungsgrund, nach Kanada zu wechseln?
Nein, das nicht. Man muss auch auf sich selbst schauen. Durch die Distanz verliert man ja den Kontakt nicht. Ich habe diesen Entscheid einfach gefällt, weil ich zum Schluss kam, dass es das Beste für meine Entwicklung als Hockey-Spieler ist.
Sie sind so selbstständiger geworden?
Ja, sicher. Das ist der andere Teil dieses Jahres in Kanada: Ich denke, es hat mich auch menschlich weitergebracht.
In Halifax lebten Sie in einer Gastfamilie. Wie ist das?
Am Anfang war es schon nicht das Gleiche wie bei einer normalen Familie. Doch ich hatte das Glück, dass ich eine super Gastfamilie hatte. Zum Schluss war es schon traurig, Abschied zu nehmen. Diese Menschen sind mir ans Herz gewachsen. Mit ihnen werde ich wohl ein Leben lang in Kontakt bleiben.
Dann ist für Sie schon klar, dass Sie nächste Saison nicht mehr Junioren-Hockey spielen werden?
Das ist jetzt noch schwierig zu sagen. Wie es weiter geht, wird man erst nach dem NHL-Draft wissen. Das muss man dann mit der Organisation, die mich draftet, besprechen.
Was vermissen Sie in Kanada?
Die Familie, die Kollegen und ganz allgemein die Schweiz mit den Bergen und allem Drum und Dran. Doch auch Halifax ist eine schöne Stadt, direkt am Meer.
Wie halten Sie den Kontakt in die Schweiz?
Das ist heutzutage nicht so schwierig mit Facetime und Kurznachrichten. Auch die Zeitverschiebung ist kein Problem.
Sie standen als Dreijähriger erstmals auf dem Eis. War das Liebe auf den ersten Blick?
Ja, ich hatte von Anfang an Spass auf dem Eis.
Doch bis 12 haben Sie auch noch Fussball gespielt. Ihr Vater kommt ja vom Fussball, ist Instruktor.
Ja, dann musste ich mich entscheiden, als ich in eine Sportschule ging. Der Entscheid ist mir aber ganz leicht gefallen.
Hatten Sie mehr Talent fürs Eishockey?
Darum ging es nicht. Ich hätte in der Sportschule auch auf Fussball setzen können. Ich war auch da in einer Nachwuchs-Auswahl. Doch Hockey machte mir einfach mehr Spass.
Dann sind Sie ballgewandter als der eine oder andere Hockey-Spieler, die sich mit Fussball aufwärmen?
(lacht) Ein gewisses Ballgefühl habe ich schon.
Was ist der Unterschied zwischen dem Profiteam des SC Bern und dem Junioren-Klub Halifax Mooseheads?
Ähnlich ist sicher, das ganze Drum und Dran. Da wird professionell gearbeitet. Der SCB ist aber sicher etwas Grösseres. Das ist Profi-Hockey. Und in Kanada ist es nur Junioren-Hockey. Das ist sicher ein sportlicher Unterschied.
Wie würde ein Spiel zwischen dem SCB und Halifax ausgehen?Das ist eine schwierige Frage. (lacht) Ganz sicher würden wir nicht gewinnen. Und wir würden wohl nicht zu knapp verlieren. Es ist nicht das Gleiche. Es ist immer noch Junioren-Hockey. Das kann man nicht vergleichen mit Männer-Hockey.
Deshalb dürften Sie nächste Saison nicht mehr Junioren-Hockey spielen.
Wie gesagt: Das weiss ich noch nicht.
Doch nächste Saison wieder für den SCB zu spielen, ist eine Option?
Ja, das ist eine Möglichkeit.
Letzte Saison spielten Sie 15 Spiele in der NLA. Haben Sie auch eine Meister-Medaille bekommen?
Ja, obwohl ich in den Playoffs nicht mehr gespielt habe. Das hat mich sehr gefreut. Und wir konnten auch noch eine Uhr auslesen. Weil ich nach Kanada abreiste, weiss ich nicht, was daraus wurde. Ich muss mal bei meinem Bruder nachfragen.
Verfolgen Sie den SCB noch?
Ja, sicher. Ich schaue mir jeweils die Highlights an. Und mein Bruder erzählt mir immer am Telefon, was läuft.
In Halifax sind Sie neben dem Eishockey auch zur Schule gegangen.
Ich war nur 80 Minuten täglich in einer High School im Englischunterricht.
Hatten Sie nicht geplant, nach Weihnachten noch ein zweites Fach zu belegen?
Ja, das habe ich auch gemacht. Ich nahm noch Yoga dazu. Doch das war dann nicht so, wie ich mir das vorgestellt habe. Es war lediglich Theorie. Ich wollte selbst Yoga machen, statt in der Klasse zu sitzen und darüber zu hören und zu reden. Darum liess ich es dann sein.
Sie haben aber vorher schon Yoga gemacht?
Ja, Halifax organisierte einen Trainer, der mit uns alle zwei Wochen Yoga machte.
Es gibt wohl nicht viele 17- und 18-Jährige, die Yoga machen.
Ich glaube nicht, ja. Aber ich denke, es ist wichtig.
In welchem Bereich bringt es Ihnen etwas?
Sicher hilft es bei der Beweglichkeit. Und es verhindert Verletzungen. Man braucht andere Muskeln als beim Hockey.
Gab es bei den Mooseheads auch einen Zapfenstreich?
Ja, da gibt es klare Regeln. Man muss spätestens um 23 Uhr zu Hause sein und vor Matchtagen schon um 22 Uhr. Das kontrollieren sie auch stichprobenmässig, indem sie bei den Gastfamilien nachfragen.
Seit Sie als Top-Kandidat im NHL-Draft gehandelt werden, ist ein Rummel um Sie entstanden.
Ja, das ist so. Speziell in Kanada. Wenn es um Eishockey geht, ist das schon extremer. Das ist schon ein Thema in den Medien. Ich glaube, das gehört einfach dazu.
Dann werden Sie bestimmt in Halifax erkannt. Wagen Sie sich noch auf die Strasse oder ins Kino?
Das ist kein Problem. So extrem ist es dann doch nicht. Ich kann normal durch Halifax gehen. Es kam aber schon vor, dass ich im Einkaufszentrum angesprochen und für ein Foto angefragt wurde.
Und werden Sie von Verehrerinnen bestürmt?
Nein, nein.
Haben Sie eine Freundin?
Ja.
Ist sie aus Kanada?
Nein, die habe ich in der Schweiz.
Wissen Sie, was Sie am 29. April machen werden?
Dann bin ich in den Ferien.
Das ist aber auch der Tag, an dem die Lotterie ist, in der die Reihenfolge der ersten Positionen des NHL-Drafts vergeben werden.
Das wird ganz spannend. Das werde ich schon verfolgen.
Haben Sie Präferenzen, welche Teams Sie als Erste draften sollen?
Nein, nein, da lasse ich die Lotterie machen. Es kommt so, wie es kommt.
Haben Sie kein NHL-Lieblingsteam?
Nein, das hatte ich eigentlich nie. Am engsten habe ich die Detroit Red Wings verfolgt, weil Pawel Datsjuk mein Lieblingsspieler war.
Und mit welchem Team spielen Sie auf der Play Station?
Mit unterschiedlichen…
Kennen Sie eigentlich Nolan Patrick, Ihren Konkurrenten um die Position als Nummer-1-Draft?
Beim Prospects-Game der Junioren-Ligen habe ich ihn in Québec am 30. Januar kurz kennengelernt.
Ist er ein Faktor in Ihrem Denken?
Nein, gar nicht. Er ist ein Super-Spieler. Doch ich zerbrech mir nicht den Kopf über ihn. Nolan gegen Nico ist vor allem ein Thema für die Medien.
Haben Sie den Ehrgeiz, die Nummer 1 zu werden? Ist das ein Ziel?
Es kann schon ein Ziel sein. Doch ich persönlich gebe einfach mein Bestes. Und ich weiss jetzt schon, dass ich so oder so glücklich sein werde.
Könnte es ein Nachteil sein, dass Sie Europäer sind?
Ich weiss es nicht. Doch es gibt Leute, die glauben, dass die Kanadier schon etwas patriotisch sind, wenn es ums Eishockey geht.
Gibt es noch Vorurteile gegenüber Schweizer Spielern?
Nein, das glaube ich nicht. Es gibt ja schon viele gute Schweizer in der NHL.
Sie haben eine lange, harte Saison hinter sich. Sind Sie nach 83 Spielen müde?
Ja, ich spüre das schon. Doch das ist auch eine Kopfsache. Und ich kann mich für diese U18-WM sehr gut motivieren. Ich bin immer stolz, wenn ich für mein Land spielen kann. Und da auch noch mit guten Kollegen. Doch lügen will ich nicht: Danach bin ich froh, wenn die Saison fertig ist und ich ein, zwei Wochen weg vom Hockey sein kann.
Wird man Sie an der A-WM in Paris nicht mehr sehen?
Das ist jetzt schwierig zu sagen. Das muss man dann anschauen. Wir nehmen jetzt Schritt für Schritt. Und wenn die Saison erst nach Paris fertig ist, ist sie eben erst nach Paris fertig.
Sie gelten als ehrgeizig. Sind Sie ein guter Verlierer?
Ich verliere nicht gerne, habe aber gelernt, Niederlagen zu akzeptieren.
Und früher haben Sie noch getobt?
Als ich noch ganz klein war, habe ich gar nicht gerne verloren. Da wurde ich auch wütend.
Auch wenn Sie in den Spielen auf den Rollerblades in der Tiefgarage gegen Ihren vier Jahre älteren Bruder verloren haben?
Ja, da kann ich mich noch gut daran erinnern. Das waren gute Schlachten. Wir haben vorwiegend zu zweit gespielt. Und Luca hat schon meistens gewonnen.
Sie haben schon oft gesagt, dass Ihr Bruder ein Vorbild für Sie ist. Was konnte er Ihnen mitgeben?
Viel. Er hat mich auch zum Eishockey gebracht. Ich kann mich auch an ihn wenden, wenn ich menschlich ein Problem habe. Wir haben ein sehr enges Verhältnis.
Sie sind mit viel Talent gesegnet. Ist es nur ein Vorteil oder bringt es auch Schwierigkeiten mit sich, weil man dann Gefahr läuft, nicht mehr so hart zu pushen?
Ich finde, Talent ist wichtig. Doch ebenso wichtig ist, dass man den Spass am Hockey nie verliert. Wer nicht spielen und gewinnen will, wer diesen Antrieb nicht hat, der schafft es nicht.
Haben Sie viel Zeit damit verbracht, sich zu verbessern?
Mir hat es wahrscheinlich viel geholfen, dass ich gerne verschiedene Sachen gemacht habe. Ich spielte Tennis, Fussball, ging mit meiner Schwester ins Turnen. Ich bin gerne gerannt. Ich war im Judo. Ich bin Einrad gefahren. Ich habe gerne auf der Slackline balanciert. Ich ging Skifahren und Snowboarden. Meine Eltern haben mich immer unterstützt. Ich konnte immer machen, was ich machen wollte.
Bei Halifax bekommen Sie alle zwei Wochen ein kleines Sackgeld. Bald werden Sie ein Grossverdiener sein. Wofür werden Sie das Geld ausgeben?
Das ist schwierig zu sagen. Ich bin momentan glücklich mit dem, was ich habe. Wahrscheinlich werde ich schöne Ferien machen und ein schönes Auto kaufen.
Können Sie schon autofahren?
Sobald ich zurück in der Schweiz bin, mache ich den Fahrausweis. In Kanada, wo man schon mit 16 fahren darf, habe ich die Theorieprüfung gemacht und konnte schon mit meinem Gast-Vater fahren.
Sie gelten als seriös. Haben Sie als Junge auch mal Blödsinn gemacht?
Ich habe schon einige Dinge gemacht. (schmunzelt) Was, sage ich aber lieber nicht.
Was sind Ihre Karriere-Ziele?
Mein grösstes Ziel ist es sicher, in der NHL zu spielen.
Haben Sie schon viele NHL-Spiele gesehen?
Live? Nur ein einziges. Das war vor vielen Jahren in Ottawa, Senators gegen Edmonton Oilers, als wir bei einem Peewee-Turnier in Québec waren. Wir sassen ganz zuoberst. Die Spieler unten auf dem Eis waren ganz klein.
Wachsen Sie eigentlich noch? Und legen Sie Gewicht zu?
Ich weiss gar nicht, ob ich noch gewachsen bin. Ich war schwerer, als ich in Kanada ankam. Dann habe ich etwas abgenommen, das ist aber ganz normal. Und unter der Saison habe ich dann wieder etwas zugelegt. Jetzt bin 179 Pfund, ich weiss gar nicht wie viel das in Kilo ist (81,2 kg, die Red).
Muskelmässig ist schon noch etwas drin für Sie?
Ja, der Sommer ist wichtig für mich. Letztes Jahr habe ich fünf, sechs Kilos zugenommen.
Achten Sie auch auf die Ernährung?
Ja, aber nicht ganz strikt. Doch ich schaue schon darauf, was ich esse. Und meine Gastfamilie hatte eine Orientierung von den Mooseheads. Und deshalb habe ich dann viel Quinoa gegessen. Das soll super sein. Das schmeckt zwar nach nichts. Aber wenn es gut für mich ist, esse ich es.
In Halifax gibt es bestimmt auch Fisch.
Was bekannt ist, sind Hummer. Doch ich habe es nie versucht. Meeresfrüchte sind nicht so mein Ding.