Wir schauten einem Boxkampf zu, als nebenbei plötzlich ein Eishockeyspiel ausbrach. Dieser Kalauer wurde in Nordamerika lange Zeit als Verkaufsargument an den Mann gebracht, wenn der rasante Sport auf Schlittschuhen einem breiteren Publikum zugängig gemacht werden sollte. Schlägereien mit blossen Fäusten in organisierten Ligen, mitgetragen von Sponsoren, der Öffentlichkeit und ihren Institutionen?
In der kanadischen «Québec Major Junior Hockey League» (QMJHL) sollen die Faustkämpfe in Zukunft nicht mehr vorkommen. Die Liga, in der sich zahlreiche Schweizer das Rüstzeug für die NHL oder eine Profikarriere in der Schweiz geholt haben (Timo Meier, Nico Hischier, Sven Andrighetto, Philip Kuraschew, Luca Cunti, Dominik Schlumpf oder Christian Marti), will die Schlägereien aus dem Programm streichen. Ersatzlos.
Verboten sind die fliegenden Fäuste in Kanadas Junioren-Eishockey gemäss Regelbuch schon länger (dafür gibt es 5 plus 10 Strafminuten), um sie tatsächlich zum Verschwinden zu bringen, sind aber wohl drastischere Massnahmen als kurze Pausen in der Kühlbox gefragt. Die QMJHL will Zuwiderhandlungen deshalb in Zukunft schon bei der ersten Verfehlung mit drakonischen Sperren ahnden.
Was macht die NHL?
Verboten sind die Prügeleien ja grundsätzlich auch in der NHL – nur wird dort nicht ganz so hart bestraft. Mehr als 5 Minuten gibt es nur für Wiederholungstäter (im gleichen Spiel) oder wenn ein Brandstifter identifiziert und zusätzlich bestraft werden kann. Die sogenannte «Instigator Rule» war zuletzt auch beim GM-Treffen in Florida wieder ein Thema, weil sie von den Schiedsrichtern nicht konsequent durchgesetzt wird.
Die QMJHL beruft sich bei ihrem Vorgehen nicht nur auf den gesellschaftlichen Zeitgeist, die Verantwortung für die Gesundheit ihrer Athleten oder die Vorbildfunktion einer durch den nationalen Verband sanktionierten Nachwuchsstufe. Ein Faktor ist auch die Verletzungsgefahr, die von Schlägen mit blosser Faust gegen den Kopf ausgeht. In der NHL wurden gemäss Langzeitstudien zwischen 2000 und 2020 wohl «nur» rund 9 Prozent aller Gehirnerschütterungen durch Schlägereien verursacht, die Einzelschicksale mit möglichen Langzeitfolgen (unter anderen die Chronische Traumatische Enzephalopathie, auch «Boxer-Krankheit» genannt), stellen diese auf den ersten Blick tiefe Prozentzahl allerdings in ein anderes Licht: Ohne Faustkämpfe könnten fast 10 Prozent aller Gehirnerschütterungen vermieden werden.
Zwischen 2000 und 2020 rückten die Faustkämpfe in der NHL immer weiter in den Hintergrund, 2001 wurden in 2460 Partien 1354 grosse Strafen für Prügeleien ausgesprochen (0,64 Faustkämpfe pro Spiel), 2019 waren es in 2542 Spielen noch 450 (0,18).
Die NHL verlässt sich auf die rasante Entwicklung des Spiels als reinigenden Faktor, selbst Ergänzungsspieler müssen heute den höchsten Ansprüchen an Mobilität und Technik genügen. Die Ära der «Enforcer» oder «Goons» genannten Bodyguards, die während Jahrzehnten als Geleitschutz neben den Stars auf dem Eis patrouillierten, ist längst vorüber.
Weniger Schlägereien, mehr Zuschauer
Aber selbst die NHL wird irgendwann ein offizielles Zeichen gegen die immer noch mindestens geduldete institutionalisierte Gewalt der Faustkämpfe setzen müssen. Der Druck von Sponsoren und der Öffentlichkeit auf diese archaische Form der Konfliktbewältigung wächst.
Ein Argument der Befürworter (ohne Schlägereien droht der NHL ein Zuschauerschwund) wird übrigens durch die gleiche statistische Quelle widerlegt, die schon den Rückgang der Faustkämpfe festgestellt hat: Obwohl die Prügeleien immer weniger werden, steigt der Zuschauerschnitt.
Reinigende Wirkung? Keine Statistik belegt diese Theorie
Die letzte Bastion der Prügelstrafen-Puristen ist die scheinbar reinigende Wirkung, die von den Faustkämpfen ausgehen soll: Die Bedrohungslage einer möglichen Abstrafung durch einen Nahkämpfer auf Schlittschuhen soll gesundheitsgefährdende Fouls verhindern. Ein Argument, das durch Statistiken weder bestätigt noch widerlegt werden kann.
Sicher ist nur, dass in der NHL insgesamt sauberer gespielt wird als noch vor 20 Jahren, und das steht in einem direkten Verhältnis zum wachsenden Einfluss der technisch versierten Europäer (mittlerweile stammen fast 30 Prozent aller NHL-Spieler aus Europa).
Auf dem alten Kontinent sind und waren Prügeleien immer schon höchstens eine Nebenbühne des eigentlichen Festprogramms. Das hat einen direkten Zusammenhang mit dem Strafenkatalog: Wer sich prügelt, fliegt vom Eis.